Stocker und Meloni: Gemeinsam gegen illegale Migration, geteilter Blick auf Brenner

In der Politik verhält es sich nicht anders als im privaten Leben: In Freundschaft lässt sich so manches Ziel besser umsetzen. Und gemeinsame politische Ziele, davon gibt es für Österreichs Kanzler Christian Stocker und Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni so einige - die Eindämmung der illegalen Migration etwa oder die Regierung des Brenner-Problems. Kennengelernt habe er die erste Frau an der Spitze der italienischen Regierung ja schon bei den Europäischen Räten in Brüssel, erzählt Stocker im Rahmen seines ersten Arbeitsbesuches in Rom.
Heißer Gang am roten Teppich
Am Dienstag aber stand im prächtigen Palazzo Chigi, im italienischen Regierungssitz, näheres Ausloten der gemeinsamen Ziele auf dem Programm. Der Empfang unter brütend heißer Sonne im Hof des Palais fiel hitzig aus:. Ohne Schattenschutz marschierte Stocker an der Seite der einen Kopf kleineren, aber durchaus resoluten Italienerin am roten Teppich entlang in die Jahrhunderte alten Gemäuer des Regierungssitzes.
Dabei durchaus auch gewollt: Knüpfen freundschaftlicher Beziehungen. So wie Meloni es schon mit Stockers Vorgänger Karl "Carlo" Nehammer gepflegt hatte, dem sie in wahrer Herzlichkeit zugetan gewesen sein soll, wie Beobachter berichten.
Die Chemie stimmte auch durchaus zwischen dem neuen österreichischen Kanzler und der mittlerweile für italienische Verhältnisse schon ungewöhnlich lange (fast drei Jahre) regierenden Giorgia Meloni. Beim Brenner-Problem näherten sich die beiden dennoch von verschiedenen Seiten.
„Bis zu 2,5 Millionen Lkw-Fahrten gehen jährlich über die Brenner-Autobahn, der Durchfluss kann nicht mehr gesteigert werden“, sagt Stocker mit Blick auf die Belastung auf die Bewohner und die Umwelt Tirols. Und auch wenn Meloni das Brenner-Problem an ihren rechten Verkehrsminister Matteo Salvini ausgelagert hat, der auch prompt Österreich vor dem EuGH klagte, bleibt sie ein wenig verhalten. Ein Slot-System für Lkw, also genau geregelter Zeitvergabe für die Fahrten, sagt Meloni nicht so recht zu. Italien beharrt noch immer auf weitestgehend freien Verkehr über die Brenner-Autobahn und sogar noch höhere Frequenz der Fahrten.

Melonis Regierungspartner, Verkehrsminister Matteo Salvini
„Wer Giorgia Meloni kennengelernt hat, ist meistens auf persönlicher Ebene beeindruckt von ihr“, schildert Nino Galetti, Leiter der Konrad Adenauer-Stiftung in Rom. Die vielsprachige Italienerin, mit politischen Wurzeln bei den Neo-Faschisten, sei „politisch pragmatisch und pro-europäisch. Und natürlich betreibt sie eine Art „Italien-zuerst-Politik“, aber dafür sieht sie Europa als ein Vehikel.“ Leute, die sie getroffen hätten, schilderten Meloni, so sagt es Politik-Experte Galetti, als „überaus charmant, politisch klug und intelligent.“
„Sie hat eine sehr klare Sicht auf die Dinge, ihre Energie ist beeindruckend“, beschreibt Stocker die 48-jährige Meloni. Was in der Brenner-Frage deswegen eine politische Lösung mit Österreich noch eine Weile warten lassen wird – führt hingegen beim Thema Migration zwischen Stocker und Meloni zu großer Übereinstimmung.
