Schweiz: Bedingungsloses Grundeinkommen klar abgelehnt

Aktionismus für bedingungsloses Grundeinkommen in Genf
Laut amtlichem Endergebnis stimmten 76,9 Prozent gegen ein Grundeinkommen von 2500 Franken.

Die Schweizer haben in einem Referendum der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens eine klare Absage erteilt: Laut amtlichem Endergebnis stimmten 76,9 Prozent der Teilnehmer am Sonntag gegen das Vorhaben und 23 Prozent dafür. Die Regierung und nahezu alle Parteien lehnten das Vorhaben ab. Auch über schnellere Asylverfahren und Gen-Tests bei künstlicher Befruchtung wurde abgestimmt.

Die Wahlbeteiligung bei dem Referendum, das auf eine private Initiative zurückgeht, lag bei 46 Prozent. Das Grundeinkommen sollten nach der Vorstellung der Initiatoren alle Schweizer sowie Ausländer erhalten, die seit mindestens fünf Jahren in der Schweiz leben. Die Zahlungen sollten allen ein menschenwürdiges Dasein und die Teilnahme am öffentlichen Leben ermöglichen, ohne dass dafür ein fester Job nötig ist.

2500 Franken pro Monat

Die Gesetzesinitiative hatte keinen Betrag für das bedingungslose Grundeinkommen festgelegt, die Initiatoren empfahlen aber ein monatliches Einkommen in Höhe von 2500 Schweizer Franken (rund 2260 Euro) für jeden Erwachsenen und 625 Franken (565 Euro) für jeden Minderjährigen.

Zahlungen in dieser Höhe würden aber kaum die grundlegenden Lebenshaltungskosten in der Schweiz decken. Sie zählt zu den Ländern mit den höchsten Lebenshaltungskosten der Welt, das Durchschnittseinkommen liegt bei über 6000 Franken im Monat.

Ablehnung bei den Parteien

Die Schweizer Regierung sowie nahezu alle Parteien hatten die Bevölkerung dazu aufgerufen, das bedingungslose Grundeinkommen abzulehnen. Sie hielten die Initiative für zu teuer und befürchteten Nachteile für die Wirtschaft und die Wettbewerbsfähigkeit des Landes.

Die Befürworter argumentierten hingegen, ein bedingungsloses Grundeinkommen brächte dem Staat durch die Abschaffung von Sozialleistungen Milliardeneinsparungen. Die Abstimmungsniederlage werteten sie nicht als Misserfolg. In Lausanne feierten Kampagnenunterstützer den Ausgang mit einer Party.

Unterstützer sehen Erfolg

Dass gut jeder Fünfte für das Grundeinkommen gestimmt habe, sei an sich schon ein Erfolg, sagte der Wirtschaftsprofessor Sergio Rossi, der die Kampagne unterstützte, der Schweizerischen Depeschenagentur (sda). "Wir wussten vorher, dass wir gewinnen werden - wenn auch nicht die Mehrheit", so der deutsche Philosoph und Mitinitiator Philip Kovce. Man habe eigentlich nur mit 15 Prozent Zustimmung gerechnet. Als Sieg gilt ihm, dass die Idee auf dem Tisch bleibt und das Ringen für ihre Verwirklichung weitergeht.

Die Wahllokale hatten am Vormittag geöffnet und ihre Türen bereits wenige Stunden später wieder geschlossen. Ein Großteil der Schweizer hatte bereits per Briefwahl abgestimmt. Schon im Vorfeld hatte sich eine breite Ablehnung der Initiative abgezeichnet. Lediglich in ein paar Bezirken in den Kantonen Jura und Waadt sowie in ein paar Vierteln von Zürich und Genf stimmte die Mehrheit der Bürger dafür.

