Symbol für westlichen Lebensstil attackiert

Nachtclub "Reina" am Bosporus: Angriff galt westlicher Liberalität
Konservative Türken lehnen Silvesterfeiern als christlich-europäischen Brauch ab.

Der 2002 gegründete Nachtclub "Reina" in Istanbul galt nach dem Aufruf zu Terrorattacken in der Türkei durch den Anführers der Terrormiliz "Islamischer Staat" Abu Bakr al-Bagdadi sehr wohl als Anschlagsziel. Immer. Aber zu Silvester erst Recht: Als Ort des ausgelassenen Vergnügens, wo säkulare Türken Silvester entgegen türkischer Traditionen mit Geschenken und lauter Musik groß feiern.

Zuletzt hatte in der Türkei auch von regierungsnahen Stellen die Hetze gegen die "unislamischen" Feiern zu Silvester stark zugenommen. So titelte Milli Gazete, die Parteizeitung der Islamistenpartei Saadet, in der viele Politiker der heutigen AKP-Regierung groß geworden sind: "Letzte Warnung. Feiert nicht Neujahr!"

Konservative Türken scheuen Silvester, weil westlich orientierte Türken den Jahreswechsel teilweise sogar mit Tannenbaum und Packerln feiern – Weihnachtsmannkostüm inklusive.

"Andere Kultur"

Auch in der Freitagspredigt am Tag vor Silvester hörten die Gläubigen in den türkischen Moscheen, es gehöre sich "niemals für die Gläubigen, zum Ende eines Jahres sich selbst und den Zweck der Schöpfung vergessend illegitime Verhaltensweisen an den Tag zu legen, die keinen Beitrag fürs Leben leisten und nicht mit unseren Werten zu vereinbaren sind." Es stimme sehr nachdenklich, wurde gepredigt, "wenn in den ersten Stunden eines neuen Jahres verschwenderische Silvesterfeiern begangen werden, die einer anderen Kultur entstammen".

Verschwenderisch, das waren die Feiern im Nachtclub "Reina" immer, nicht nur zu Silvester. Das hinter hohen Mauern versteckte Lokal direkt am Bosporus mit einem atemberaubenden nächtlichen Blick auf die beleuchtete Brücke und das gegenüberliegende Ufer war der Treffpunkt der Reichen und Schönen Istanbuls. Wer immer als Celebrity in die Stadt kam, ob zu einem Konzert, einem Fußballspiel oder einer Modenschau, ließ die Nacht in dem Lokal, in dem Geld keine Rolle spielen durfte, mit Prunk und Gloria ausklingen. Wer hier seine Hochzeit, seine Geschäftsabschlüsse oder die Matura seiner Kinder feiern konnte, hatte es in Istanbuls High Society geschafft. Wer es sich leisten konnte, kam mit dem eigenen Schiff direkt zum "Reina". Sportler wie Michael Schumacher schauten ebenfalls hier vorbei wie Politiker.

Schicki-Micki-Club

In den noblen Schicki-Micki-Club durfte nur ausgewähltes, zahlungskräftiges Publikum. Auch viele Touristen zog es hierher, um dabei zu sein; hier wehte der liberal-säkulare Geist wie sonst nirgends in der Türkei, schwärmen viele. Wie kein anderer Nachtclub stand das "Reina" für ausgelassenes Vergnügen – bis zum Blutbad am Neujahrstag.

Danach beeilte sich die Religionsbehörde Diyanet, die für den Text der Freitagspredigt verantwortlich zeichnet, die Tat zu verurteilen. "Es macht keinen Unterschied, ob diese barbarische Tat in einem Basar oder in einem Gotteshaus oder in einem Ort der Unterhaltung ausgeführt wird", formulierte es Diyanet-Chef Mehmet Görmez am Sonntag. "Ich verurteile die Terroristen scharf, die dieses Massaker ausgeführt haben, das kein muslimisches Gewissen verantworten kann."

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