Streit unter Schwestern: Sprengstoff für die Koalition
Bayern gegen Berlin, CSU gegen CDU, Horst Seehofer gegen Angela Merkel: Der bayerische Ministerpräsident hat am Freitag ein neues Kapitel in der schon Jahrzehnte dauernden Geschichte der Hassliebe zwischen den Schwesterparteien aufgemacht. Dessen Titel kommt einem bekannt vor: Gibt Berlin in der Flüchtlingsfrage nicht nach, macht Bayern einfach, was es will – im schlimmsten Fall auch die Grenzen dicht. "Bayern behält sich anlassbezogen vor, eigene Maßnahmen zu ergreifen", so die eindeutige Botschaft Münchens an Berlin. Was schwer wiegt, ist aber der juristische Nachsatz: Man will notfalls klagen – gegen das deutsche Grundgesetz (siehe Artikel unten).
Poltern aus Kalkül
Die kleine Schwester gegen die große, das hat in Deutschland Tradition. Horst Seehofer bediente sich auch jetzt der vielfach erprobten Taktik, Berlin mit Schüssen vor den Bug überzeugen zu wollen – denn schon oft hat dieses Poltern aus Kalkül Wirkung gezeigt. Das große Vorbild dabei ist stets Franz Josef Strauß: Bayerns Übervater brachte es wie kaum ein anderer fertig, mit seinen Querschüssen die Regierung in Bonn in Bedrängnis zu bringen. 1976 setzte er sogar kurzfristig die Trennung der Fraktion der beiden Parteien durch; nur einer der vielen Höhepunkte im Machtkampf zwischen ihm und dem damaligen CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl. Geendet hat die Feindschaft zwischen beiden übrigens nach der Wahl 1980: Strauß setzte sich damals gegen alle Widerstände als Kanzlerkandidat für beide Parteien durch. Ins Kanzleramt schaffte er es jedoch nicht – das blieb Helmut Kohl vorbehalten.
Das Ziel, das Strauß wie all seine Thronfolger in Bayern verfolgen, ist jedoch immer das Gleiche. Neben dem offensichtlichen Zweck – nämlich der großen Schwester die eigene Meinung aufzuzwingen – genügt allein die Lautstärke der Polterei, um eine positive Resonanz bei der eigenen Wählerschaft herzustellen. Wer mit Berlin streitet, wird geliebt – seit Jahrzehnten ist dies gelebte Tradition in Bayern, und sowohl CSU-Stammwähler als auch CDU-Anhänger, die sich mehr Schärfe aus Berlin wünschen, goutieren das.
Seehofers Rückschläge
Das war auch bei Horst Seehofer und Angela Merkel immer so. Allein, seine Erfolge im nachhaltigen Überzeugen der Kanzlerin hielten sich zuletzt eher in Grenzen: Die Pkw-Maut, eines von Seehofers Lieblingsprojekten, wurde erst kürzlich auf Eis gelegt – die EU hatte Bedenken angemeldet; sehr zur Freude der Kanzlerin, denn die wollte die "Ausländermaut" ohnehin nie. Ebenso ging es den beiden beim Betreuungsgeld: Die aus Bayern stammende Prämie für Mütter, die ihre Kinder zu Hause betreuen, wurde bundesweit wieder gekippt – ein herber Rückschlag für den CSU-Chef, ein kleiner Sieg für die Kanzlerin.
Diese Misserfolge vergessen zu machen, ist nun mit ein Grund für Seehofers Vorpreschen. Die Asylproblematik bietet ihm, zumal die Lage ja tatsächlich schwierig ist, eine gute, weil emotionale Basis zum Streiten. Zudem nimmt der Zank in den Medien jetzt den Platz ein, der vorher von den Spekulationen um Seehofers Nachfolge gefüllt war: Markus Söder, Seehofers ungeliebter Finanzminister, sägte bis vor einigen Wochen schon sehr sichtbar am Sessel des Ministerpräsidenten – seit die Flüchtlingskrise Bayern in Atem hält, ist davon recht wenig zu bemerken.
Misstöne aus der SPD
Dennoch bleibt eines stehen: Die Polterei aus München mag zwar taktische Gründe haben, der Stimmung in der Koalition aus CDU/CSU und SPD schadet sie aber nachhaltig. Denn auch dort werden die Abweichler von Merkels Willkommens-Kurs mehr – Seehofers Polterei fördert diese Spaltung umso mehr. Dies nutzt nun auch die SPD . Sie schert auch vom Kurs der Kanzlerin aus – und schlägt, womöglich auch aus Taktik, deutlich härtere Töne an als Merkel. "Wir können nicht dauerhaft in jedem Jahr mehr als eine Million Flüchtlinge aufnehmen und integrieren", schreiben Vizekanzler Sigmar Gabriel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier in einem Essay, das am Samstag im Spiegel erscheinen wird. Damit widersprechen die beiden wichtigsten SPD-Regierungsmitglieder klar dem Diktum, dass es keine Obergrenze geben dürfe – und brechen mit der obersten Maxime Merkels.
Mit Spannung war erwartet worden, was Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer am Freitag nach seiner vierstündigen Kabinettssitzung vortragen würde: Wird er die Grenzen sperren? Wird er Berlin übergehen? Nichts davon, noch nicht jedenfalls, so der Sukkus seiner Ausführungen. Was Seehofer präsentierte, war ein großes Integrationspaket für den Freistaat – gefolgt von der Drohung, wegen des fehlenden Grenzschutzes Klage einzureichen.
