Armer Starmer: Der britische Premier von links und rechts unter Beschuss

Es sollte ein Heimspiel sein, die Parteikonferenz ein gutes Jahr nach einem Erdrutschsieg. Wenn mit 398 Labour-Abgeordneten im Parlament eine starke Mehrheit und dadurch ausreichend Spielraum für Veränderung gegeben ist. Und man Projekte für die nächsten vier Jahre ankündigen kann.
Doch als Keir Starmer Dienstagnachmittag das Rednerpult im Hauptsaal des ACC Liverpool betrat, stand trotz der eifrige klatschenden Parteikollegen das leuchtende Rot der Labour-Banner weniger für Energie und Leidenschaft als für Gefahr und Konflikt.
"Wie groß“, hatte BBC-Journalistin Laura Kuenssberg bereits am Sonntag gefragt, "ist denn der Schlamassel, in dem Sie stecken?“
An der Kippe
Auch wenn Keir Starmer daraufhin die Liste an Errungenschaften aufzulisten begann – fünf Millionen zusätzliche Krankenhaustermine, erweiterte Kinderbetreuung oder auch ein zwölf Milliarden Euro schwerer Auftrag für Kriegsschiffe aus Norwegen –, Tatsache ist: Der regierenden Labour-Partei im Allgemeinen und dem amtierenden Premier im Besonderen steht das Wasser bis zum Hals.

Laut aktueller Ipsos-Umfrage würde Labour bei derzeitigen Neuwahlen nur mehr 22 Prozent ergattern und wäre damit weit abgeschlagen hinter dem neuen Erstplatzierten mit 34 Prozent: Nigel Farages Reform-UK-Partei.
Die Labour-Kernwählerschaft hat in nur 500 Tagen das Vertrauen verloren. Wiederholt wurden Sozialleistungen gekürzt, das versprochene Wirtschaftswachstum ist nicht eingetreten, die politische Vision wurde nicht sichtbar. Dazu kamen in letzter Zeit Skandale: Der Rücktritt von Labour-Vize Angela Rayner nach Vorwürfen der Steuerhinterziehung, die Kündigung des britischen Botschafters Peter Mandelson in Amerika, nachdem dessen Naheverhältnis zum pädophilen Verurteilen Jeffrey Epstein bekannt wurde.
Währenddessen hat Nigel Farage komplexe Brandherde erfolgreich mit populistischen Parolen befeuert.
Gefährliche Lokalwahlen
Wie sehr diese Partei Starmer im Nacken sitzt, zeigte sich vergangenen Samstag, als der Premier selbst beim Pressetermin mit (noch nicht wahlberechtigten) Schulkindern wiederholt auf die Gefahr der Rechtspopulisten hinwies.
Doch bereits kommendes Jahr könnte Farage nächste Zugewinne machen. Im Mai 2026 werden alle Londoner Bezirksräte sowie das schottische und das walisische Parlament neu gewählt.

Auch beim Termin mit einer Schulklasse wurde die Reform-UK-Partei zum Thema.
Doch die Gefahr kommt derzeit nicht nur von außen.
Die Ipsos-Umfrage ergab auch: Keir Starmer ist der unbeliebteste britische Premier der Geschichte. Mit einem aktuellen Nettowert von Minus 66 liegt er (im negativen) 15 Prozentpunkt vor Lis Truss, die mit ihrem Mini-Budget dem Land eine erhöhte Inflation eingebracht und 7 Punkte vor Rishi Sunak, dessen schwächelnde Führung vergangenes Jahr verfrühte Wahlen bedeutet hatten.
Nachfolger präsentiert
Just vor dem Start der Parteikonferenz brachte sich dann also der "König des Nordens", Manchesters Bürgermeister Andy Burnham (zum wiederholten Mal) als Labour-Leader ins Spiel. "Ja", erklärte Burnham, ein Vertreter des gemäßigten linken Flügels der Labour-Partei, im Telegraph, er sei bereits von Abgeordneten kontaktiert worden. Mit der Bitte, Keir Starmer zu ersetzen.
Auch wenn Burnham seine Führungsgelüste danach wieder dementierte, die Katze ist aus dem Sack. Liverpools Bürgermeister Steve Rotherham sprach seinem Amtskollegen bereits den Segen aus: Andy Burnham, meinte Rotherham, könnte einen besseren Job machen als Keir Starmer.
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