Kiew will Krise mit Gewalt lösen
Was in den vergangenen Tagen und Wochen vor allem taktisches Manövrieren und Drohen zwischen Separatisten auf der einen und ukrainischen Sicherheitskräften auf der anderen Seite gewesen war, wurde am Donnerstag blutiger Ernst. An mehreren Stellen durchbrachen ukrainische Einheiten nahe der Stadt Slowjansk Straßensperren von Separatisten. Über der Stadt kreisten Hubschrauber der Armee. Rauch stieg auf. Am Nachmittag war laut Meldungen aus Kiew von fünf Toten die Rede – allesamt Separatisten. Das Mobilfunknetz rund um die Stadt brach zusammen. In Slowjansk sollen sich 2000 Kämpfer verschanzt haben.
Bereits in der Nacht auf Donnerstag hatten pro-ukrainische Aktivisten in der Hafenstadt Miriupol das von pro-russischen Aktivisten besetzte Rathaus zurückerobert. Zur selben Zeit geriet ein ukrainischer Militärstützpunkt in Artemiwsk nördlich von Donezk unter Beschuss. Von einem groß angelegten Angriff von 70 bis 100 Bewaffneten, die von russischen Militärs angeführt worden seien, war in ukrainischen Medien die Rede. Raketenwerfer, automatische Waffen und Handgranaten sollen zum Einsatz gekommen sein. In der Basis befindet sich eines der größten Munitionsdepots der ukrainischen Armee. Der Angriff wurde abgewehrt. Über die Zahl der Opfer wurden keine Details bekannt.
Putin droht
US-Präsident Barack Obama schloss nun eine Ausweitung der Sanktionen gegen Russland nicht aus, man wolle sich zunächst jedoch um eine diplomatische Lösung bemühen. Es würden aber zugleich Vorbereitungen getroffen, sollte das zwischen Russland und der Ukraine ausgehandelte Genfer Abkommen nicht die versprochenen Ergebnisse bringen. Das Abkommen sieht eine Entwaffnung illegaler Gruppen und eine Räumung besetzter Gebäude vor. Laut ukrainischer und westlicher Lesart betrifft das in erster Linie bewaffnete Separatisten in der Ostukraine. Laut deren und Russlands Lesart aber zieht das Abkommen vor allem die Regierung in Kiew in die Pflicht, die zurücktreten und nationalistische Paramilitärs entwaffnen müsse.
Russland kündigte indes Manöver nahe der Grenze zur Ukraine an. Man sei besorgt wegen der "ukrainischen Militärmaschinerie" und der NATO-Manöver in Osteuropa. Die NATO wiederum macht ernst mit der Verlegung von Truppen in östliche Bündnisstaaten: 150 US-Soldaten landeten in Lettland, 150 Soldaten landeten bereits am Mittwoch in Polen.
"Gib Gas gegen Gewalt" – mit dem vieldeutigen Slogan für den Fußballklub "Schalke 04" bewirbt Gazprom die Gewaltprävention in deutschen Stadien – und sich selbst. Das haben offenbar alle nötig.
Schalke, derzeit Dritter der deutschen Bundesliga, ist der einzige Stolz von Gelsenkirchen, einer der meistverschuldeten und heruntergekommenen Städte Nordrhein-Westfalens, das den Strukturwandel zur modernen Wirtschaft nicht bewältigt. Nur hier fand der direkt vom Kreml und damit Putin beherrschte Lieferant von einem Drittel des in Deutschland verbrauchten Erdgases einen willigen Werbepartner um 15 Millionen Euro jährlich. Auch SPD-Ex-Kanzler und Putin-Freund Gerhard Schröder, danach in hoch bezahlten Diensten Gazproms, soll da mitgeholfen haben.
Weil für Putin gerade jetzt Sympathiewerbung noch wertvoller ist, hat er die Mannschaft zu sich nach Moskau eingeladen. Und Schalke und dessen Vorstandschef Clemens Tönnies sagten überraschend zu. Tönnies, einer der größten und umstrittensten Fleisch-Industriellen Deutschlands, fand: "Sport hat mit Politik nichts zu tun." Auch der Internationale Fußballverband FIFA und dessen Chef Joseph Blatter ließen sich von Gazprom sponsern: "Wir wollen den Kreml sehen, wir sind keine Weltpolitiker."
