Schweigeminute: "Wir halten zusammen"

Ein ganzes Land stand still, um der Opfer des schwarzen Freitags zu gedenken.

Etwas außerhalb des Stadtzentrums baut ein Kameramann sein Stativ mitten auf der Straße auf. Er filmt - nichts. Obwohl inzwischen Montag ist, sind dennoch nur wenige Autos zu sehen, auch nicht viele Menschen. Vor der roten Ampel, wo normalerweise Stau herrscht, stehen gerade einmal drei Pkw. Aber vielleicht ist es gerade dieses "Nichts", das der Mann filmen will. Denn die Stadt scheint sich vom Schock noch immer nicht erholt zu haben.

Wo alle die Menschen hingekommen sind, erfährt man, wenn man Richtung Zentrum geht. Sie bereiten sich dort auf die Schweigeminute vor. 100.000 hatten ihr Kommen auf Facebook angekündigt. Es sieht aber aus, als wären deutlich mehr hier. Pünktlich um zwölf schaut der Verkehrspolizist noch einmal auf die Uhr und legt dann die Kreuzung still. Der Verkehr würde aber auch ohne den Wachmann zum Erliegen kommen. Eine unübersehbare Menschenmenge füllt den Platz vor der Domkirche. Die Menge reicht bis hinein in die Innenstadt, so weit man sehen kann. Familien mit Kindern, Paare, einzelne Jugendliche - die meisten haben Blumen mit.

Es gibt keine Reden, keine Dramaturgie oder Organisation. Alle sind spontan gekommen. Alle Gesichter sind ernst. Die meisten schweigen. Das Attentat ist kein Gesprächsthema. "Wir sind alle gekommen, um zu zeigen, dass wir in Norwegen zusammenhalten," meint eine junge Frau. "Das ist unsere einzige Chance."
Neben ihr umarmt sich ein junges Pärchen. Das Mädchen kann die Tränen nicht halten. Hat sie Angehörige verloren? Soldaten ohne Waffen mischen sich unter die Menge. "Nein, wir haben hier keinen Wachauftrag", erzählt eine junge Soldatin. "Wir wollen hier nur mit den Menschen trauern."

Blumeninsel

Auch Stunden nach der Schweigeminute sind die Blumengeschäfte noch immer überfüllt, der Strom an Menschen, die zum Platz vor der Domkirche pilgern, hält ungebrochen an. Zwischen den Menschen vor dem Dom ein Teppich voller Kerzen, Blumen, Stofftieren und kleinen Zetteln. Die ganze Nacht waren Menschen hierher gekommen und haben sie niedergelegt. Und trotz des Regens brennen die Kerzen - die Passanten zünden sie immer wieder an.

Vor der riesigen Blumeninsel verharren die Menschen stumm oder auch in offensichtlich tiefer Trauer. Im Dom findet wieder eine Messe statt. Er ist heillos überfüllt, viele versuchen von außen etwas mitzubekommen.

Aber nicht nur das Zentrum steht im Zeichen der Trauer. Auch die Menschen in den äußeren Bezirken haben die Blumenläden leergekauft. In allen Straßen von Oslo sind sie mit ihren Blumensträußen unterwegs. In ganz Norwegen ein ähnliches Bild: Die viereinhalb Millionen Menschen trauern um die mindestens 76 Toten der Anschläge vom Freitag, so die neueste korrigierte Zahl der Sicherheitsbehörden.

König Harald V. und Ministerpräsident Jens Stoltenberg haben sich für ihr stilles Gedenken die Aula der Universität Oslo ausgesucht. Sie trugen sich auch als Erste in das Kondolenzbuch ein.

Skandinavier trauern

Auch Schweden, Dänemark und Finnland schlossen sich dem Gedenken an. Dänemarks Regierungschef Lars Lökke Rasmussen sprach in seinem Appell zur Teilnahme von einem "Angriff auf uns alle". Sein finnischer Kollege Jyrki Katainen rief dazu auf, "die Werte einer offenen Gesellschaft und der Demokratie zu verteidigen, auch wenn sie angegriffen werden".

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