Taiwans Schätze in Europa: "In China wären sie zerstört worden"
Als die Kommunisten um Mao Zedong zum Ende des chinesischen Bürgerkriegs immer näher an Peking heranrückten, fassten die Nationalisten um General Chiang Kai-Shek einen Entschluss. Über Monate luden sie die wichtigsten kaiserlichen Besitztümer aus der Verbotenen Stadt auf Schiffe und brachten sie auf die Insel Taiwan. Dort sind sie bis heute im Besitz des Nationalen Palastmuseums in Taipeh, sehr zum Ärger der chinesischen Regierung auf dem Festland.
Die wichtigsten Werke, darunter der berühmte Jadekohl, befinden sich jedoch seit Wochen auf Europa-Tour. Bis 31. Dezember sind 100 von ihnen im Prager Nationalmuseum ausgestellt, eine Sammlung von Drachenskulpturen und -gemälden ist seit Dienstag im Museum Musée du quai Branly in Paris zu sehen.
Hsiao Tsung-Huang, Direktor des Palastmuseums in Taipeh, sprach mit dem KURIER in Wien über die Bedeutung der Ausstellungen in Europa - und ob die Artefakte auch bald in Österreich zu sehen sein könnten.
KURIER: Das Nationale Palastmuseum gilt für viele als kulturelles Herzstück Taiwans. Welche Botschaft sollen die Ausstellungen in Prag und Paris über Taiwan vermitteln?
Hsiao Tsung-Huang: Die Ausstellungen in Prag und Paris gehören für uns zum üblichen Austausch mit großen europäischen Museen. Wir möchten damit vermitteln, dass das Palastmuseum in Taiwan der beste Ort ist, um die wichtigsten chinesischen Artefakte zu besichtigen. Natürlich wollen wir so auch Europäer dazu motivieren, Taiwan zu besuchen, wenn sie dieses kulturelle Erbe erleben wollen.
Hsiao Tsung-Huang ist seit 2023 Direktor des nationalen Palastmuseums in Taipei. Zuvor war er stellvertretender Kulturminister Taiwans.
Viele der ausgestellten Werke stammen ja vom chinesischen Festland, Peking bezeichnet die Stücke als “gestohlen”. Wie begegnen Sie dieser Darstellung?
Es ist ein historischer Fakt, dass die Mehrheit der nationalen Schätze im Palastmuseum aus den Kaiserhöfen der Ming- und Qing-Dynastien auf dem Festland stammen. Damals, zum Ende des chinesischen Bürgerkriegs, hat die Regierung der Republik China gemeinsam mit der intellektuellen Elite entschieden, diese Artefakte nach Taiwan zu transportieren, um sie in Sicherheit zu bringen. Das war ein enormer Aufwand, mehr als 5.000 Kisten. 2.970 dieser Kisten zählen heute zum Schatz des Nationalen Palastmuseums.
Peking behauptet, dass diese nationalen Schätze zur Volksrepublik China gehören. Wir sehen das anders, denn damals gab es noch keine Volksrepublik China. Die Regierung der Republik China, die heute noch auf Taiwan existiert, war also 1949 die einzig legitime chinesische Regierung - und hat die rationale Entscheidung getroffen, diese Artefakte in Sicherheit zu bringen. Ansonsten wären sie wohl spätestens während der Kulturrevolution in China zerstört worden.
Gibt es viel Druck aus Peking, um Ihre Ausstellungen zu verhindern?
Natürlich wären wir gerne aktiver in der internationalen Zusammenarbeit, aber wir müssen immer mit dem Druck aus Peking rechnen. Deshalb müssen die Länder, mit denen wir zusammenarbeiten, bestimmte rechtliche Rahmenbedingungen bieten, damit unsere nationalen Schätze dort auch in Sicherheit ausgestellt werden können. Damit sichergestellt ist, dass sie nach Taiwan zurückkehren können.
Dienen die Ausstellungen in Europa auch dazu, Taiwans Perspektive auf die gemeinsame Geschichte sichtbar zu machen?
