Drei entscheidende Niederlagen
Als die Ministerpräsidentin erklärte, die kommenden Parlamentswahlen im Königreich zu einer Wahl für die schottische Unabhängigkeit machen zu wollen - indem jede Stimme für ihre SNP als Stimme für den Austritt aus dem Vereinigten Königreich gewertet würde - sank die Partei in Umfragen plötzlich ab und sogar unter die 50-Prozent-Marke. Damit wurde klar: Nicht alle SNP-Wähler wollen auch die sofortige Unabhängigkeit. Ein Dämpfer für Sturgeons Selbstverständnis.
Noch schwerwiegender war jedoch ein Beschluss des britischen Höchstgerichts vom vergangenen November: Die Richter entschieden, dass das schottische Parlament in Zukunft nicht mehr eigenständig Volksabstimmungen über die Zugehörigkeit zum Vereinigten Königreich durchführen darf. Dazu brauche es rechtlich die Zustimmung des Parlaments in London - die britischen Abgeordneten werden diese im Normalfall aber niemals gewähren.
Entscheidend für Sturgeons Rücktritt dürfte aber der große Wirbel um ihre Person gewesen sein, der in den letzten Monaten aufgekommen war. So waren nicht alle Mitglieder und potenziellen Wähler der SNP immer auf Linie mit ihrer linken Politik, vor allem ein höchst umstrittenes Gesetz zur Lockerung der Rechte von Trans-Personen zeigte diese Gräben deutlich auf.
Das Gesetz sollte unter anderem das Mindestalter, ab dem Menschen in Schottland ihr offizielles Geschlecht ändern können, von 18 auf 16 Jahre herabsenken. Inmitten der in ganz Großbritannien emotional aufgeladenen Debatte wurde dann der Fall eines verurteilten Vergewaltigers publik, der sich noch während des gegen ihn laufenden Prozesses als weiblich definierte und somit vorübergehend im Frauengefängnis landete.
Sturgeon stand im Zentrum des folgenden Sturms der Entrüstung, doch das Transgender-Gesetz trat letztlich nie in Kraft, obwohl es vom schottischen Parlament bereits abgesegnet worden war - das Londoner Höchstgericht grätschte erneut dazwischen. Zu viel für Sturgeon, die in ihrer Rücktrittsrede gestand, gegen Ende ihrer Amtszeit zur "umstrittenen Figur" geworden zu sein. Es brauche aber jemanden, der "die Gräben überbrückt, der weniger polarisierend ist, als ich es jetzt bin", um das große Ziel eines neuerlichen Unabhängigkeitsreferendums jemals im Einverständnis mit London zu erreichen.
Nachfolger-Suche wird entscheidend
Ob und wie weit es in nächster Zeit in diese Richtung weiter geht, hängt stark davon ab, wer Sturgeon nachfolgen wird. Aufgrund ihres plötzlichen Rücktritts konnte sich in der SNP noch niemand ausreichend positionieren, bis zum großen Parteikongress im Herbst soll die Entscheidung aber gefallen sein.
Unter den Kandidaten finden sich solche, die Sturgeons Kampf unbefleckt fortführen könnten - etwa ihr bisheriger Stellvertreter John Swinney, der die Partei bereits vor acht Jahren kurz führte, oder Gesundheitsminister Humza Yousaf. Aber auch konservativere Kandidaten wie der derzeitige schottische Verfassungsminister Angus Robertson oder die erst 32-jährige Finanzministerin Kate Forbes haben Aussichten auf den Job.
Die Partei scheint sich intern uneins darüber zu sein, welche Haltung gegenüber der britischen Regierung förderlicher für Schottland ist. Inzwischen gibt es viele Befürworter eines moderateren, sprich: konservativeren Kurses. Sturgeon selbst hatte fast acht Jahre lang kontinuierlich einen Machtkampf mit London geführt - und erlitt dabei, vor allem im vergangenen Jahr, eine krachende Niederlage nach der anderen. Vor allem die Entscheidung des britischen Höchstgerichts macht eine schottische Volksabstimmung in Zukunft auf dem Papier unmöglich.
Wie polarisierend Sturgeon war, zeigt sich auch an den Reaktionen aus London. Während Premierminister Rishi Sunak ihr trocken für ihren "langjährigen Dienst" dankte, lobte der für Schottland zuständige britische Minister Alister Jack die Schottin zwar als "hervorragende Politikerin", forderte ihren möglichen Nachfolger aber gleichzeitig auf, "die spaltende Besessenheit von der Unabhängigkeit" aufzugeben. Aus Dublin hieß es dagegen vom irischen Regierungschef Leo Varadkar, Sturgeon sei "eine wahre Europäerin".
Wie ihr möglicher Nachfolger außerhalb der Mauern Edinburghs wahrgenommen wird, dürfte entscheidend für die Zukunft der schottischen Unabhängigkeitsbewegung sein.
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