Rachefeldzug gegen afghanische ISAF-Mitarbeiter

Mission impossible – ohne Übersetzer wäre der NATO-Einsatz in Afghanistan unmöglich gewesen, von Taliban bedroht haben viele von ihnen jetzt aber keine Aussicht auf Asyl
Die NATO zieht ab – ihre afghanischen Mitarbeiter fühlen sich oftmals im Stich gelassen.

Jeden Tag tritt Mohammad vor die Tür seines Elternhauses im Zentrum von Herat, ein Blick nach links, einer nach rechts. Er steigt in das Auto seines Freundes. Gemeinsam fahren sie los. Es geht zur Arbeit. Je nachdem, wer wissen will, was das genau bedeutet, ist das ein Job an einer Baustelle oder in einem Laden – irgendetwas nahe dem Flughafen, weil dort wurde er einmal gesehen von Leuten, die ihn kennen und dann allzu neugierig nachgefragt haben. Worum es genau geht, wissen dagegen nur ganz enge Freunde und Verwandte. Mohammad ist Übersetzer für das italienische Kontingent am ISAF-Stützpunkt am Rande des Flughafens. Wenn Mohammad dann dort entspannt vor einem steht, sieht er aus wie ein junger Rockabilly mit Gel-Frisur, nur die Zigarette im Mundwinkel fehlt. Er raucht nicht.

Es ist ein gut bezahlter Job, dem er nachgeht – aber einer, der beträchtliche Risiken mit sich bringt. Vor allem nach Feierabend oder vor Dienstbeginn. Bis zu 600 Dollar Kopfgeld zahlen die Taliban für Informationen, die zu Angestellten der NATO-Truppe ISAF führen. Den höchsten Preis erzielen dabei Übersetzer. Der Einsatz der ISAF endet, die Soldaten ziehen ab, die Basis wird schließen. Weniger, dass Leute wie Mohammad keinen Job mehr haben werden – schon jetzt fühlen sie sich wie Freiwild. "Nur weil ich nicht sage, womit ich Geld verdiene, bin ich noch am Leben", sagt er.

"Kollaborateure"

Aus der Sicht der Taliban sind all jene, die sich mit den ausländischen Truppen eingelassen haben, Kollaborateure. Und da vor allem Übersetzer, die im linguistisch wie kulturell schwierigen Terrain Afghanistan zum wichtigsten Link zwischen den Truppen und der Bevölkerung geworden sind. Sie fungieren als Sprachrohr ebenso wie als Berater in Sachen Umgangsformen und Gebräuche. Sie dienten oftmals bei Meetings mit lokalen Politikern oder Dorfgemeinschaften schlicht als Türöffner. Und nicht selten ging es darum, wie ein ehemaliger Übersetzer der deutschen Armee in der Provinz Badakhshan sagt, den Menschen in entlegenen Dörfern einfach zu erklären, dass es nicht die Sowjets sind, die da wieder zurück sind. Ohne Übersetzer wäre der Einsatz der NATO in Afghanistan jedenfalls nicht einmal anzudenken gewesen.

Die Taliban jedoch, die sind alles andere als besiegt. Und auf den Märkten von Städten wie Herat schließen Händler Allianzen mit allen Seiten – Menschenleben werden da zur Ware. Geiselnahmen, gezielte Überfälle und Exekutionen häufen sich.

Das ansonsten in Fragen der Einwanderung äußerst rigide agierende Australien hat als eines der ersten Länder die Konsequenzen daraus gezogen und seinen afghanischen Mitarbeitern praktisch pauschal Asyl gewährt. Auch Deutschland hat mehreren Hundert afghanischen Mitarbeitern Asyl gestattet. Italien – und damit Mohammads Arbeitgeber – jedoch scheint bisher keinerlei Meinung zu dem Thema zu haben. Mit entsprechenden Ansinnen blitzte Mohammad ab.

Klar ist für den jungen Mann eines: In Herat wird er nicht bleiben – zu gefährlich. Und wenn es legal keinen Weg in die Sicherheit gibt, so wird er sich auf die Suche nach einem nicht legalen Weg begeben.

Kommentare