Mittelmeer: Moskau meldet Raketenabschuss
Im Syrien-Konflikt liegen die Nerven blank: Russische Radarstationen haben einem Bericht der Nachrichtenagentur RIA zufolge zwei ballistische "Objekte" geortet, die vom zentralen Mittelmeer Richtung Osten abgefeuert wurden. Die Agentur zitierte am Dienstag das russische Verteidigungsministerium, das auf Reuters-Nachfrage dazu nicht Stellung nahm. Die ballistischen Raketen seien um 8.16 Uhr MESZ in Richtung des östlichen Küstenstreifens des Mittelmeers abgefeuert worden.
Israel und die USA bestätigen kurz darauf, dass sie einen Raketentest im Mittelmeer durchgeführt haben. Der Test diente der Erprobung eines Raketenabwehrsystems, teilte das israelische Militär mit.
Die USA haben im Mittelmeer mehrere raketenbestückte Kriegsschiffe für einen bevorstehenden Angriff auf Syrien in Stellung gebracht. Allerdings ringt US-Präsident Barack Obama derzeit um die Zustimmung des Kongresses für einen militärischen Alleingang. Indes erkämpft sich die syrische Armee wichtige Städte zurück: Die Streitkräfte hätten am Dienstag die strategisch bedeutende Stadt Ariha in Nordsyrien eingenommen, berichtete die oppositionsnahe Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Die Armee könnte sich auf diese Weise einen Nachschubweg von seiner Hochburg Latakia an der Küste zu den Stützpunkten im von Rebellen kontrollierten Hinterland eröffnen. Andere Aktivisten widersprachen dieser Darstellung.
Frankreich legt Beweise vor
Die Suche nach Beweisen für den Einsatz von Giftgas durch das Assad-Regime geht indes weiter: Die französische Regierung hat am Montag ein Dokument mit angeblichen Beweisen für den Einsatz von Giftgas im syrischen Bürgerkrieg am 21. August nahe Damaskus veröffentlicht. Das neunseitige Papier wurde am Abend auf der Internetseite von Premierminister Jean-Marc Ayrault verlinkt.
Die sozialistische Regierung in Paris schließt ein Parlamentsvotum über einen Militäreinsatz in Syrien nicht mehr aus. Der Minister für die Beziehungen zum Parlament, Alain Vidalies, sagte am Dienstag, dass eine solche Abstimmung für Präsident Francois Hollande "kein Tabu-Thema" sei. Er fügte im Sender RTL hinzu, dass ein Votum aber nicht bei der Sondersitzung des Parlaments am Mittwoch möglich sei: "Worüber würde am Mittwoch abgestimmt?" Danach aber und im Falle einer französischen Militärintervention sei ein Votum "kein Tabu-Thema für Francois Hollande".
Vidalies sagte zudem, dass sich der Staatschef wegen einer möglichen französischen Beteiligung an einem Militärschlag gegen die syrische Regierung sicherlich direkt an die Franzosen wenden werde. Der Minister räumte ein, dass die Entscheidung von US-Präsident Obama, zunächst den Kongress zu einem möglichen Militäreinsatz zu befragen, "nicht das Szenario war, das vorgesehen war".
Neben den USA ist Frankreich das einzige große westliche Land, das deutlich gemacht hat, dass es zu einem Militäreinsatz gegen den syrischen Machthaber Bashar al-Assad bereit wäre. Seit Obamas Ankündigung, seinen Kongresses um Zustimmung zu bitten, wächst aber auch in Frankreich der Druck auf die sozialistische Regierung, ebenfalls das Parlament zu befragen
UNO: Proben an mehrere Labors verschickt
Die Vereinten Nationen haben inzwischen die in Syrien von Chemiewaffeninspektoren gesammelten Proben am Montag an mehrere Laboratorien verschickt. "Die Proben wurden am Nachmittag von Den Haag auf den Weg gebracht und werden ihr Ziel innerhalb von Stunden erreichen", teilte ein UNO-Sprecher in New York in der Nacht zum Dienstag mit.
Er wies darauf hin, dass UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon weiter in engem Kontakt mit den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates, den USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich, stehe. Ban wollte die nicht-ständigen Ratsmitglieder am Dienstag über die jüngste Entwicklung im Syrienkonflikt unterrichten.
Ebenfalls am Dienstag werde Bans Abrüstungsexpertin, die Deutsche Angela Kane, 35 UNO-Mitgliedsländer über die Chemiewaffen-Untersuchung informieren. Die Länder, darunter neben den USA, Frankreich und Großbritannien auch Österreich, hatten nach dem Tod zahlreicher Syrer am 21. August verlangt, die betreffende Region in die Suche nach Beweismaterial für möglicherweise eingesetzte Chemiewaffen mit einzubeziehen.
Vor dem Bürgerkrieg in Syrien sind mittlerweile mehr als zwei Millionen Menschen ins Ausland geflohen. An jedem Tag würden nahezu 5000 Syrer ihre Heimat verlassen und vor allem in den Nachbarstaaten auf Sicherheit und humanitäre Hilfe hoffen, teilten die Vereinten Nationen am Dienstag in Genf mit.
