Wer Ja sagt, zahlt mehr Steuern: Schweiz streitet über "Heiratsstrafe"

Hochzeit
Es war eine historische Entscheidung, die das Schweizer Parlament da im Frühsommer traf: Die sogenannte „Heiratsstrafe“ – steuerliche Nachteile für Ehepaare, wenn beide Partner arbeiten – soll abgeschafft werden. Stand jetzt werden Verheiratete gemeinsam besteuert, zahlen insgesamt nach einer Hochzeit dann pro Jahr manchmal Tausende bis Zehntausende Franken mehr an Steuern als davor. Betroffen sind vor allem Besserverdiener.
Diese Regelung führt dazu, dass einige Paare mit dem Heiraten warten oder es gar nicht tun, obwohl sie sich das Ja-Wort eigentlich gerne geben würden. Oder sie heiraten nur inoffiziell, um den höheren Steuern zu entkommen. Manche lassen sich auch für niedrigere Sätze kurz vor der Pension scheiden. Zudem fördert diese Steuerregelung ein Familienleben, in dem ein Partner arbeitet und der andere bei den Kindern bleibt. Und traditionell ist es oft die Frau, die dann zu Hause bleibt.
1,5 Mrd. Franken mehr
Laut Pro Familia Schweiz zahlen rund 700.000 doppelverdienende und auch pensionierte Ehepaare wegen der „Heiratsstrafe“ bis zu 1,5 Milliarden Franken (rund 1,4 Milliarden Euro) in die direkte Bundessteuer. Schon in den 1980er-Jahren stufte ein Bundesgericht die „Heiratsstrafe“ als verfassungswidrig ein. Nun will man eine Individualbesteuerung einführen, wie es sie in Österreich schon seit 1972 gibt. Damit werden die Steuern für alle Erwachsenen einzeln berechnet, unabhängig von ihrem Familienstand.
Treibende Kraft ist hier vor allem die liberale FDP. Sie sieht in der Abschaffung der „Heiratsstrafe“ auch ein Mittel zur Bekämpfung des Fachkräftemangels – nämlich, wenn jene Personen, die aus Steuergründen bislang nicht gearbeitet haben, dies nun doch tun. Die Regierung schätzt, dass die Reform 60.000 Menschen mehr zum Arbeiten bewegen könnte.
Dass die „Heiratsstrafe“ abgeschafft gehört, darin sind sich die Schweizer Parteien im Kern einig. Es ist eher das Wie, das sie jetzt spaltet und familienpolitische Debatten auslöst. Während Liberale und die linken Parteien eben für die Individualsteuer sind, halten die Konservativen – die Schweizerische Volkspartei (SVP) und Die Mitte – eine solche für ungerecht.
Konservative Kritik
Sie sehen darin ein Bürokratiemonster, viele Schweizer mehr als jetzt müssten künftig eine Steuererklärung machen. Zudem würden die Steuereinnahmen fehlen und Einverdiener-Familien sowie zu Hause bleibende Eltern wären in Zukunft benachteiligt.
Zusammen mit evangelikalen Gruppen drängen SVP und Die Mitte daher jetzt auf eine Volksabstimmung, um die Abschaffung der „Heiratsstrafe“ doch noch zu verhindern. Die Mitte will eine zweifache Steuerabrechnung für Ehepaare: Eine gemeinsame und eine individuelle. Der niedrigere Betrag bzw. die niedrigeren Beträge müssten dann gezahlt werden. Eine andere Idee ist ein Splitting-Modell wie in Deutschland, wonach die Einkommen der Partner zwar zusammengerechnet, aber mit dem Steuersatz des halben Einkommens besteuert werden könnten.
Beobachter sehen den Streit als ein altes Kräftemessen zwischen progressiven und konservativen Stimmen in der Familienpolitik. 2016 änderte ein Referendum nichts, die „Heiratsstrafe“ blieb.
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