Ein Ziel, und erstmals ein wenig Hoffnung für Syrien
Lange ist über eine politische Lösung für Syrien nicht einmal mehr geredet worden. In Wien fand dann am Freitag erstmals eine hochkarätige Runde zum seit fünf Jahren tobenden blutigen Konflikt statt – und die brachte offenbar tatsächlich zumindest einmal wieder Bewegung in Gange. Beim Vierer-Treffen der Außenminister der USA, Russlands, Saudi Arabiens und der Türkei seien einige Ideen vorgebracht worden, „die letztlich die Dynamik in Syrien verändern könnten“, sagte US-Außenminister John Kerry am Freitagnachmittag in Wien. Schon nächste Woche könnte ein Folgetreffen in größerem Kreise stattfinden, kündigte er an.
„Ich bin überzeugt, dass das heutige Treffen konstruktiv und produktiv war“, sagte Kerry. Details zur Zusammensetzung der Folgerunde und dem Ort der Zusammenkunft nannte er nicht, schloss aber eine Beteiligung des in Wien nicht anwesenden Iran nicht aus. Das könnte aber am Widerstand Saudi Arabiens scheitern. Zugleich will auch die EU mit am Tisch sitzen.
Russlands Außenminister Sergej Lawrow klang da weit weniger optimistisch: Über die Zukunft des syrischen Präsidenten Assad – und damit sprach er den großen internationalen Streitpunkt in der Krise an– könne nicht auf dem Schlachtfeld entschieden werden, sondern nur über einen politischen Dialog. Gerüchte über einen bevorstehenden Rücktritt Assads wies er zurück. Als einzige Gemeinsamkeit der Gesprächsteilnehmer nannte er dann den Wunsch aller, die territoriale Einheit Syriens zu bewahren. Aber auch er schloss ein weiteres Treffen nicht aus.
Verhärtete Fronten
So gesehen blieben die Fronten trotz allen Händeschüttelns und Posierens für Pressefotografen verhärtet: Saudi Arabiens Außenminister Adel al-Jubeir betonte ausdrücklich, dass es für Assad keinen Platz in einer Übergangsregierung gebe.
Vielleicht aber wurde unter Einsatz höchster Politprominenz ein Verhandlungsprozess wieder in Gang gebracht. Der Gesprächsreigen hatte Freitagfrüh im Wiener Hotel Imperial mit einem Treffen Kerrys mit seinen türkischen Amtskollegen Feridun Sinirlioglu sowie al-Jubeir begonnen. Währenddessen landete Lawrow in Wien, der sich dann mit Kerry zu einer Zweier-Runde zusammentat. Danach konferierten alle vier, später kamen auch die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und der Nahost-Sondergesandte der UNO, Nikolai Mladenov, zu Nahost-Gesprächen hinzu.
Gedämpfte Erwartungen
Dabei waren die Erwartung in den auf Initiative Kerrys zustande gekommenen Gipfel schon vorab gedämpft. Ziel sei gewesen, einen Prozess in Gang zu bringen, in dem alle Super- und Regionalmächte an einem Tisch sitzen, sagte Österreichs Außenminister Sebastian Kurz.
Die Dringlichkeit dazu ergibt sich aus der Eskalation der letzten Wochen – durch den Kriegseintritt Russlands. Russlands Präsident Wladimir Putin nannte diese Angriffe zuletzt eine Vorbereitung für politische Gespräche: Ein militärischer Sieg könne „Bedingungen schaffen für einen politischen Prozess unter Teilnahme aller gesunden, patriotischen Kräfte in der syrischen Gesellschaft“, sagte er.
Kerry wiederum hatte im Vorfeld ein Abrücken von der Assad-muss-weg-Linie der USA angedeutet – Details könnten Gegenstand weiterer Verhandlungen sein.
