Serbiens Außenminister: "In wenigen Monaten" bereit für EU-Beitritt

Außenminister Đurić hält sich mit Kritik an EU nicht zurück
Đurić kritisiert "künstlichen Tiefschlaf" im Erweiterungsprozess, Hoffnungen liegen auf Ratsvorsitz Ungarn. Wunsch nach politischer Stabilität nach Nationalratswahl.

Serbien sieht sich praktisch bereit für einen EU-Beitritt. 

"Ich bin überzeugt, dass Serbien alle formellen Kriterien in den Verhandlungskapiteln innerhalb von wenigen Monaten erfüllen könnte", sagte der serbische Außenminister Marko Đurić im APA-Interview. Es werde aber "immer klarer", dass die Kosovo-Frage "entscheidend in diesem Prozess" sein werde. "Alles andere ist viel leichter zu lösen." Das Abseitsstehen bei den EU-Sanktionen gegen Moskau begründete er wirtschaftlich.

Die Beziehung zur EU

Im Vorjahr habe es eine Übereinstimmung zu 53 Prozent zwischen der serbischen und EU-Außenpolitik gegeben. Bis zur EU-Vollmitgliedschaft müsse Serbien "pragmatische Entscheidungen treffen, die in unserem politischen und wirtschaftlichen Interesse sind", sagte Đurić in Anspielung auf die Handelsbeziehungen mit Russland. "Auch wenn es widersprüchlich klingen mag, ist das auch im Interesse der EU, (...) damit wir der EU eines Tages als Bettler und Last für irgendwen beitreten, sondern als deutlich entwickeltes Land."

Der serbische Außenminister wollte nicht über ein mögliches Beitrittsdatum für sein Land spekulieren, weil dies einzig an den EU-Staaten liege. Diese müssten den Erweiterungsprozess "aus dem künstlichen Tiefschlaf bringen". In der Vergangenheit seien schon Länder der EU beigetreten, "obwohl sie zu diesem Zeitpunkt wesentlich schwächere politische und wirtschaftliche Fähigkeiten hatten als Serbien sie heute hat", kritisierte Đurić in dem schriftlich geführten Interview. "Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg", fügte er hinzu.

Von der Anfang Juli beginnenden ungarischen EU-Ratspräsidentschaft erwartet sich der serbische Außenminister, dass es "die Frage der Westbalkan-Erweiterung ins politische Scheinwerferlicht der EU bringen" werde. Als unmittelbarer Nachbar sei es sich dessen "vielleicht stärker bewusst als einige andere Mitgliedsstaaten, wie unvollkommen die EU ist angesichts der Tatsache, dass sie einige Staaten, die ohne Zweifel nach ihren Werten und strategischen Orientierungen zur europäischen Familie gehören, so lange hingehalten hat". 

In diesem Zusammenhang bekräftigte er auch das Bekenntnis Serbiens zu den Kopenhagener Kriterien, die konkrete Demokratie- und Rechtsstaatsstandards für alle Beitrittsländer setzen. "Es gibt keinerlei Dilemmata oder Vorbehalte inbezug auf die Regeln, die im Jahr 1993 aufgestellt wurden", sagte Đurić. Während der Erweiterungsprozess seit Jahren stagniere, habe sich Serbien vielmehr "demokratisch und wirtschaftlich in großen Schritten weiterentwickelt".

Die Beziehung zu Kosovo

Kein Abrücken signalisierte der frühere langjährige Leiter des serbischen Kosovo-Büros von der ablehnenden Haltung seines Landes in der Frage der kosovarischen Unabhängigkeit. Diesbezüglich warf er den Unterstützern des Kosovo vor, mit zweierlei Maß zu messen. "Sie können unmöglich erklären, wie sie einerseits die territoriale Integrität der Ukraine unterstützen können und gleichzeitig Separatisten auf dem Gebiet Serbiens." 

Tatsächlich sei Serbien "eines der wenigen europäischen Länder", das in Sachen Ukraine eine prinzipientreue Antwort geben könne, wiewohl das Land sowohl Russen als auch Ukrainer als "Brudervölker" ansehe und einen "Sieg der Diplomatie" in dem Krieg wolle.

Die Beziehung zu Österreich 

Mit Blick auf die "Open Balkans"-Initiative des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić und des albanischen Ministerpräsidenten Edi Rama betonte Đurić, dass die beiden großen Völker auf dem Westbalkan sehr gut zusammenarbeiteten. Auch sei Belgrad bereit, aktiv an der Lösung von Problemen im Dialog mit Pristina zu arbeiten, sofern diese "nicht den Status unserer südlichen Provinz betreffen", sagte er mit Blick auf das mehrheitlich von Albanern bewohnte Gebiet, das im Jahr 2008 seine Unabhängigkeit von Belgrad erklärt hatte und seitdem auch von Österreich als souveräner Staat angesehen wird.

Serbien und Österreich hätten mit Ausnahme ihrer unterschiedlichen Ansichten in der Kosovo-Frage "harmonische politische Beziehungen", so Đurić. Er würde sich aber eine noch intensivere wirtschaftliche Zusammenarbeit wünschen, fügte der Chefdiplomat hinzu. "Sehr dankbar" sei man für die österreichische Unterstützung in der Erweiterungsfrage. "Österreich war einer der aufrichtigsten Unterstützer der EU-Erweiterung auf den Westbalkan und wird es hoffentlich auch bleiben." 

Zurückhaltend äußerte er sich zur Aussicht auf eine FPÖ-geführte Bundesregierung nach der Nationalratswahl. Er wolle sich nicht in die inneren Angelegenheiten Österreichs einmischen, "aber ich wünsche Ihnen eine dynamische und funktionierende Regierung sowie politische Stabilität, weil unsere Länder und ganz Europa vor herausfordernden Jahren stehen".

Die Beziehung zu den USA

Die Verbesserung der Beziehungen zu den USA sei "eine der wichtigsten außenpolitischen Prioritäten" Serbiens, sagte der frühere Botschafter in Washington. Zugleich signalisierte er ein Festhalten an der Bündnisfreiheit seines Landes. "Es ist ein schwierigerer und teurerer Weg für jedes Land, hat aber zahlreiche Vorteile, wenn man eine unabhängige und souveräne Politik verfolgen will", sagte Đurić. "Man sollte in der Politik und Diplomatie zwar niemals 'nie' sagen, aber ich kann sagen, dass das Bekenntnis Serbiens zur Neutralität fest ist und keine Änderung in Sicht ist." 

Dies bedeute aber nicht, dass Serbien nicht mit seiner engeren und weiteren Nachbarschaft kooperiere, und auch die Zusammenarbeit mit der NATO sowie der führenden globalen Militärmacht USA sei hoch entwickelt, fügte Đurić hinzu.

(Die Fragen stellte Stefan Vospernik/APA)

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