In Europa hat die Italienerin damit eine Art Themenführerschaft übernommen: Sie trieb Rückführungsabkommen mit Tunesien, Mali, Mauretanien und Ägypten voran. TV-Bilder von überforderten italienischen Behörden, die Tausende Migranten nicht mehr betreuen können, gibt es schon seit zwei Jahren nicht mehr. Was teils daran liegt, dass im Vorjahr tatsächlich nur 60.000 Migranten in Italien landeten – nach 150.000 im Jahr davor. Teils aber auch, weil Schiffe mit Migranten nun norditalienische Häfen ansteuern müssen, wo die Behörden mehr Zeit haben, sich vorzubereiten.
Vor allem aber ließ Meloni zwei Asylzentren im benachbarten Albanien bauen. Zwar stoppten Gerichte das Projekt – und die Lager stehen leer. Doch ganz Europa, auch Österreich, blickt mit großem Interesse auf ein Modell, das Vorbild für ganz Europa werden könnte – nämlich für die Auslagerung von Asylverfahren in Drittstaaten.
Ein großes Hindernis dabei: Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Weswegen Österreich, ebenso wie Italien und sieben weitere EU-Staaten, einen Brief an die EU-Kommission schickten. „Es geht nicht darum, die Menschenrechte abzuschaffen“, hält Stocker fest. Sondern um eine weiter gefasst Interpretation der EMRK.
Das könnte bedeuten: Staaten definieren, was sichere Staaten sind, ohne dass Gerichte das beeinspruchen; die Familienzusammenführung könnte eingegrenzt werden. Noch ist es nicht so weit, aber Italiens ebenso wie Österreichs Regierungsspitzte treffen sich nun nach allen EU-Gipfeln in der Gruppe der sogenannten „like-minded“ Staaten, wo gemeinsam beraten wird.
Stocker und sie, sagte Meloni nach dem Treffen, seien "auf ein und derselben Wellenlänge , was innovative Lösungen in der Migrationsfrage betrifft, weil mit den traditionellen Instrumentarien kann es nicht mehr gehandhabt werden."
Sorgen sind verpufft
Befürchtungen, dass Meloni mit ihren politischen Wurzeln bei den Neo-Faschisten Italien nach weit rechts oder in Richtung Orbans „illiberaler Demokratie“ drehen könnte, haben sich in Europa verflüchtigt. Auch in Österreich waren zunächst Sorgen aufgetaucht, die italienische Regierungschefin könnte an der Südtirol-Frage rühren - die Sorgen verpufften.
Gute Beziehungen pflegt Meloni seit jeher auch zu den USA. „Meloni hat einen besonderen Draht zu Donald Trump, das kann hilfreich sein“, sagt Stocker. Ein Vorteil für die gesamte EU, die die von den USA angedrohten Zollschranken fürchtet. „30 Prozent Zoll hieße für das BIP in Österreich eine Reduktion um 0,5 Prozent. Aber ich hoffe nicht, dass die Zölle solch eine Dimension erreichen.“ So wie die Italienerin setzt Stocker auf vernünftige Verhandlungen mit Washington ohne gleich mit gewaltigen Gegenzöllen zu drohen. "Wir müssen alles daran setzen, dass es zu keinem Handelskrieg zwischen Europa und den USA kommt", bestätigte auch Meloni bei einer Pressekonferenz nach dem Treffen mit ihrem österreichischen Amtskollegen,
Am Freitag reist Stocker zu Macron
Was Stocker von seinem Arbeitsbesuch bei Meloni in Rom noch mitnehmen kann: Wie man eine Dreierkoalition selbst unter schwierigen Bedingungen lang am Leben erhält und dabei noch traumhafte Popularitätswerte erzielt. 45 Prozent der Italienerinnen und Italiener schätzen ihre Regierungschefin hoch – ein Wert, den sonst kein anderer Premier in der EU erzielt.
Am Freitag wird Kanzler Stocker, der die Beziehungen zu sämtlichen europäischen Staats- und Regierungschefs vertiefen will, zu einem Arbeitsbesuch zu Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron nach Paris reisen.
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