Auch in Österreich wird über ein bedingungsloses Grundeinkommen debattiert. Rund 27 Milliarden Euro würde es dem Staat kosten, berechnete der Innsbrucker Experte Florian Wakolbinger für die APA. Für Österreich müsste der Betrag angesichts des niedrigeren Preis-und Lohnniveaus niedriger ausfallen, meint Wakolbinger: 1.362 Euro für Erwachsene und 340 Euro für Kinder.

So stimmen die KURIER.at-Leser ab:

Asylreform und weitere Abstimmungen

Bei dem Schweizer Referendum wurde am Sonntag auch noch über andere Themen abgestimmt. 66,8 Prozent der Teilnehmer stimmten den amtlichen Angaben dafür, Asylverfahren deutlich zu beschleunigen. Statt derzeit durchschnittlich 400 Tage sollen sie künftig höchstens 140 Tage dauern. Die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei (SVP) hatte das Vorhaben entschieden abgelehnt.

62,4 Prozent der Referendumsteilnehmer stimmten für die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik unter bestimmten engen Voraussetzungen. Bei In-vitro-Befruchtungen an den Embryonen dürfen damit vor ihrer Einsetzung in der Gebärmutter Gentests vorgenommen werden, wenn ein Elternteil unter einer schweren Erbkrankheit leidet. Eigenschaften wie Geschlecht oder Haar- und Augenfarbe dürfen dabei nicht getestet werden.

Eine Initiative, mit der staatseigene Unternehmen wie die Post oder die Bahn verpflichtet werden sollen, Bürgerinteressen vor das Streben nach Profit zu stellen, wurde abgelehnt. Zu einem Vorschlag zur Neustrukturierung der Straßenbaufinanzierung sagten 70,8 Prozent "Nein". Volksentscheide sind in der Schweiz bindend.

Jetzt mal ehrlich: Würden Sie am Montag noch zur Arbeit gehen, wenn Sie nicht müssten? Weil Sie an jedem Monatsersten einen stattlichen Scheck vom Staat bekämen - sagen wir 2300 Euro ein Leben lang -, ohne Auflagen oder Bedingungen? Die Schweizer Bevölkerung stimmt genau darüber morgen Sonntag ab.

Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens ist keine neue Fantasie der Fans eines allumfassenden Sozialstaates, sondern eine alte Utopie, die in der Geschichte immer wieder angedacht und diskutiert wurde. Von Thomas Morus vor 500 Jahren über Thomas Paine, einem der Gründerväter der Vereinigten Staaten, bis zu Martin Luther King oder dem österreichischen Vordenker der Neoliberalen, Friedrich Hayek. Ob als "Minimaleinkommen", "Nationale Dividende" oder "Bürgergeld" – die Idee war immer die gleiche: Ein monatliches Einkommen, das ein menschenwürdiges Leben ermöglicht, ohne zu prüfen, ob überhaupt Bedürftigkeit vorliegt. Und auch ohne Zwang, einer Lohnarbeit nachzugehen.

Ökonomische Gründe

Lange Zeit wurde das bedingungslose Grundeinkommen vor allem aus Gründen der Wohltätigkeit diskutiert, aus Gründen der christlichen Nächstenliebe und der Gerechtigkeit. Mittlerweile werden aber auch ökonomische Gründe unserer Zeit angeführt, etwa, dass ein moderner Sozialstaat ohnehin über Sozialtransfers längst umfassend einspringt, oder, dass durch Automatisierungen nicht nur in der Industrie Arbeitsplätze zusehends "wegrationalisiert" werden.

Gegner sehen durch ein bedingungsloses Grundeinkommen unser Wirtschaftsmodell in Gefahr. Das System sei darauf angewiesen, dass es Menschen gibt, die durch Existenznot und Erwerbsdruck gezwungen sind, für wenig Geld Jobs anzunehmen, die niemand gerne macht. Befürworter argumentieren, dass vor allem Arme vom Stigma des Sozialhilfeempfängers befreit würden und Würde wieder erlangen könnten – ganz zu schweigen, dass sie vom enormen Druck befreit sind, jede noch so demütigende Arbeit annehmen zu müssen.