Die USA und Russland haben teils gleiche Ziele, Iran und Saudi-Arabien sind auf Konfrontation:
Russland
Zumindest ein Ziel verfolgt Moskau gemeinsam mit Washington: Der Staat Syrien muss ungeteilt erhalten bleiben. Aber das, so will es Moskau, mit den existierenden Strukturen, also jenen des Regimes von Bashar al-Assad. Denn nur in einem funktionierendem Staat kann Russland seinen strategischen Einfluss in der Region aufrechterhalten oder ausbauen – siehe Russlands einzige Marinebasis im Mittelmeer, nahe der Stadt Latakia. Dass Diktator Assad an der Macht bleiben soll, liegt Moskau hingegen weniger am Herzen. Bevor politische Lösungen für Syrien ausverhandelt werden, will Moskau aber Fakten auf dem Boden sehen – das heißt, die wichtigsten militärischen Gegner müssen besiegt sein.
USA
Auch Washington wünscht den Erhalt der staatlichen Integrität Syriens und die Zerschlagung des „Islamischen Staates“ und seiner Milizen. Zudem pochen die USA auf eine säkulare Ausrichtung des Landes und die Möglichkeit für das Volk, selbst über die Führung des Landes zu entscheiden. Unverrückbar für die USA aber ist: Assad muss weg. Vorstellbar ist bestenfalls eine Lösung, die den Diktator sehr kurz im Amt lässt, bis eine Übergangsfigur gefunden ist.
Türkei
Der Sturz von Diktator Assad, auf den die Führung in Ankara gesetzt hatte, hat sich nicht realisiert. Kategorisch hat die Türkei bisher seinen Abgang gefordert. Jetzt zeigt man sich erstmals konzilianter: Möglicherweise könnte der Diktator noch bis zu sechs Monate im Amt bleiben – und dann abgelöst werden, sobald eine politische Lösung für Syrien gefunden ist. Priorität hat für die Türkei aber vor allem eines: Der Staat Syrien darf nicht zerfallen, oder anders gesagt: An der südlichen Grenze der Türkei darf kein Kurdenstaat entstehen. Als vertrauensbildende Maßnahme fordert man zunächst örtliche Waffenstillstände. Dann könnten einige der 2,5 Millionen Flüchtlinge in der Türkei wieder zurückkehren.
Saudi-Arabien
Das wahhabitische Königreich sieht sich als Regionalmacht und übt seinen Einfluss auch bewusst auf Syrien aus. Diktator Assad ist für Saudi-Arabien ein Todfeind. Das Assad-Regime wird von Alawiten getragen – das sind Schiiten, also erbitterte Feinde der sunnitischen Saudi-Araber. Mit dem Ziel, Assad zu stürzen, wurden verschiedene radikal-islamische Rebellengruppen mit Waffen und Geld ausgestattet. In Riad will man vor allem eines: Den Einfluss des regionalen Konkurrenten, des schiitischen Iran, auf Syrien brechen.
Iran
Bei den Gesprächen gestern in Wien waren sie die großen Abwesenden: Vertreter des Iran. Ohne Einwilligung der schiitischen Regionalmacht im Nahen Osten aber wird es zu keiner Lösung für Syrien kommen. Als Verbündeter des Regimes in Damaskus hat Teheran Tausende Milizionäre nach Syrien geschickt. Der Iran will in Syrien seinen Einfluss erhalten – und jenen Saudi-Arabiens nicht stärker werden lassen. Die Todfeinde Iran und Saudi-Arabien zu Kompromissen zu bringen, wird eine der größten Herausforderungen bei der Suche nach einer Lösung für Syrien werden.
Die EU
Vorrangiges Ziel der EU ist ein Ende der Kämpfe in Syrien. Dies würde einen Großteil der Flüchtlingsströme zum Versiegen bringen, hofft man. Zudem könnte Zigtausende Asylsuchende bald in ihre Heimat zurückkehren. Innerhalb der EU gibt es zur Person Assads verschiedene Positionen: Deutschland sagt, man muss Assad in Verhandlungen einbinden, Frankreich ist strikt dagegen.
Wladimir Jakunin im KURIER-Interview: Der langjährige Chef der russischen Eisenbahnen gilt als enger Vertrauter Putins und wichtiger politischer Vordenker in Moskau. Zur Feier des 60. Jahrestages der österreichischen Neutralität war Wladimir Jakunin in Österreich.
