"Selbst der IS erlaubt Frauen das Autofahren"
Das Bild könnte bizarrer nicht sein: "Panorama", eine der zahllosen Shopping-Malls in Riad, in den glitzernden Auslagen Mode von Desigual bis Prada, Designer-Gewand und schillernde Accessoires überall. Aber die Frauen, die durch die breiten Gänge flanieren, tragen den traditionellen schwarzen Niqab, der nur die Augen freilässt, oder zumindest langes schwarzes Kleid und Kopftuch.
Getrennte Eingänge
Inzwischen dürfen Frauen und Männer zwar gemeinsam einkaufen gehen in Saudi-Arabien, auch am Arbeitsplatz in den Malls sind Frauen Alltag (früher wurden sie in Büros separiert). Aber den getrennten Eingang für Frauen und Männer gibt es immer noch, auch die getrennten Bereiche in den Restaurants.
Eine europäische Diplomatengattin erzählt vom 16. Geburtstag ihres Sohnes. Der wünschte sich ein Essen im Sushi-Lokal. Dort im Familienbereich war die nächsten zwei Stunden kein Tisch frei, im Männerbereich schon. Was tun, um die Ungeduld des Geburtstagskindes zu bremsen?
Der Vater und seine drei Söhne setzten sich im Männerbereich zu Tisch, die Mutter durfte daneben außerhalb der Abgrenzung stehen, mit ihnen reden, aber nichts essen und trinken. Andernfalls wären die Sittenwächter gekommen. Gäbe es die Handy-Fotos dieses Abends nicht, man würde es nicht glauben.
"Frauen haben keine Rechte. Und dass sie nicht am Steuer eines Autos sitzen dürfen, ist Symbol für alles – was dürfen sie dann?", schimpft eine saudische Frauenaktivistin bei einem Gespräch mit Journalisten am Rande des Besuchs von Außenminister Sebastian Kurz in Riad.
Zustimmung des Mannes
Überhaupt kann die Frau in Saudi-Arabien kaum etwas tun ohne die Zustimmung ihres Mannes. Sie braucht für alle Entscheidungen (Jobbewerbung etc.) seinen Sanktus. Das geht zurück auf das "Guardianship"-System in der saudischen Gesellschaft, also die Behütung/Bevormundung der Frau durch den Mann, den Bruder, den Onkel. "Überall bist du als Frau mit 18 unabhängig, bei uns mit 70 nicht", empört sich die Aktivistin.
Dass es Benachteiligung von Frauen auch anderswo gebe, es keine Diskriminierung mehr bei der Jobauswahl gebe und schon 30 Frauen in der Shura sitzen (saudisches Parlament), wie ihre Kollegin einwirft, lässt sie nicht gelten. Die Shura habe keine Kompetenzen, dasselbe gelte für die kommenden Lokalwahlen mit Frauenbeteiligung; Firmen seien bei der Ausbildung von Frauen oft zurückhaltend, "weil was ist, wenn der Mann dann sagt, sie darf nicht arbeiten?"; und es gebe "kein Gesetz, das uns davor schützt".
Und keine Rechte in der Familie. Bei einer Scheidung fällt sowieso alles an den Mann, auch die Kinder. Nur Buben ab elf Jahren werden gefragt, wo sie bleiben wollen.
Warum die Rolle der Frau in Saudi-Arabien so klein gehalten wird? "Damit sie nicht mehr fordern, wenn sie etwas bekommen." Die Regierung gebe allenfalls von sich aus, nicht wenn etwas gefordert wird. Und unter der gegenwärtigen Führung unter König Salman sei alles wieder restriktiver geworden.
Weltgewandte Studentinnen
Dennoch ist die in ihrem Job an der Universität höchst erfolgreiche, engagierte Frauenrechtlerin optimistisch: Das Internet gebe es ja erst seit dem Jahr 2000 verbreitet, Social Media boome, 59 Prozent der Studenten an den saudischen Unis seien Frauen, 38.000 Saudi-Araberinnen studierten im Ausland – "und mit der Generation, die dann zurückkommt, wird sich unaufhaltsam alles ändern und das Regime, das ja gute Arbeit macht, wird einlenken".
Auch beim Verbot des Autofahrens, das sie auf die Palme bringt. "Selbst beim ,Islamischen Staat‘ dürfen Frauen Auto fahren", schimpft sie, zieht sich langen Umhang und Kopftuch wieder an und geht hinaus in Riads Nacht.
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