Der Wahlkampf in Italien kommt langsam in Fahrt. Statt um Programme geht es aber um Machtansprüche der Parteivorsitzenden.
15.08.22, 05:00
aus Mailand Andrea Affaticati
Das Rennen hat begonnen: Der erste Etappensieg geht an das Rechts-Mitte-Lager, dem Giorgia Melonis rechte Fratelli d’Italia, Matteo Salvinis nationalpopulistische Lega, Silvio Berlusconis moderate Forza Italia und ein paar Splitterparteien angehören.
Das Bündnis hat sich auf fünfzehn Wahlprogrammpunkte geeinigt. Zu den wichtigsten gehören die Anbindung an EU und NATO, die Direktwahl des Staatsoberhaupts, eine Einheitssteuer und die Möglichkeit, Steuerschulden ohne zusätzliche Geldstrafe zu begleichen.
Einer Meinung ist man aber (noch) nicht überall: Sowohl der Lega-Chef als auch die Brüder-Vorsitzende träumen davon, Premier zu werden. Dafür müsste Salvinis Partei eine Stimme mehr als die anderen Bündnispartner bekommen. Derweil ist es aber die Fratelli d’Italia, die den Siegerposten belegt; sollten sich die Prognosen bestätigen, müsste Meloni Regierungschefin werden. Salvini und Berlusconi ist es nicht gelungen, die Regel auszuhebeln.
Apropos Berlusconi: Der 85-jährige Cavaliere hat sich eine Weile geziert, bevor er am Mittwoch wissen ließ, er werde "auf Druck der vielen, die mich darum gebeten haben", für den Senat kandidieren. Zwar will auch er bei den Wahlkundgebungen dabei sein, er konzentriere sich aber auf seine Programm-Pillen, die er täglich über das Internet verteilt: etwa gratis Zahnarztbehandlungen für Rentner oder unbürokratische Firmengründungen.
Links streitet – wie immer
Das Mitte-Links-Lager wiederum durchlebte bis vor ein paar Tagen ein veritables Drama. Das Lager war schon immer besonders streitsüchtig. In den letzten Tagen sind aber regelrecht die Fetzen geflogen: Die einen wollten nicht mit dem, was von der ehemaligen Antisystembewegung Fünf-Sterne übrig ist; die anderen wiederum nicht mit Ex-Premier Matteo Renzi, heute Vorsitzender der Splitterpartei Italia Viva, oder den Linken.
Um überhaupt eine Chance gegen das Rechts-Mitte-Lager zu haben, muss sich das Mitte-Links-Lager so breit wie möglich aufstellen, weswegen der Vorsitzende der Demokratischen Partei, Enrico Letta, unbedingt die linksliberale Partei Azione mit dabei haben wollte. Diese wird vom Ex-Minister für wirtschaftliche Entwicklung, damals noch Mitglied der Demokraten, Carlo Calenda, geführt. Der Zusammenschluss wurde feierlich verkündet. Calenda küsste Letta auf die Wange – ein Judas-Kuss, wie sich zwei Tage später herausstellte, als Calenda das Abkommen widerrief, weil er die Grünen und Linken doch nicht dabei haben wollte.
Jetzt haben sich Calenda und Renzi entschlossen, zusammen in den Wahlkampf zu ziehen und sich in der Mitte zu positionieren. Ihr Ziel: jene Wähler zu gewinnen, die früher für Berlusconis Forza Italia stimmten, und sich in dem jetzigen Rechts-Mitte-Lager nicht mehr wiederfinden. Programmatisch würde man damit Draghis Reformagenda weiterführen. Stellt sich nur die Frage: Wie lange können diese Alphamännchen überhaupt zusammen arbeiten?
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