Da muss ich ein bisschen ausholen: Die Bezeichnung “China” - auf chinesisch Zhongguó, also “Reich der Mitte” - entstand erst ziemlich spät in der chinesischen Geschichte. Zuvor waren die Großreiche nach der jeweiligen Herrscherdynastie benannt: Das Imperium Ming, das Reich der Yuan, das Reich der Qing. Unsere Artefakte stammen also zum großen Teil aus Reichen, die es so heute nicht mehr gibt.
Von Skulpturen über Wandmalereien bis zu Schmuckstücken: Tausende Artefakte aus den chinesischen Kaiserhöfen gehören heute zum Schatz des Nationalen Palastmuseums in Taipeh.
In unserem Beruf ist es üblich, dass wichtige Museen in der Welt Artefakte aus anderen Kulturkreisen besitzen und ausstellen. Das British Museum oder das Pariser Louvre zeigen etwa Stücke aus China oder Ägypten. Entscheidend ist, wie man mit diesen Exponaten aus anderen Kulturkreisen umgeht. Unser Haus hat diese Schätze gut behandelt, wir nutzen sie für Forschungsarbeit und die Vermittlung der chinesischen Kultur.
Wäre eine solche Kulturvermittlung im heutigen China nicht möglich?
Wir beobachten schon, dass China nach seiner Öffnung in den 1980er-Jahren langsam damit begonnen hat, die Rolle der Museen zu schätzen. Wegen der Olympischen Sommerspiele 2008 hat Peking das Palastmuseum in der Verbotenen Stadt saniert, seitdem nimmt es eine wichtige Rolle in der Kulturwelt ein.
Heute kann man sagen: Wenn man die Architektur des alten China sehen will, muss man die Verbotene Stadt in Peking besuchen. Wenn man aber die alten Artefakte sehen möchte, muss man unbedingt nach Taiwan. Die Palastmuseen auf beiden Seiten der Taiwan-Straße haben also ihre eigene Funktion. Es gibt ja noch weitere Palastmuseen: Eines in Hongkong, eines in Shenyang, der einstigen Hauptstadt der Qing-Dynastie. All diese Museen präsentieren verschiedene Aspekte der chinesischen Kultur.
Taiwan wird nur von wenigen Nationen als Staat anerkannt. Ist der Export von Kultur deshalb für Ihre Heimat besonders wichtig?
Unser Museum ist nicht politisch, das ist auch nicht das Ziel unserer Arbeit. Österreich exportiert seine Kultur ja auch in die ganze Welt, in Taiwan schauen jedes Jahr Zehntausende begeistert die Übertragung des Neujahrskonzerts der Wiener Philharmoniker. Vergangenes Monat waren die Sängerknaben zu Besuch in Taiwan, von Dezember bis März wird das Belvedere-Museum exklusive Stücke von Klimt und Schiele in Taipeh ausstellen.
So ein kultureller Austausch ist wichtig, damit wir einander besser kennenlernen und verstehen. Bei uns wird sich niemand fragen: Was wollen die Österreicher damit politisch erreichen? Sie wollen der Welt einfach das Beste ihrer eigenen Kultur präsentieren. Genau das wollen wir auch.
Werden wir in Zukunft mehr Kooperationen zwischen dem Palastmuseum und europäischen Museen sehen? Kommt der Jadekohl vielleicht bald nach Wien?
Im Jahr 2008 waren Stücke aus Taiwans Nationalem Palastmuseum zuletzt im Kunsthistorischen Museum in Wien ausgestellt, ein Jahr zuvor durften wir einige Schätze der Habsburger in Taipeh zeigen. Wir diskutieren gerade einige Projekte mit wichtigen Museen in Europa, aber kulturelle Arbeit braucht Zeit und manchmal auch Glück, damit der Zeitpunkt für beide Seiten passt. Wenn es so weit ist, können wir das auch verraten. So weit sind wir aktuell aber noch nicht.
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