Streit um Brenner spitzt sich zu: Vorwürfe aus Italien

Brenner: Kontrollen bald möglich
Österreich "unvernünftig": Innenministerium zeigt sich demonstrativ gelassen.

Die möglichen Grenzkontrollen am Brenner sind in Planung, die Bauarbeiten haben begonnen. Italiens Regierung ist empört und in Brüssel dagegen tätig geworden. Außenminister Paolo Gentiloni und Innenminister Angelino Alfano richteten einen gemeinsamen Brief an den für Inneres und Migration zuständigen EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos. Die beiden setzen sich darin für ein sofortiges Eingreifen der EU-Kommission "zum Schutz der fundamentalen Werte der Union" ein. Die Kommission solle "dringend prüfen", ob die geplanten Maßnahmen Österreichs mit dem Schengen-Abkommen im Einklang seien, schrieben die beiden Minister.

Die beiden italienischen Minister hoben hervor, dass Grenzkontrollen im EU-Raum, nur bei "akuter" Gefahr für die innere Sicherheit und die öffentliche Ordnung eingeführt werden dürfen. Angesichts der 2014 gestärkten Polizeikooperation zwischen Italien und Österreich, sowie den gemeinsamen Kontrollen auf Straßen und Bahnstrecken unweit der Grenze seien die Maßnahmen der österreichischen Regierung zur Grenzenschließung ungerechtfertigt.

Angelino Alfano warf Österreich auch "Unvernunft" vor. "Wenn wir in Europa sicherer sein wollen, müssen wir enger zusammenarbeiten, Informationen austauschen und nicht streiten", sagte Alfano in einem Interview mit dem TV-Sender Sky am Mittwoch. "Die Zahlen sind deutlich: Es sind mehr Flüchtlinge von Österreich nach Italien eingewandert, als umgekehrt", sagte Alfano. Österreich dürfe die "Regeln der Vernunft" nicht missachten, denn die Schäden für die Wirtschaft wären enorm, ohne dass es weder in punkto öffentliche Sicherheit noch in der Bewältigung der Flüchtlingskrise zu Vorteilen komme.

Am Dienstagabend hatte schon der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi Österreich aufgerufen, die EU-Regeln zu respektieren. "Wir akzeptieren keine Stellungnahmen gegen die europäischen Spielregeln", betonte Renzi. Daher habe Italien "im Interesse Südtirols und der Bevölkerung" Erklärungen von Brüssel zu Österreichs Grenzmanagement verlangt. "Wir haben das Recht und die Pflicht, zu prüfen, was am Brenner geschieht", so Renzi.

"Nichts anderes als in Spielfeld"

Die EU-Kommission wartet derweil auf mehr Informationen aus Österreich. Erst dann könnten die in Aussicht gestellten Maßnahmen "aus der Sicht der Notwendigkeit und der Verhältnismäßigkeit beurteilt werden". Bereits am Dienstag hatte die Brüsseler Behörde ihre tiefe Besorgnis über die Pläne Österreichs ausgedrückt. Es wurden im Fall der Umsetzung auch ernsthafte Reaktionen erwogen, ohne diese näher anzuführen.

Alfano aber sagte, er habe bereits eine erste Antwort von EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos erhalten. "Avramopoulos ist absolut auf unserer Linie. Wir fordern Brüssel auf, zu prüfen, ob Österreichs Verhalten dem Schengen-Abkommen entspricht. Die Gefahr besteht, dass Österreichs Verhalten nicht der goldenen Regel der Vernunft entspricht", sagte Alfano.

Das österreichische Innenministerium zeigte sich darob gelassen. Es handle sich um nichts anderes als das Grenzmanagement in Spielfeld und sei klar mit dem Schengen-System vereinbar, sagte Innenministeriumssprecher Hermann Muhr am Mittwoch der APA. Dies habe Ministerin Johanna Mikl-Leitneram Dienstagabend auch bei einem Telefonat mit Avramopoulos betont. Je nachdem, wie sich nun die Lage entwickle, werde künftig auch am Brenner optional kontrolliert werden. "Die Kontrolldichte ist abhängig vom Erfolg der italienischen Maßnahmen, unkontrollierte Migrationsströme über den Brenner zu verhindern", sagte Muhr.

Ankünfte in Süditalien verdoppelt

Nach der Schließung der Balkanroute wagen sich indes offenbar immer mehr Flüchtlinge auf den gefährlichen Seeweg von Nordafrika nach Italien. Seit Anfang 2016 hat sich die Zahl der Flüchtlinge, die über das Mittelmeer in Süditalien eintreffen, mehr als verdoppelt. Seit Jahresbeginn wurden 24.000 Migranten verzeichnet, im Vergleichszeitraum 2015 waren es circa 12.000, so das Innenministerium am Mittwoch.

Die humanitäre Organisation Ärzte ohne Grenzen warnte vor den möglichen Auswirkungen einer Schließung der Brenner-Grenze. "Die Gefahr ist, dass Italien und Griechenland zu einem riesigen Flüchtlingslager werden. Europa kann nicht Italien, Griechenland und der Türkei die ganze Verantwortung für den Umgang mit der Flüchtlingskrise überlassen", sagte Loris De Filippi, Präsident von "Ärzte ohne Grenzen" in Italien. Auch Amnesty International warnte vor einer "akuten humanitären Krise", sollte die Brenner-Grenze geschlossen werden.

Streit um Brenner spitzt sich zu: Vorwürfe aus Italien
Karte Nord- und Südtirol, Grenze bis 1918, Verkehrsverbindungen GRAFIK 0414-16, 88 x 110 mm

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