Giftgas-Belege in der Aktentasche

A Free Syrian Army fighter sits on a sofa inside a house in Deir al-Zor May 13, 2013. Picture taken May 13, 2013. REUTERS/Khalil Ashawi (SYRIA - Tags: CONFLICT TPX IMAGES OF THE DAY)
In Washington wollte der türkische Premier Erdogan die USA in die Pflicht nehmen

1,5 Million Syrer sind bereits ins Ausland geflohen. Fünf Millionen sind in Syrien selbst auf der Flucht – praktisch ohne jede Hilfe. Offiziell sind nach zwei Jahren Krieg 94.000 Menschen tot. Und die Krise wächst sich zunehmend auf die umliegenden Länder aus: den Irak, den Libanon und – wie zuletzt durch die Bombenanschläge in der türkischen Grenzstadt Reyhanli deutlich wurde – auf das NATO-Land Türkei.

Am Donnerstag war der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan zu Gast in Washington. Ein brisanter Besuch. Denn es ist klar, was die Türkei in Sachen Syrien anstrebt – und damit auch, was das bestimmende Thema von Erdogans Besuch war: Ankara will seinen NATO-Verbündeten USA vermehrt in die Pflicht nehmen, aktiver einzuschreiten. Genauer: die Durchsetzung einer Flugverbotszone über Syrien, was einer Zerschlagung der syrischen Luftwaffe und damit einem Luftkrieg gleichkäme.

Ganze zwei Stunden wollte sich Obama für seinen Gast Zeit nehmen. Für den Abend war dann noch ein Dinner zu Ehren eines der wichtigsten Verbündeten der USA in Nahost geplant. Erdogan seinerseits wollte Obama neue Belege dafür vorlegen, dass in Syrien chemische Waffen zum Einsatz gekommen seien. Etwas, das der US-Präsident einmal als „rote Linie“ für einen Militäreinsatz bezeichnet hatte. Die USA stehen einem solchen heute aber skeptisch gegenüber – noch viel mehr als der Bewaffnung der Rebellen.

Syrien-Konferenz

Ein weiteres Thema war die Syrien-Konferenz, die die Außenminister der USA und Russlands, Kerry und Lawrow, vorgeschlagen hatten. Unklar ist, wer daran teilnehmen soll. Russland will den Iran sowie Saudi-Arabien mit am Tisch sehen. Unklar ist aber vor allem, welche Personen seitens Opposition und Regierung gewillt wären, einander gegenüberzusitzen.

Die derzeitige Flut an diplomatischen Bemühungen kommt in Zeiten, da die syrische Opposition mehr und mehr in die Kritik gerät. Zugleich wird immer undeutlicher, wer die Opposition ist, und ob ihre Strukturen die Realität auf den Schlachtfeldern widerspiegeln.

Zuletzt tauchten täglich Videos im Internet auf, auf denen zu sehen ist, wie Rebellen-Brigaden Gefangene exekutieren – oder die Leichen getöteter Soldaten verstümmeln. Eines der Videos zeigt die Exekution dreier Männer in der bisher einzigen von den Rebellen gehaltenen Provinzhauptstadt ar-Raqqa. Ein anderes, wie elf gefesselte Männer, einer nach dem anderen, per Kopfschuss hingerichtet werden – auf Basis von Scharia-Urteilen.

Es ist entsetzlich. Nicht nur, dass der Krieg in Syrien immer bestialischere Formen annimmt – bis hin zu angedeutetem Kannibalismus –, es ist auch schon jeder vierte Einwohner auf der Flucht, jeder dritte ist auf Hilfe angewiesen. Ein Ende der Tragödie zeichnet sich nicht ab: Im Land herrscht ein militärisches Patt zwischen den unterschiedlichen Rebellen-Gruppen sowie den Regierungstruppen, und die internationale Politik findet keinen Hebel, den so erbittert geführten Konflikt zu beenden. Was tun?

Waffenlieferungen an die Aufständischen? Das wäre Wahnsinn, leicht könnten diese in die Hände der Islamisten mit El-Kaida-Kontakten gelangen, die jetzt schon ein bestimmender Faktor sind.

Eine Flugverbotszone, wie sie der türkische Premier Erdogan bei seinem USA-Besuch Präsident Obama abtrotzen wollte? Das würde den Rebellen und auch den Zivilisten Erleichterung bringen, wäre aber mit einer direkten Intervention der NATO verbunden, der die UN-Veto-Macht Russland nie zustimmen würde.

Eine politische Lösung? Ja, lieber heute als morgen. Doch wer verhandelt mit wem? Die säkulare Opposition ist weiter zerstritten, die Islamisten wollen einen Gottesstaat vor den Toren Europas, die Kurden kochen sowieso ihr eigenes Süppchen, und an den Händen des Assad-Regimes klebt zu viel Blut. Und dann wären da noch Saudi-Arabien sowie der Iran, die ebenfalls mitmischen: Riad durch eine Aufrüstung der extremistischen Anti-Assad-Kämpfer, Teheran über die libanesische Hisbollah, die schon direkt auf der Seite Damaskus’ eingriff.

Syrien-Konferenz als Strohhalm

Vor diesem Hintergrund steht die von Washington und Moskau für den Juni angepeilte Syrien-Konferenz unter keinem guten Stern. Freunde und Gegner Assads im Land und in der Region haben bereits starkes Misstrauen erkennen lassen, weil sie ein Diktat der beiden „Großen“ befürchten. Genau dazu sollte es aber kommen. Nur wenn sich die zwei wichtigsten Player auf eine gemeinsame Lösung einigten, wäre der Konflikt beherrschbar – ehe er auf den Libanon, Jordanien, den Irak oder Israel überschwappt. Die Konferenz ist ein dünner Strohhalm – aber momentan das Einzige, woran man sich klammern kann.

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