Syrien: Dutzende Tote bei Luftangriff
In Syrien sind offenbar Dutzende Menschen bei einem Luftangriff der Regierungstruppen nahe der türkischen Grenze getötet worden. Die Rebellen sprachen am Mittwoch von mindestens 30 Toten. In der Hauptstadt Damaskus wurden bei einer Bombenexplosion in der Nähe eines von den Vereinten Nationen genutzten Hotels drei Menschen verletzt. Darunter seien keine UNO-Mitarbeiter, erklärte die syrische Regierung. Angesichts der abermals eskalierenden Gewalt in Syrien warf die UNO sowohl Regierungstruppen als auch Rebellen Kriegsverbrechen vor. Bei dem seit fast eineinhalb Jahr anhaltenden Aufstand gegen Präsident Bashar al-Assad sind schätzungsweise 18.000 Menschen getötet worden.
Ein syrisches Kampfflugzeug bombardierte den Rebellen zufolge die Grenzstadt Azaz im Norden des Landes. In einem von den Aufständischen veröffentlichten Video war zu sehen, wie Bewohner blutüberströmte Leichen aus eingestürzten Gebäuden holten. Zudem war der von Staub bedeckte Arm eines Kindes zu sehen, als eine Menschenmenge Betonstücke zur Seite räumte. Es war zunächst nicht möglich, die Authentizität der Aufnahmen unabhängig zu bestätigen.
"Dies ist eine echte Katastrophe", sagte einer der Aufständischen. "Eine ganze Straße wurde zerstört." Den Rebellen zufolge wurden bei dem Luftangriff auch sieben libanesische Geiseln verwundet, die in der Stadt festgehalten werden. Vier weitere würden noch vermisst, sagte ein Kommandant der Aufständischen.
Zivilisten unter den Opfern
Der Angriff galt laut dem Präsidenten der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Abdel Rahman, einem früheren Sitz der regierenden Baath-Partei, der von den Aufständischen als Hauptquartier genutzt wird. Unter den Opfern seien sowohl Zivilisten als auch Aufständische. Augenzeugen sagten einem AFP-Reporter, mindestens zehn Wohnhäuser seien zerstört worden.
Auf Facebook bekannten sich zwei Rebellengruppen zu dem Anschlag und erklärten, es seien 50 Soldaten getötet worden. Rivalisierende Aufständische bekennen sich häufig zu demselben Angriff, ohne dass der Urheber klar ist.
Die 70.000-Einwohner-Stadt Azaz liegt nördlich der seit Wochen umkämpften Handelsmetropole Aleppo nahe der türkischen Grenze und dient vielen Rebellen als Basis. In Aleppo dauerten die Kämpfe am Mittwoch an. Die Armee griff u.a. mit Hubschraubern und Bodentruppen an.
In Damaskus verübte die Rebellen-Armee FSA nach eigenen Angaben einen Bombenanschlag auf ein Treffen von Armeeoffizieren in einem Büro des Generalstabs. Fünf Menschen wurden nach Armeeangaben bei der Explosion verletzt, das Staatsfernsehen zeigte einen explodierten Tanklastwagen. Laut der Beobachtungsstelle feuerten Rebellen Raketen auf den Regierungssitz im Viertel Masseh, später waren dort Schusswechsel zu hören, schwarzer Rauch stieg auf.
UNO-Bericht: "Verbrechen gegen die Menschlichkeit"
In Genf gingen die Vereinten Nationen unterdessen mit beiden Konfliktparteien hart ins Gericht. Es gebe glaubwürdige Gründe anzunehmen, dass syrische Regierungseinheiten Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt haben, erklärten UNO-Menschenrechtsexperten. Dazu gehörten Mord, Folter, "willkürliche Verhaftungen und Festnahmen, sexuelle Gewalt, wahllose Angriffe, Plünderungen und die Zerstörung von Eigentum". Auch die Rebellen hätten Kriegsverbrechen begangen. Ihre Vergehen erreichten aber weder den Schweregrad, die Häufigkeit noch die Größenordnung der Verbrechen der Regierungseinheiten.
Seit 17 Monaten kämpfen Aufständische in Syrien gegen die Herrschaft von Präsident Assad. Die Staatengemeinschaft ist sich uneins, wie ein Ende der Gewalt erreicht werden kann. Diplomaten zufolge sollte am Mittwoch auf dem Gipfeltreffen der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) der Ausschluss Syriens aus der Gemeinschaft beschlossen werden. Begründet wurde der Schritt mit dem Scheitern des Friedensplan des zurückgetretenen Syrien-Gesandten Kofi Annan sowie damit, dass die Führung in Damaskus weiterhin auf eine militärische Lösung setze. Der OIC gehören 56 Staaten und die palästinensische Autonomiebehörde an. Der Schritt ist überwiegend symbolisch, zeigt aber die Spaltung der muslimischen Welt: Während der Iran die Regierung in Damaskus unterstützt, stehen Katar, Saudi-Arabien und die Türkei auf der Seite der Opposition.
Die saudi-arabische Tageszeitung "Al-Hayat" zitierte aus einem Entwurf des Schlussdokuments für das Gipfeltreffen der Organisation, das derzeit in Mekka stattfindet. Der Resolutionsentwurf, der in der Nacht zum Donnerstag angenommen werden sollte, bezeichnet das Assad-Regime als "illegitim". Es müsse die Anwendung von Gewalt und die Verletzung der Menschenrechte "unverzüglich stoppen", heißt es darin weiter.
US-Verteidigungsminister Leon Panetta sagte in Washington, es gebe Hinweise, dass der Iran gegenwärtig versuche, in Syrien Milizen aufzustellen und zu trainieren. Diese sollten auf der Seite der Regierungstruppen kämpfen. "Wir sehen einen steigenden Einfluss des Irans, und das gibt Anlass zu tiefer Sorge." Zugleich hob die US-Regierung am Dienstag ihre Sanktionen gegen den syrischen Ex-Ministerpräsidenten Riad Hijab auf, der zur Opposition übergelaufen und nach Jordanien geflohen war.
Der russische Außenminister Sergej Lawrow warf dem Westen vor, durch die Unterstützung der Rebellen der Gewalt in Syrien Auftrieb zu geben. In den kommenden Tagen müssten die westlichen Partner erklären, ob sie zur Umsetzung ihrer Genfer Erklärung von Ende Juni seien, sagte Lawrow bei einem Besuch im weißrussischen Minsk. Die Außenminister der fünf UNO-Vetomächte und arabischer Staaten hatten darin die Bildung einer Übergangsregierung gefordert, der auch Vertreter der bisherigen Regierung angehören könnten.
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