Junge sind die Verlierer der Krise

Junge sind die Verlierer der Krise
EU-weite Studie zeigt starkes Gefälle zwischen den Generationen, Nord- und Südeuropa.

Größter Verlierer der Wirtschafts- und Finanzkrise in der EU ist der Nachwuchs: Rund 26 Millionen Kinder und Jugendliche sind von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht – mit 27,9 Prozent also gut jeder Vierte der unter 18-Jährigen. Und fast jeder fünfte Europäer unter 25 Jahren ist weder in Ausbildung noch in Arbeit, hat also derzeit keine Zukunftsperspektive. Diese Details der Studie über soziale Gerechtigkeit in den EU-Staaten sind für Studienautor Daniel Schraad-Tischler von der Bertelsmann Stiftung auch die gravierendsten: "Die negative Entwicklung seit 2007 für die Kinder und Jugendlichen ist krass. Dass man die schwindenden Chancen der unter 18-Jährigen und die steigende Armut und soziale Ausgrenzung der Generation unter 25 Jahren so deutlich sieht, hat mich schon überrascht."

Der 38-jährige deutsche Politologe unterstreicht im KURIER-Gespräch die wachsende Kluft zwischen Alt und Jung. "Im gesamten EU-Vergleich sind die Verdienstchancen der Jungen durch die Krise stark gesunken, während die Renten und Einkommen der Älteren stabil geblieben sind. Das zeigt sich auch daran, dass sich bei den über 65-Jährigen das Risiko der Altersarmut von 24,4 Prozent auf 17,8 Prozent verringert hat."

Aber auch die steigende Verschuldung der öffentlichen Haushalte in der Krise belaste vor allem die Jugend: Die Investitionen in Bildung, Forschung und Entwicklung – also in die Zukunft – stagnierten in Folge. Schraad-Tischler: "Wer in Bildung und Ausbildung der Jungen nicht investiert, hat in der Folge viel höhere soziale und ökonomische Folgekosten zu schultern." Oder wie es Bertelsmann-Vorstandsvorsitzender Aart de Geus formuliert: "Wir können uns eine verlorene Generation in Europa weder sozial noch ökonomisch leisten."

Studienautor Schraad-Tischler spricht von "sozialem Sprengstoff". "Auf längere Sicht ist es gefährlich, wenn das Ungleichgewicht so groß ist. Die Jugendlichen, die keine Perspektive sehen, werden auf die Straßen gehen. So wie wir das schon in Spanien gesehen haben." In Spanien kletterte der Anteil der 20- bis 24-Jährigen, die weder arbeiten noch in Ausbildung sind, von 16,6 auf 24,8 Prozent. In Italien sogar von 21,6 auf 32 Prozent. Hier bedürfe es dringend auch Strukturreformen.

In den vier südeuropäischen Ländern Spanien, Griechenland, Italien und Portugal leben zudem 7,6 Millionen Kinder in Armut – um 1,2 Millionen mehr als 2007. Aber auch in Großbritannien gelten 32,6 Prozent der Kinder von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht, in Ungarn sind es sogar 41,4 Prozent.

Österreich auf Platz 6

Spitzenreiter in Sachen sozialer Gerechtigkeit sind wieder einmal die Skandinavier‚ (siehe Grafik). Österreich rangiert, noch vor Deutschland, auf dem sechsten Platz in der EU-weiten Studie, in der 35 Kriterien – von der Arbeitslosigkeit über den Zugang zur Bildung bis hin zum Umweltschutz – verglichen werden. "Das liegt insbesondere am doch gut funktionierenden Arbeitsmarkt in Österreich, also einer vergleichsweisen sehr niedrigen Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit", sagt Schraad-Tischler. "Auch wegen der gut funktionierenden Sozialpartnerschaft schneidet Österreich so gut ab", lobt er "die lang etablierten Strukturen der Sozialpartnerschaft". Die Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften funktioniere, "was vor allem in Krisen eine wichtige, weil stabilisierende Rolle spielt".