Denn die Frage, ob Bayern die Grenzen im Alleingang schließen darf, scheidet die Geister: Während CSU-Innenminister Joachim Herrmann der Auffassung ist, dass Deutschland ja von sicheren Herkunftsstaaten umgeben ist und man dementsprechend niemandem Asyl gewähren müsse, der aus einem solchen Land komme, sehen das NGOs und die Regierung anders. Im deutschen Innenministerium weist man darauf hin, dass Grenzkontrollen Angelegenheiten des Bundes seien; auch derzeit sind nur Bundespolizisten dafür eingesetzt – Bayern könne eigentlich nicht eigenmächtig entscheiden. Auch ist fraglich, ob man dafür überhaupt Personal hat; denn dass Bayern selbst Leute an der Grenze zu Österreich postiert, ist angesichts knapper Ressourcen schwer vorstellbar. Auch Flüchtlinge einfach abzuweisen, hält man bei der Hilfsorganisation "Pro Asyl" für rechtlich nicht haltbar: "Ein kurzer Prozess an den Landgrenzen entbehrt jeder rechtsstaatlichen Grundlage."
Diese Basis will Bayern nun notfalls mit dem Gang zum Verfassungsgericht schaffen, so die bayerische Staatskanzlei – mit einer Klage gegen das deutsche Grundgesetz. Bis das Gericht in Karlsruhe zu einer Entscheidung kommen könnte, wird aber noch viel Zeit vergehen. Was bis dahin passiert, ließ Seehofer offen – fix sei aber, dass "es keine Zäune und Mauern geben wird".
Darüber hinaus hat Seehofer auch konkretere Pläne vorgelegt. 489 Millionen Euro nimmt der Freistaat in die Hand, um die Flüchtlingskrise zu bewältigen; darin enthalten sind mehr als 3700 neue Stellen bei Polizei, Verwaltung und Justiz, sie sollen ebenso für Entlastung sorgen wie 20.000 neue Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten, die die Regierung gemeinsam mit der Wirtschaft schaffen will. Auch 7000 neue Wohnungen jährlich sollen für Entspannung am Markt sorgen.
Zudem will Seehofer auch eine gesetzliche Grundlage schaffen, die Zuwanderer zur Integration verpflichtet: In einem Landesgesetz soll verankert werden, dass Grundwerte und Regeln in Bayern eingehalten werden müssen – darunter falle etwa die Pflicht, Deutsch zu lernen. Der "Kanon der Grundregeln und Werte", wie Seehofer die Vorlage nennt, solle auch einen Programmsatz beinhalten, um "Gettobildung in den größeren Städten zu vermeiden", so der CSU-Chef. Wie genau das bewerkstelligt werden soll, verriet er aber nicht.
Die fortgesetzten Drohgebärden aus München lösen in Österreich keine Panik mehr aus. Denn Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hat bayerische "Notwehrmaßnahmen" gegen den Zustrom von 200.000 Flüchtlingen schon im September nur angekündigt: eine Verfassungsklage in Karlsruhe für den Fall, dass es Berlin weiter nicht gelingt, die Zuwanderung nach Deutschland zu begrenzen; oder die bereits mehrmals angekündigte Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze, falls Österreich weiterhin Schengen und Dublin nicht umsetzt, sprich Flüchtlinge bloß nach Bayern durchwinkt.
Drohung steht im RaumIn Österreich ist man der Meinung, dass es klar europäischem Recht widersprechen würde, Flüchtlinge an der Grenze ohne Verfahren wieder nach Österreich zurückzuschicken. Auch wenn München gegenteiliger Ansicht ist, haben sich die Bayern eben (noch) nicht zu diesem Schritt durchringen können.
Am Donnerstag hatte Innenministerin Johanna Mikl-Leitner eindringlich vor der Rückschiebung von Flüchtlingen gewarnt. "Sollte Bayern tatsächlich vorhaben, Flüchtlinge, die in Deutschland bleiben wollen, nach Österreich zurückzubringen, könnte uns eine humanitäre Krise neuen Ausmaßes in Österreich drohen". Am Freitag, nach der Pressekonferenz Seehofers in München, sagte Mikl-Leitner: "Derzeit steht im Mittelpunkt, ausreichend Notquartiere zu schaffen." Sie verwies darauf, dass im September jede Woche rund 50.000 Flüchtlinge durch Österreich nach Deutschland gereist sind. "Wenn Bayern Maßnahmen setzt, wenn dieser Abfluss stoppt, kann sich jeder ausrechnen, was das bedeutet, nämlich ein Rückstau in Österreich. Darum müssen wir mit zusätzlichen Notquartieren vorbereitet sein. Wir haben schon viele aufgebaut, die gilt es zu erhalten bzw. auszuweiten."
Österreich sei auf mehrere Szenarien vorbereitet und in Kontakt mit der deutschen Bundesregierung, so Mikl-Leitner. Der Rückstau hierzulande könnte zu einer "humanitären Krise" führen, gab sie erneut zu bedenken.
Auch für Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer ist klar, dass Österreich das Flüchtlingsproblem nur dann bewältigen könne, wenn es weiter bei allen Maßnahmen im Gleichklang mit Deutschland agiere, sonst drohe eine "massive Überforderung unseres Landes".
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