KURIER: Wie beurteilen Sie den Gipfel in Wien? Gibt es Lösungen für Syrien?
W. Jakunin: Kein Land alleine kann die Probleme in dieser Krisenregion lösen. Die Welt muss verstehen, dass es dafür Kompromisse braucht und den guten Willen aller Beteiligten: die arabischen Länder, Europa, USA, Russland. Die Haltung der Amerikaner, dass sie exklusive Rechte, etwa für den Einsatz militärischer Gewalt, haben, ist nicht akzeptabel. Nur, um ihre eigenen Interessen zu verteidigen.
Wie beurteilen Sie die Haltung der USA?
Erinnern Sie sich an das Scheitern der UdSSR. Da meinte man auch, ein riesiges Land aus einem Zentrum, Moskau, steuern zu können.
Warum glaubt man heute, dass man die gesamte Weltpolitik, die gesamte Weltwirtschaft, von einem Zentrum aus steuern kann?
Im Nahen Osten, von Afghanistan bis Syrien sehen wir, dass das nicht funktioniert. Syrien ist Mitglied der UNO. Sollten wir nicht auch die zur Verantwortung ziehen, die gegen ein UN-Mitglied vorgehen? Gab es dafür Entscheidungen des Sicherheitsrates, der UN-Generalversammlung? Ich kenne keine. Wir müssen auf Basis internationalen Rechts vorgehen.
Sie glauben also an eine Zusammenarbeit mit Assad?
Warum existiert die Idee, dass man zuerst das politische System in Syrien zerstören muss? Und nachher kommt die perfekte Zukunft? Libyen, Irak – haben diese Krisen uns keine Lektionen gelehrt?
Was bedeutet für Sie Österreichs Neutralität heute?
In meinem politischen Verständnis ist Österreichs Neutralität extrem wichtig, und zwar eine aktive Neutralität, die auch bereit ist, sich im Auftrag der UNO für den Frieden zu engagieren. Die blockfreien Staaten spielten einst eine extrem wichtige Rolle, und ich glaube, es ist wichtig, die neutralen Staaten heute als Grundlage für eine neue politische Plattform zu betrachten.
Wie kann es in der Ukraine weitergehen?
Der Konflikt in der Ukraine wird als Konflikt zwischen Russen und Ukrainern dargestellt. Dabei ist es ein Bürgerkrieg, der durch sehr schädliche, aggressive Einflussnahme von außen entstanden ist, in einer sehr heiklen Situation. Hat nicht Bismarck gesagt, dass nur der Narr aus seiner eigenen Erfahrung lernen muss? Hat uns die Geschichte diese Lektion noch nicht gelehrt?
Es mag ja seltsame Menschen an der Spitze der Ukraine geben, die einen NATO-Beitritt anpeilen. Das sollte man aber lieber einen Psychiater beurteilen lassen und nicht politische Experten.
Wächst die Kluft zwischen Europa und Russland?
Das sind doch nur Versuche, die europäische Geschichte umzuschreiben. Auf einmal sind Nordafrikaner Europäer und nicht die Russen, das ist doch nicht ernst zu nehmen.
Wie kann man zu einem Ende der Sanktionen gegen Russland kommen?
Von Sanktionen könnte man nur sprechen, wenn diese vom UN-Sicherheitsrat verhängt worden wären, das ist die einzige Institution, die das kann. Es handelt sich also um einen wirtschaftlichen Krieg gegen Russland, der aufgrund der Entscheidung der USA eröffnet wurde.
Geht es in diesem Konflikt nicht auch um europäische Grundwerte?
In Europa spricht man so gerne von Freiheit und Transparenz. Aber was passiert gerade dem ungarischen Premier Viktor Orban? Ist das Demokratie, ist das Freiheit, jemanden so zu behandeln, ihn zu verdammen, nur weil er eine Haltung vertritt, die in Brüssel abgelehnt wird. Das ist ein nicht erklärter Wirtschaftskrieg, nur weil man die Politik eines Landes nicht mag.
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