Ausschreitungen und Attentate vor der Wahl

Fahrer der Kurdenpartei HDP erschossen, Straßenkämpfe zwischen Kurden und Nationalisten eskalieren.

In der Türkei schlagen die politischen Spannungen vor der Parlamentswahl am Sonntag in Gewalt um. In Südostanatolien wurde der Fahrer eines Wahlkampffahrzeugs der Kurdenpartei HDP erschossen. Am Donnerstag brachen heftige Auseinandersetzungen zwischen türkischen Nationalisten und HDP-Anhängern in der als Nationalisten-Hochburg bekannten Stadt Erzurum aus. Dabei wurde ein HDP-Fahrzeug in Brand gesetzt. Die Polizei schritt mit Wasserwerfern und Tränengas ein.

Es war nicht das erste Mal, dass die HDP zum Ziel gewalttätiger Attacken wurde. Mitte Mai explodierten Bomben in HDP-Wahlbüros in Adana und Mersin. Insgesamt hat die Partei nach eigenen Angaben mehr als hundert Angriffe auf Büros, Fahrzeuge und Mitarbeiter registriert.

Die HDP ist wegen ihrer Nähe zur Rebellengruppe PKK insbesondere bei türkischen Nationalisten verhasst. Die Kurdenpartei steht zudem im Mittelpunkt des Interesses, weil ihr Abschneiden am Sonntag den Ausgang der Wahl entscheiden könnte. Sollte die Kurdenpartei den Sprung über die Zehnprozent-Hürde und damit ins Parlament schaffen, müsste die islamisch-konservative Regierungspartei von Präsident Recep Tayyip Erdogan ihr Projekt zur Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei einstampfen.

Eine Umfrage des renommierten Konda-Instituts vom Donnerstag sagte nicht nur den sicheren Parlamentseinzug der HDP, sondern auch herbe Verluste für die AKP voraus, die demnach von knapp 50 Prozent bei der Parlamentswahl von 2011 auf 41 Prozent absacken könnte. Laut einer Prognose für die Sitzverteilung im neuen Parlament hätte die AKP künftig nur noch 263 Sitze im 550 Mandate umfassenden Plenum von Ankara; mindestens 276 wären für eine Fortsetzung der AKP-Alleinregierung nötig.

Solche Voraussagen sind mit Vorsicht zu genießen; die AKP selbst etwa hofft auf 45 bis 46 Prozent der Stimmen. Einige Umfragen sehen die HDP zudem unter der Schwelle von zehn Prozent.

Dennoch ist die Nervosität im Regierungslager unübersehbar. Erdogan teilt immer heftiger gegen die Kurdenpartei aus und nannte die HDP ein Sammelbecken für Landesverräter, armenische Lobbyisten und Homosexuelle. Premier Ahmet Davutoglu unterstellt HDP-Chef Selahattin Demirtas, im Auftrag dunkler ausländischer Kräfte Politik zu machen. Vizepremier Yalcin Akdogan drohte mit einem Ende der Friedensgespräche zwischen dem türkischen Staat und den PKK-Rebellen, falls die AKP von der Regierung verdrängt werden sollte.

HDP-Chef Demirtas griff unterdessen die AKP weiter scharf an. Die seit 2002 herrschende Partei betrachte den türkischen Staat als Privateigentum, sagte er. Am Wahltag sollten die Türken ein Zeichen setzen, dass der Staat allen Bürgern gehöre, und nicht einer Partei.

Wachsende Kritik

In Teilen der AKP-Anhängerschaft wächst indes die Kritik an Erdogan. Vizepremier Bülent Arinc mahnte mit Blick auf die raue Rhetorik des Präsidenten, auch im Wahlkampf dürfe der Gegner nicht herabgewürdigt werden.

Ali Bayramoglu, prominenter Kolumnist der Erdogan-treuen Zeitung Yeni Safak, kritisierte in einem Beitrag am Donnerstag die Strafanzeige des Präsidenten gegen den regierungskritischen Journalisten Can Dündar. Erdogan verlangt die Verurteilung Dündars, weil dessen Blatt Cumhuriyet über angebliche illegale Waffenlieferungen Ankaras an Rebellen in Syrien berichtet hatte.

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