Streit um private Seenotretter: Helfer oder Lockvögel im Meer?
Es ist Sommer, beste Überfahrtszeit übers Mittelmeer, und damit ist auch sie wieder da: die Debatte um private Seenotretter. Schiffe müssen Menschen aus Seenot retten, wenn sie können. Daran ist nicht zu rütteln, das besagt das internationale Seerecht. Die italienische Küstenwache brachte erst am Dienstag 47 von ihr gerettete afrikanische Migranten in einen sizilianischen Hafen.
Es ist generell die Küstenwache oder Finanzpolizei, die den Großteil der Rettungsarbeit leistet: Von den gut 3000 Migranten, die heuer in Italien angekommen sind, wurde nur jeder zehnte von privaten Helfern gerettet, berichtete die Zeitung La Repubblica unter Berufung auf Zahlen aus dem Innenministerium in Rom.
Eine Million Euro Strafe
Sieben NGO-Rettungsschiffe waren bis vor kurzem im Mittelmeer im Einsatz. Zwei der Schiffe – die „Alex“ und die „Sea-Watch-3“ von Kapitänin Carola Rackete – haben trotz des Verbots durch Matteo Salvini in Lampedusa angelegt und wurden beschlagnahmt. Der Innenminister schäumte vor Wut, als Rackete enthaftet wurde. Am Dienstag schlug er zurück: Wer einen italienischen Hafen trotz Verbots ansteuert, muss künftig nicht mit 50.000 Euro Geldstrafe rechnen (und der Beschlagnahme des Schiffes), sondern gleich mit einer Million Euro.
Damit erübrigt sich die Idee der NGO Sea-Watch, die Spenden für Rackete in Höhe von rund 1,4 Millionen Euro auf mehrere Hilfsorganisationen aufzuteilen.
Salvini schwimmt dank seiner Politik der „geschlossenen Häfen“ auf einer Popularitätswelle: Seine ultra-rechte Lega führt in Umfragen mit 38 Prozent klar mit 15 Punkten vor der linken PD.
In Europa wird derweil vor allem eine Frage debattiert: Ziehen Schiffe, die im Mittelmeer schippern, um Menschen in Seenot retten zu können, Bootsflüchtlinge an? Wagen sich deshalb mehr Migranten aufs Meer?
Unbedingt, antworten Salvini oder auch der frühere Bundeskanzler Sebastian Kurz. Die NGOs würden „falsche Hoffnungen“ wecken und „womöglich unabsichtlich noch mehr Menschen in Gefahr zu locken“, sagte Kurz der Welt am Sonntag. „Solange die Rettung im Mittelmeer mit dem Ticket nach Europa verbunden ist, machen sich immer mehr Menschen auf den Weg.“
Ist das so? Ist es ein „Pull-Faktor“?„Nein, das ist falsch, auch wenn das Argument auf den ersten Blick plausibel aussieht“, beantwortet Migrationsforscher Franck Düvell die Fragen des KURIER. „Kein einziger Migrationsforscher hat dafür einen wissenschaftlichen Beleg“, betont der Experte vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung in Berlin.
Rette sich, wer kann
„Es zieht die Menschen nichts nach Europa, sondern sie flüchten, weil jemand hinter ihnen ist, der ihnen an Leib und Leben will. Die Menschen, die auf ein Boot gehen, stehen mit dem Rücken zum Meer.“ Der Deutsche hat als Forscher an der Uni Oxford bis Herbst 2018 viele tiefschwarze Geschichten von Überlebenden an den Küsten Italiens und Maltas gehört. Die wenigsten aber seien aus ihren Heimatländern aufgebrochen, um in Europa ihr Glück zu suchen. Gut 90 Prozent, sagt Düvell, wollten in Afrika bleiben. Mangelnde Jobs und Sicherheit trieben sie immer weiter, bis sie nach ein, zwei Jahren in Libyen ankämen. Seenotretter wären sicher nicht der Grund, sagt er. Das ölreiche Land galt als „Golfstaat Nordafrikas“, auch heute gibt es noch Jobs und Geld hier.
Nur von Sicherheit ist im Raum Tripolis, wo Milizen gegeneinander kämpfen, keine Spur mehr. Milizen entführen auch Gastarbeiter, rauben sie aus, nehmen sie in Geiselhaft und erpressen Geld von Angehörigen. Wer kann, flüchtet – auch aufs Meer in Richtung Europa. „Manche werden auch, wenn sie ausgepresst sind wie die Zitronen, von Milizen auf Boote getrieben, nur um sie loszuwerden.“
Der Ausweg? Kein leichter: Entlang der Migrantenrouten in Afrika Entwicklungshilfe leisten und für Sicherheit sorgen. Libyen stabilisieren, eine funktionierende Regierung und Polizei etablieren. Dann wäre der Druck, übers Meer weiter zu fliehen, weitaus geringer. Düvell sieht hier die EU in der Verantwortung.
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