Kritik muss Österreich – wie auch Deutschland – einmal mehr beim Zugang zur Bildung einstecken: "Bildung wird in diesen Ländern nach wie vor vererbt." Herkunft und Ausbildung der Eltern hätten also nach wie vor zu großes Gewicht für die Zukunftschancen des Nachwuchses.

Junge sind die Verlierer der Krise

Geld ist nicht alles, aber das erste volle Gehalt ist etwas Besonderes. Am Monatsletzten kommt die Abrechnung: 2120 Euro brutto, nach Abzug von Steuer und Sozialversicherung: 1472,12 Euro netto. Das ist das Durchschnittsgehalt eines Akademikers beim Berufseinstieg heute. Genau wie vor zehn Jahren.

Nominell sind die Gehälter für Einsteiger nach Matura oder Studium gleichgeblieben (siehe Grafik unten). Vor zehn Jahren verdiente ein WU-Absolvent 2280 Euro brutto im Monat, heute sind es 2370 Euro (oder 33.200 Euro brutto im Jahr). Das Durchschnittsgehalt der HTL-Absolventen 2005: 1890 Euro; heuer: 1960 Euro. Bei einer Teuerung von 21 Prozent seither sind die Gehälter von jungen Einsteigern also real massiv gesunken.

Conrad Pramböck, Gehaltsexperte der Executive-Search-Firma Pedersen & Partners, lieferte die Zahlen eigens für den KURIER. Wir haben Personalexperten damit konfrontiert. Die Reaktionen: erst überrascht, dann nüchtern zustimmend.

"Vor zehn Jahren war die Marktlage eine völlig andere", sagt Personalberaterin Manuela Lindlbauer. "Wir hatten Hochkonjunktur, Firmen haben Mitarbeiter gesucht, expandiert. Aber das ist lange vorbei." Ihrer Meinung nach waren die Gehälter damals "am obersten Limit". Jetzt, wo alle einsparen, müssen die Kosten runter. "Das bekommen vor allem die Einsteiger stark zu spüren", sagt Lindlbauer. "Gegen die Gehaltsvorrückungen der Stammbelegschaft können Firmen wenig tun, sie stehen deshalb bei den Einsteigern auf der Kostenbremse", sagt Gisela Titelbach, HR-Consulterin bei Iventa.

Conrad Pramböck sieht wachsende Ansprüche. "Wo früher ein Maturant gereicht hat, nimmt man heute einen Akademiker. Nicht nur, weil die Jobs komplexer geworden sind. Auch, weil es genug Akademiker auf dem Markt gibt. Ist die Konkurrenz groß, drückt das den Preis." Zudem seien die Jungen, weil noch ohne Berufserfahrung – austauschbar. Für jeden ausgeschriebenen Job bewerben sich Hunderte Einsteiger, die alle das gleiche Können mitbringen.

Junge sind die Verlierer der Krise
Für Personalexpertin Titelbach "werden die Jungen heute zu niedrig bezahlt. Früher waren Wohnungen günstiger und das Gehalt in Relation höher. Für junge Menschen ist es viel schwieriger geworden, bei den gestiegenen Lebenskosten ein Auslangen zu finden." Gesellschaftspolitisch hätten die niedrigen Einstiegsgehälter viel Sprengkraft. "Setzt man sie in Beziehung zu den Pensionen, haben wir ein Problem. Es arbeiten immer mehr junge Leute für wenig Geld. Damit wird es schwierig, die steigenden Pensionsausgaben zu finanzieren", so Pramböck. Die Frage sei: Wie kann man es schaffen, junge Menschen auf ein Gehaltsniveau zu bringen, das ihnen einen Lebensaufbau ermöglicht. "Ohne zu erben, mit einem normalen Job, wird man heute nicht mehr reich. Das war früher möglich, in Banken und Telekomfirmen. Heute können sich die Jungen aus eigener Kraft kein Wohnungseigentum mehr leisten", sagt Pramböck.

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