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Der Twitter-Spaß für Journalisten ist vorbei

Journalisten im Weißen Haus
Timelines durchwühlen, Recherchen aufstellen und Artikel verbreiten: Twitter, Facebook & Co. gehören zum Alltag vieler Journalisten. Doch was ist erlaubt und was nicht? Jüngst hat die "New York Times" ihre Benimmregeln veröffentlicht.

Glenn Thrush beginnt seinen Tag um 7.30 Uhr zu planen. Vor ihm liegt sein Terminplaner, der Laptop ist eingeschaltet. Er hat noch genügend Zeit, checkt also kurz seinen Twitter-Account. 90 Minuten vergehen. Um 9.04 Uhr twittert Thrush, dass er seinen Account deaktivieren wird. Einen Tag später, am 19. September, veröffentlicht er seine letzten Tweet und meldet sich umgehend ab – bis heute.

https://twitter.com/GlennThrush/status/909810280774950913?ref_src=twsrc%5Etfw
Glenn Thrush (@GlennThrush

Glenn Thrush ist Journalist der renommierten New York Times, für die er aus dem Weißen Haus berichtet. Bekannt ist der Redakteur auch für seine Live-Berichterstattung auf Twitter. Er recherchiert live, veröffentlicht neue Informationen, geht schon mal auf Konfrontation mit Lesern und übt Kritik an US-Präsident Donald Trump. Das brachte nicht nur ihm Schelte ein, sondern auch seinem Arbeitgeber. "Ich denke, meine Chefs sind ziemlich zufrieden, dass ich nicht mehr twittere", erklärte der Journalist.

Wie bändigt man Journalisten?

Und damit dürfte der Korrespondent im Weißen Haus Recht haben. Nur wenige Wochen nach Thrushs Entschluss verschärfte die Times-Chefredaktion ihre Benimmregeln für Journalisten in den Sozialen Medien. "Wir glauben, wenn wir weiterhin die beste Medienorganisation der Welt sein wollen, müssen wir die lebhafte Präsenz in den Sozialen Medien beibehalten", erklärt Chefredakteur Dean Baquet. "Aber wir müssen auch sicherstellen, dass wir uns in den Sozialen Medien entsprechend den Werten unserer Redaktion verantwortungsvoll verhalten."

Der Twitter-Spaß für Journalisten ist vorbei
The facade of the New York Times building is seen in New York in this November 29, 2010 file photo. The New York Times Co reported worse-than-expected results October 25, 2012, as advertisers cut spending on both print and digital outlets, sending shares down 12 percent. REUTERS/Shannon Stapleton (UNITED STATES - Tags: MEDIA POLITICS)

So dürfen Redakteure der Times künftig keine parteiischen Meinungen mehr äußern, politische Ansichten bewerben, Kandidaten unterstützen, beleidigende Kommentare abgeben oder irgendetwas anderes tun, das den Ruf der Times untergraben könnte. Außerdem sollten die Redakteure zu einem Thema nur Stellung nehmen, wenn sie darüber auch auführlich und objektiv berichtet haben.

Die "aktualisierten und erweiterten Richtlinien" gehen sogar so weit, dass Journalisten private und geheime Facebook-Gruppen, die in irgendeinerweise politisch sind, meiden sollten. Auch Facebook-Einladungen zu politisch motivierten Veranstaltungen dürften nicht mehr angenommen werden. Wenn eine Facebook-Gruppe einer Recherche dienlich ist, "achten Sie bitte darauf, was Sie in diesen Gruppen veröffentlichen."

Sukkus ist: Der Account des Journalisten ist der Account des Arbeitgebers, der New York Times.

Experte: "Jeder hat ein Recht auf eine Meinung"

Social-Media-Guidelines sind freilich nicht neu. In den meisten größeren Medienhäusern ist es mittlerweile Usus, Regeln aufzustellen, um seine Journalisten zu bändigen. Aber nicht überall seien sie gleich, erklärt Matthias Karmasin, Kommunikationswissenschaftler an der Uni Klagenfurt. "Es gibt große kulturelle Unterschiede. In den USA ist der Journalismus in gewisser Weise durch den Puritanismus geprägt. Wenn etwas gedacht oder getan wird, dann auf radikale Weise", sagt der Experte. In Europa hingegen sei dies nicht der Fall. Zwar gebe es auch hier "Richtlinien", wie sich Redakteure im Netz verhalten sollen, diese werden aber als Empfehlungen verstanden und so gelebt.

