Warum im serbischen Parlament Chaos ausbrach

Warum im serbischen Parlament Chaos ausbrach
Präsident Vučić versuchte in der Kosovo-Frage zu beschwichtigen, war dabei jedoch nicht ganz so erfolgreich.

von Dennis Miskić und Sarah Emminger

Serbiens Präsident Aleksandar Vučić hat den Raum kaum betreten, da erntet er bereits minutenlangen Applaus von der Regierungsfraktion. Kurz darauf bricht Chaos aus: Abgeordnete stürmen mit Transparenten zu ihm. Vučić bezeichnet sie als „Hooligans“, während die Politiker  einander schubsen.

Diese turbulenten Szenen spielten sich am Donnerstag im serbischen Parlament ab. Sie sind bezeichnend dafür, dass es in der Sondersitzung um ein für viele Serben heikles Thema ging: den Kosovo. Die einstige serbische Provinz hatte sich 2008 für unabhängig erklärt. Serbien erkennt das – mit Rückenwind aus Russland und  China – nach wie vor nicht an, weshalb der mehrheitlich von Albanern bevölkerte Kosovo  in vielen internationalen Organisationen nicht Mitglied werden kann. Das hatte immer wieder, zuletzt vor Weihnachten, zu Unruhen im Norden des Kosovo geführt, wo am meisten Serben leben.

Kehrtwendung vor eineinhalb Wochen

Nach vielen Jahren, in denen Vučić eine Anerkennung stets strikt abgelehnt hatte, vollzog er vor eineinhalb Wochen eine Kehrtwendung. Er deutete an, den Kosovo nicht offiziell, aber de-facto anerkennen zu wollen. Grund dafür war vor allem der große Druck des Westens. Dieser drohte damit, für Serbien wichtige  Investitionen zurückzuhalten. Auf dem Tisch liegt aktuell der so genannte „deutsch-französische“ Lösungsplan, der eben auch eine De-facto-Anerkennung vorsieht. Zu diesem äußerte Vučić sich jetzt erstmals im Parlament und betonte:  „Ich habe nichts unterschrieben.“

Er werde weiter mit dem Westen reden, auch wenn etliche Punkte des für die Öffentlichkeit nach wie vor geheimen Papiers für ihn nur schwer bis gar nicht akzeptabel seien. Aber Serbien braucht die Investitionen aus Europa sehr.
Instrumentalisierung Der Präsident wurde nicht müde, „Angriffe“ auf Serben im Kosovo zu verurteilen. René Schlee von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung erinnert im Gespräch mit dem KURIER daran, diese Aussagen kritisch zu betrachten: „Die Kosovo-Serben werden von Belgrad aus politisch instrumentalisiert.“

Streitthema Gemeindeverband

Denn im Gegenzug für die De-facto-Anerkennung fordert Belgrad eine Autonomie serbischer Gemeinden im Norden des Kosovo. Die kosovarische Seite, allen voran Premier Albin Kurti, hat jedoch Angst vor einer ethnischen Spaltung wie in Bosnien. Schlee hält diese Bedenken für berechtigt: „Man muss genau prüfen, mit welchen Kompetenzen ein Gemeindeverband ausgestattet wäre.“ Er und sein Team haben daher im vergangenen Jahr an einem eigenen Vorschlag  (serbischer Gemeindeverband mit eigenem Budget und Präsidenten, kein eigenes Militär) dazu gearbeitet. Dieser basiert auf einer früheren Version aus 2013, die von Serbien und dem Kosovo unterzeichnet, aber nie umgesetzt wurde. Auch, weil der kosovarische Verfassungsgerichtshof das Abkommen für nicht rechtmäßig erklärte.

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