Reale Versuche

Wissenschaftler haben in vielen Ländern immer wieder versucht, das bedingungslose Grundeinkommen einem Realtest zu unterziehen. Wie wirkt es sich auf die Gesellschaft aus? Führt es dazu, dass die Menschen weniger oder gar nicht mehr arbeiten gehen und in der "sozialen Hängematte" liegen?

Erste Feldstudien gab es in den USA Anfang der 1970er-Jahre. Die Ergebnisse sind bis heute nicht umfassend aufgearbeitet, weil das Experiment keine klare Zielsetzung und eine schwache wissenschaftliche Begleitung hatte. Die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt sollen aber messbar gewesen sein: rund sieben Prozent der Männer arbeiteten durch das Grundeinkommen weniger als zuvor, was Soziologen nicht unbedingt negativ sehen, da es die Arbeitslosenrate senken kann. Ein anfänglich kolportierter sprunghafter Anstieg der Scheidungsrate wurde wissenschaftlich später entkräftet.

"Mincome" in Kanada

In Kanada gab es in den 1970ern ein ähnliches Projekt: "Mincome". Auch hier wurden keine eindeutigen Gesamtergebnisse publiziert – angeblich, weil kein Geld für eine abschließende Forschung vorhanden war. Immerhin sollen die Spitalsaufenthalte deutlich zurückgegangen sein – nicht zuletzt, weil der Arbeitsdruck weggefallen ist. Zwei Wirtschaftsprofessoren der Uni Manitoba entkräfteten die Befürchtungen, dass die Menschen "arbeitsunwillig" geworden wären: Nur ein Prozent der Männer hätten nach dem Start von "Mincome" weniger gearbeitet als davor.

Feldstudien gab es auch in afrikanischen und asiatischen Gebieten, mit durchaus positiven Ergebnissen: Im indischen Dorf Panthbadodiya war das Ergebnis, dass die zuvor schlecht ernährten Dorfbewohner sich deutlich besser ernährten, mehr in ihre Gesundheit investierten, die Kinder besser in der Schule wurden und öfter am Unterricht teilnahmen. Zudem wurde mehr gespart und das Unternehmertum deutlich angekurbelt.

Wer soll das bezahlen?

Die wichtigste Frage, die sich bei allen Modellen eines bedingungslosen Grundeinkommens stellt, ist natürlich die der Finanzierung. Grundsätzlich gehen Experten davon aus, dass das Steuersystem massiv vereinfacht werden kann, sobald ein Grundeinkommen ausbezahlt wird. Schon alleine deshalb, weil alle anderen Transferleistungen – Kindergeld, Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Pensionen – wegfallen würden.

Dennoch sind die Kosten enorm – bei 8,5 Millionen Österreich und 1300 Euro monatlich wären das rund 130 Milliarden jährlich. Dabei nimmt der Finanzminister derzeit nur rund 82 Milliarden Euro brutto ein.

Abschöpfen

Beim konkreten Vorschlag in der Schweiz würden die Initiatoren alle Erwerbseinkommen bis zur Höhe des vorgeschlagenen Grundeinkommens (rund 2260 Euro) "abschöpfen", als auch höhere Verbrauchsabgaben, Vermögens-, Ertrags- und Finanztransaktionssteuern und auch eine "ökologische Lenkungsabgabe" einführen.

Bei einer EU-weiten Umfrage sprachen sich 64 Prozent für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens aus. 34 Prozent gaben an, dass das gesicherte Einkommen keine Auswirkungen auf ihr Leben haben würde. 15 Prozent hoffen auf mehr Zeit für die Familie. Vier Prozent gaben an, gar nicht mehr arbeiten zu wollen.

Schweiz: Bedingungsloses Grundeinkommen klar abgelehnt
Aktion der Initiative "Bedingungsloses Grundeinkommen"

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