Der Twitter-Spaß für Journalisten ist vorbei
APA10357948-2 - 23112012 - WIEN - ÖSTERREICH: ZU APA-TEXT II - Enquete Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) "Demokratische Gesellschaften brauchen Medienvielfalt und Pressefreiheit" am Freitag, 23. November 2012, im Palais Epstein in Wien. Im Bild: Matthias Karmasin (Uni Klagenfurt) während der Gesprächsrunde. APA-FOTO: HELMUT FOHRINGER

Der KURIER hat zum Beispiel einen solchen Katalog zum "Umgang mit Sozialen Medien", aber auch der ORF. Dort gibt es seit 2012 Benimmregeln für Redakteure, die sich auf Twitter & Co. aufhalten. Streng sind sie allerdings nicht. "Tue nichts Dummes!" heißt es etwa in Anlehnung auf die Social-Media-Richtlinien der BBC ("Don’t do anything stupid!"). In regelmäßigen Abständen fordern deshalb Politiker und Stiftungsräte – insbesondere aus dem bürgerlichen Lager – eine Verschärfung der ORF-Regeln. Der Vorwurf lautet dabei stets: Der ORF ist der Neutralität verpflichtet, aber manche Mitarbeiter nutzen ihre privaten Accounts für Tweets, die mitunter durchaus scharfe politische Inhalte haben. Journalisten des ORF hätten "neutral" und "unabhängig" zu berichten.

Als "kompletten Unfug" bezeichnet das Fritz Hausjell. "Jeder Journalist hat ein Recht auf eine Meinung", sagt der Medienwissenschaftler der Universität Wien und warnt Redaktionen davor, die privaten Accounts der Journalisten zu kapern. "Soziale Medien sind eine neue Form politischer Öffentlichkeit. Wenn Journalisten gesagt bekommen, welche Inhalte sie posten oder twittern dürfen, ist das eine deutliche Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit", erklärt der Universitätsprofessor. Alles, was zu eng reguliert wird, schade der lebendigen Diskussion und untergrabe die Glaubwürdigkeit des Journalisten.

"Gesunder Menschenverstand"

Diese Meinung vertritt auch Karmasin. Zwar ergeben bestimmte Regeln durchaus Sinn, um die Marke des Medienhauses nicht zu schädigen. Aber auch Journalisten, ob in Sozialen Medien präsent oder nicht, hätten ein Recht auf Privatsphäre. "Dass jeder Bürger seine private Meinung in allen Medien öffentlich kundtun darf, ist eine kulturelle Errungenschaft", sagt der Kommunikationswissenschaftler.

Der Twitter-Spaß für Journalisten ist vorbei

Fritz Hausjell.

Allerdings, ergänzt Karmasin, müssten Journalisten den "gesunden Menschenverstand" und das "nötige Augenmaß" einsetzen. "Ich kann sagen, dass der Fußballer vielleicht schlecht war, aber als Wirtschaftsjournalist werde ich auf Facebook nicht über die Wirtschaft schimpfen und als Politikjournalist werde ich vorsichtig sein, wenn es um politische Äußerungen geht."

Fritz Hausjell hält es für durchaus möglich, dass in Österreich der Ruf nach strengeren Social-Media-Richtlinien für ORF-Redakteure unter einer schwarz-blauen Regierung wieder lauter werden könnte. "Wir werden uns damit sicher wieder beschäftigen", sagt er und verweist auf die USA. Erst unter der Trump-Regierung beschäftigten sich Medien wieder mehr mit ihren Benimmregeln.

Sei freundlich

Tatsächlich hatte die New York Times bis heute nur informelle Regeln für ihre Redakteure. Dass der Kurswechsel mit Trump zu tun hat, bestätigt Chefredakteur Baquet einen Tag, bevor seine Mitarbeiter von den neuen Richtlinien erfahren. An der George Washington University erzählt er über seinen Frust mit dem Verhalten mancher Redakteure auf Twitter. "Wenn ich 100 Leute habe, die für die New York Times arbeiten und unangemessene Tweets senden", sagte er, "ist es nicht möglich, ordentlich Journalismus zu machen."

https://twitter.com/zzzzaaaacccchhh/status/921026297094123522?ref_src=twsrc%5Etfw
Zach Schonfeld (@zzzzaaaacccchhh

Redakteure sollten in Sozialen Medien nur das sagen, was sie auch "auf Plattformen der Times sagen können". Dazu gehöre auch, dass man einem Leser nie unterstellen soll, dass er den Artikel nicht sorgfältig gelesen hat.

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