Mehr Sanktionen
Das sahen nicht alle so. Als Erster kritisierte CDU-Generalsekretär Peter Tauber den Stolz des von der SPD dauerregierten Gelsenkirchen: Der Reisewille "zeugt nicht von Fingerspitzengefühl", wenn zugleich Deutschland Sanktionen gegen Putin verhänge, zuletzt für alle Rüstungsgüter: "Sport hat immer einen Gesellschafts-Bezug." Weil in Deutschland die bisher Russland-freundliche Stimmung der Bürger in den Umfragen gerade umschlägt, melden sich jetzt auch Stimmen von SPD und Grünen. Eine gehört Joachim Poß, SPD-Finanzsprecher, Gelsenkirchener und Vorstandsmitglied des Vereins.
Wohl deshalb hat Tönnies den Kreml-Besuch nun verschoben: Es sei ja "noch nichts konkret", sagte er am Donnerstag. Das entwertet auch den zweiten Gazprom-Werbeslogan für und mit Schalke: "Football for friendship".
Sein fließendes Russisch rettet Dirk Emmerich in diesen Tagen regelmäßig den Kopf. Denn die Bewaffneten, die ihn und internationale Journalisten überfallsartig auf der Straße bedrängen, lassen sich so leichter beschwichtigen. Ein US-Kollege dagegen hatte schon eine geladene Waffe vor der Nase, wurde mitgenommen und vorübergehend festgehalten. Heikel ist es für den n-tv-Reporter, der seit über einer Woche in der Ostukraine unterwegs ist, allemal. Denn, so fasst Emmerich seine jüngsten Eindrücke gegenüber dem KURIER zusammen, "die wollen uns einschüchtern, mit allen Mitteln."
Die, das sind nach persönlicher Einschätzung des Reporters pro-russische Milizen. Doch die bekommen in den vergangenen Tagen zunehmend professionelle Verstärkung: "Das sind Leute, die mit Waffen umgehen können, die modern ausgerüstet sind und die ihre Aktionen planen wie Profis."
Woher diese Profis tatsächlich kommen, hat Emmerich im direkten Gespräch mit den Bewaffneten herausgefunden. Nach längerem Herumdrücken hätten einige dann Stawropol oder das Kuban-Gebiet angegeben, die Stadt und die Region liegen in Russland. Für den Reporter ist die Schlussfolgerung klar: Immer mehr Militärs aus Russland würden einsickern.
Längst sind die ukrainischen Grenzbehörden in der Region alarmiert. Mehrere Hundert Russen werden täglich an der Einreise in die Ostukraine gehindert.
Das aber kann nicht verhindern, dass sich die Krise in der Region zunehmend verschärft. So haben am Mittwoch 2000 streikende Bergarbeiter in der Stadt Krasnodon ein Bürogebäude besetzt und dort die Fahne der pro-russischen Separatisten gehisst.
Scharfschützen
Emmerich: "Das ist eine schleichende Entwicklung, aber sie weist eindeutig in eine Richtung." Seit der Vorwoche habe es in der Region bereits acht oder neun Todesopfer gegeben, das sei eine deutliche Eskalation der Lage. Vor allem aber sei es die zunehmende Präsenz der militärischen Profis, die deutlich mache, dass die Region auf einen gewaltsamen Konflikt zusteuere. Die von den pro-russischen Milizen besetzten Gebäude in Städten wie Donezk und Slawjansk seien inzwischen "zu Festungen ausgebaut". Die Barrikaden rundherum wüchsen täglich höher. Sogar Stellungen für Scharfschützen würden auf den Dächern eingerichtet.
Die ukrainische Armee ist zwar vor Ort, aber auf eine bewaffnete Auseinandersetzung völlig unzureichend vorbereitet. "Das ist einfach lächerlich, mit was für veralteter Technik die hier auftreten", schildert Emmerich seine Eindrücke. Von der groß angekündigten Anti-Terror-Operation der Armee gegen die Separatisten sei ohnehin nicht viel zu bemerken. Die Armee sei – wenn überhaupt – nur im unmittelbaren Umfeld ihrer Stützpunkte präsent.
Den Schutz der Bürger, wie ihn die Regierung in Kiew als Hauptziel des Militäreinsatzes angibt, können die Soldaten so nicht bieten. "Kriminelle Handlungsreisende und Terroristen" würden nach der offiziellen Darstellung in Kiew hinter den jüngsten Auseinandersetzungen stecken. Deren Entwaffnung dauere jedenfalls an. An den Machtverhältnissen in der Region, macht auch Emmerich deutlich, ändere das nur noch wenig: Die Kontrolle hätten zunehmend pro-russische Kräfte.
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