Syrien: Waffenstillstand mit vielen Fragezeichen

Es gibt einen Plan für ein Ende der Kämpfe - aber große Zweifel, ob der auch halten wird.

München und Aleppo trennen 2473 Kilometer Luftlinie. Unter Umständen sind es aber auch Welten. Und möglicherweise ist es genau die Distanz, die zuweilen Theorie von Praxis trennt. Zumindest beinhaltet die Einigung von München in der Nacht auf Freitag ein Wort, das bisher nur als weites Ziel am Horizont Utopie geblieben war: "Feuerpause". Es mag die Müdigkeit nach zähen Verhandlungen gewesen sein, aber US-Außenminister John Kerry und Russlands Chefdiplomat Sergej Lawrow wirkten wenig euphorisch bei ihrer nächtlichen Pressekonferenz, als sie die Syrien-Einigung verkündeten.

Syrien: Waffenstillstand mit vielen Fragezeichen
Diese sieht eine "rasche Reduzierung der Kampfhandlungen" vor, was binnen einer Woche in eine landesweite Feuerpause übergehen soll. Vorgesehen sind zudem ein Ende der Blockade belagerter Gebiete für humanitäre Hilfe sowie eine Fortsetzung des politischen Friedensprozesses – also die Wiederaufnahme der Friedensgespräche von Wien und Genf. Zur Überwachung der Waffenruhe sollte noch am Freitag ein gemeinsamer Rat von Diplomaten und Militärs der USA und Russlands gegründet werden. Das Ende der Blockaden wiederum soll von der UNO koordiniert und überwacht werden.

Verhalten optimistisch

Keine Reaktion gab es seitens der syrischen Regierung. Das Hohe Verhandlungskomitee der Opposition (HNC), die Vertretung der bewaffneten Regime-Gegner bei den Genf-Gesprächen, äußerte sich vorsichtig optimistisch. Vor einem Durchbruch sprach aber niemand – weder Lawrow, Kerry noch die Opposition. Auch wenn Kerry betonte: "Ich glaube, wir haben Fortschritte gemacht." Lawrow dazu: "Das Wichtigste ist, dass Regierung und Opposition der Waffenruhe zustimmen."

Syrien: Waffenstillstand mit vielen Fragezeichen
US Secretary of State John Kerry (R) and Russia's Foreign Minister Sergei Lavrov lead the International Support Group for Syria (ISSG) meeting on February 11, 2016 in Munich southern Germany. The ISSG meets in bid to restart peace talks and open humanitarian access to besieged Aleppo. / AFP / POOL / MICHAEL DALDER
Vor allem, was die Regierungsseite angeht, hat Moskau dabei einiges mitzureden. Deutschland – ähnlich wie Frankreich – sieht denn auch Russland in der Pflicht: Worten müssten Taten folgen, so eine Regierungssprecherin in Berlin unter Verweis auf die russischen Luftangriffe im Großraum Aleppo, die Zehntausende Menschen auf die Flucht nach Norden, an die Grenze zur Türkei, treiben. Die Türkei hält die Grenze für Flüchtlinge geschlossen. Zu den 50.000 bereits in der Region gestrandeten Binnenflüchtlingen kamen laut Ärzte Ohne Grenzen (MSF) 30.000 hinzu. Sam Taylor von MSF spricht von "kompletter Überfüllung" bestehender Lager um die Stadt Azaz. Es fehle an Zelten, Nahrung und vor allem Trinkwasser. Wegen der Sicherheitslage wurden einige medizinische Einrichtungen geschlossen, was die Gesundheitsversorgung an den Rand des Kollaps gebracht habe. Die Einigung begrüßt er, nur müsse sie jetzt auch umgesetzt werden.

Laut Berichten aus dem Kampfgebiet gingen die Luftangriffe aber unvermindert weiter. Das meldete zumindest die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Syriens Luftwaffe warf nördlich von Aleppo zudem Flugblätter ab, in denen Zivilisten wegen bevorstehender Offensiven zur Flucht aufgerufen werden.

So schön das Wort "Waffenruhe" also auch klingen mag: An den Differenzen zwischen Russland und den USA hat sich nichts geändert. Ob Präsident Assad künftig eine Rolle spielen soll, ist ebenso ungelöst wie die Frage: Wer ist Terrorist?

Lawrow wies denn auch vor allem auf einen Punkt hin: Der "Islamische Staat" (IS) und der syrische El-Kaida-Ableger Al-Nusra-Front sind von der Feuerpause explizit ausgenommen. Al Nusra ist aber im Gebiet um Aleppo, das jetzt so umkämpft ist, die militärisch dominierende Kraft – in Allianz mit vielen Gruppen. Macht das diese Gruppen jetzt zu Al-Nusra-Ablegern? Können sie also laut Vereinbarung bombardiert werden? Die im HNC vertretenen Gruppen haben jedenfalls militärisch wenig zu melden, was bei Umsetzung der Feuerpause auf Rebellenseite Probleme machen könnte.

Viele offene Fragen

Unter diesen Vorzeichen ist die Einigung bestenfalls ein "Hoffnungsschimmer", wie es ein Vertreter der zivilen syrischen Opposition ausdrückt. Er versieht dieses Wort mit den Zusätzen: "immerhin" und "besser als gar nichts". Und er verweist auf den Umstand, dass es unzählige offene Themen zwischen Regierung und Opposition gebe, die noch gar nicht angesprochen worden seien – etwa den Umstand, dass Tausende in Folterhaft des syrischen Regimes säßen. Und er sagt: "Auch wenn die Übereinkunft greift, wird es noch Jahre dauern, bis Frieden herrscht."

Kommentare