"Syrien ist zur großen Tragödie dieses Jahrhunderts geworden - eine beschämende humanitäre Katastrophe mit Leid und Vertreibung in einem in der jüngeren Geschichte beispiellosen Ausmaß", erklärte der UNO-Hochkommissar für Flüchtlinge, Antonio Guterres. In Syriens Nachbarstaaten seien 97 Prozent der bisher zwei Millionen Flüchtlinge untergekommen.
Die internationale Unterstützung für diese Länder müsse dringend verstärkt werden, forderte Guterres. Allein in den vergangenen zwölf Monaten sei die Zahl syrischer Kriegsflüchtlinge im Ausland um fast 1,8 Millionen angewachsen. Die Hollywood-Schauspielerin Angelina Jolie, die das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) als Sonderbotschafterin unterstützt, schloss sich dem Hilfsappell an.
Die Kosten für den Wiederaufbau Syriens würden sich nach Angaben einer regierungsnahen Zeitung derzeit auf 73 Milliarden Dollar (55,5 Milliarden Euro) belaufen. In der von Al-Watan am Dienstag zitierten Studie des Immobilienexperten Ammar Yussef heißt es, durch Bombardierungen, Kämpfe und Sabotageakte in den vergangenen zweieinhalb Jahren seien 1,5 Millionen Wohnungen teilweise oder ganz zerstört worden.
Talk-Show-Auftritte, Pressekonferenzen, Treffen mit Senatoren und Kongressabgeordneten: Präsident Obama und sein Außenminister John Kerry leisten seit dem Wochenende Überzeugungsarbeit quasi rund um die Uhr: Der US-Kongress und mit ihm die ganze Nation sollen von der Notwendigkeit eines Militärschlags gegen Syrien überzeugt werden. Keine leichte Aufgabe: Gerade einmal neun Prozent der Amerikaner würden laut einer aktuellen Umfrage einen Angriff auf Syrien vorbehaltlos unterstützen, mehr als 60 Prozent sind deklariert dagegen.
Es ist ein Kampf gegen die chronische Kriegsmüdigkeit eines Landes nach 12 Jahren Anti-Terror-Krieg in Afghanistan und dem Irak. Jahre, in denen sich nachhaltige militärische Erfolge nie eingestellt haben, sich Beweise, wie jene für Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen, einfach in Nichts aufgelöst haben. Doch auch wenn Medien und die breite Öffentlichkeit diese beiden Kriege über Jahre kaum noch beachtetet haben. Es sind Hunderttausende US-Soldaten und ihre Familien, die darunter gelitten haben – und oft immer noch leiden.
Bis an die Grenzen
Die Zahl der Gefallenen – etwa 5500 GIs starben bisher in den zwei Kriegen – mag erschreckend sein. Viel erschreckender aber ist die Anzahl jener, die nach Hause gekommen sind, aber nie mehr sie selbst sein werden. Jeder vierte US-Soldat hat einen dauerhaften Schaden davongetragen. Mehr als 50.000 Schwerverletzte verzeichnen die Statistiken. Moderne Chirurgie und Notfallmedizin haben Tausende, die früher gestorben wären, überleben lassen, drei Mal mehr als noch im Vietnam-Krieg. Doch viele von ihnen sind grauenhaft verstümmelt: Männer, Mitte 20, Totalinvalide, die nie wieder einer Arbeit nachgehen können. Er habe sich nie vorstellen können, ein Almosenempfänger zu werden, erzählt ein GI, der wegen seiner Schädelverletzungen ständig epileptische Anfälle erleidet, dem TV-Sender CNN: „Es ist mir peinlich, nicht arbeiten zu können.“ Die Krise hat viele Heimkehrer, die zuvor aus Stolz auf Beihilfen verzichteten, jetzt dazu gebracht, diese doch zu verlangen, einfach weil sie die einzige Einnahmequelle in vielen Familien sind.
„Das sind Kosten, die die Armee auffressen“, gab der damalige Verteidigungsminister Robert Gates kurz vor seinem Abgang 2010 offen zu, „und noch lange auffressen werden.“
Seelisch krank
Zehn Milliarden US-Dollar pro Jahr aber kostet alleine die Behandlung jener Wunden, die die Medizin nicht heilen kann. „Post-traumatisches Stress-Syndrom“, so der Fachbegriff für all die psychischen Schäden und Krankheiten, die Soldaten nach Hause bringen: Schlaflosigkeit, sinnlose Aggression, oft gegen Angehörige, ständige Selbstmordgedanken.
Jeden fünften US-Soldaten hat es in den beiden Kriegen erwischt. Doch auch wenn Psychologen und Psychiater in der Armee behaupten, diese Störungen immer besser in den Griff zu bekommen. Jeder zweite betroffene Soldat wird sich nie an sie wenden. Eine psychische Störung, das ist in der Armee auch heute noch ein Stigma. Dazu kommt, dass in vielen ländlichen Gegenden der USA dafür ausgebildete Psychologen einfach nicht vorhanden sind.
Für immer mehr Veteranen ist dann schließlich Selbstmord der letzte Ausweg. Fast 200 ehemalige Irak- oder Afghanistan-Kämpfer haben sich im Vorjahr das Leben genommen. „Wir wissen wie der Tod aussieht“, schildert ein GI, den Freunde im letzten Moment gerettet haben, seine Empfindungen: „Er ist uns vertraut.“
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