Scharfe Kritik an Kickls EU-Asylpapier in Deutschland

Minister Herbert Kickl (re.) mit seinem Generalsekretär Peter Goldgruber beim EU-Innenministergipfel in Wien
Im deutschen Außenamt wurden österreichische Reformvorschläge vom Juli als "Entgleisung" und als "tendenziös" bezeichnet.

(Update vom 16.9.: Überarbeitetes Dokument des EU-Ratsvorsitzes zeigt, dass Mitte Juli noch von "Obergrenzen" die Rede war)

Anfang Juli hat Österreich im Rahmen seiner EU-Ratspräsidentschaft auf Beamtenebene Reformpläne zur EU-Asylpolitik vorgelegt. Die Vorschläge aus Herbert Kickls Innenministerium sorgten wenig später durch Medienberichte für Aufsehen und wurden von der Regierung daraufhin als "Denkanstoß" bezeichnet. Nun berichtet das deutsche Nachrichtenmagazin Spiegel, dass dieser Denkanstoß im deutschen Außenministerium äußerst kritisch beurteilt worden ist.

In dem vom FPÖ-geführten Innenministerium ausgearbeiteten neunseitigen Papier war davon die Rede, dass es in Zukunft nicht mehr möglich sein solle, dass nichteuropäische Flüchtlinge einen Asylantrag auf europäischem Boden stellen können. Das darin geforderte neue Schutzsystem hatte folgende Eckpfeiler: Lediglich in den "Hotspots" außerhalb der Union sollen künftig Schutzbedürftige ausgewählt und in die EU-Staaten gebracht werden - aber nur so viele, wie die Aufnahmeländer zulassen, also eine Art Obergrenze auf europäischer Ebene. Asyl sollen außerdem nur Antragsteller erhalten, die "die Werte der  EU, ihre Grundrechte und Grundfreiheiten" respektieren. 

Des Weiteren war die Rede von Erfahrungen mit Zuwanderung aus Regionen, "die durch patriarchalische, freiheitsfeindliche bzw. rückwärtsgewandte religiöse Einstellungen geprägt sind".

"Vorurteil von schlecht ausgebildeten Männern"

In E-Mails und internen Vermerken, die dem Spiegel vorliegen, kritisierte das von Heiko Maas (SPD) geführte Auswärtige Amt das Papier als "tendenziös formuliert". Es bediene "nicht nur das Vorurteil von schlecht ausgebildeten, delinquenten, jungen, allein reisenden Männern, sondern äußert auch grundsätzliche Zweifel an der Integrationsfähigkeit von Ausländern über Generationen". Das Dokument gehe weit über die Ergebnisse des EU-Gipfels im Juni hinaus und enthalte Annahmen, "denen wir so nicht zustimmen können", wie das deutsche Außenministerium vermerkte. 

"Verbale Spitzen und Entgleisungen"

Eine überarbeitete Version (der KURIER berichtete) enthielt den umstrittenen Vorschlag, wonach künftig kein Asyl in Europa mehr möglich sein soll, nicht mehr. Doch auch diese Version fand laut Spiegel im deutschen Außenministerium keine Zustimmung. Zwar seien die "verbalen Spitzen und Entgleisungen" entfernt worden, die Forderungen seien aber weiterhin enthalten. Der Vorschlag, Schutz nur noch jenen Menschen zu gewähren, die "europäische Werte" akzeptierten, sei lediglich "sprachlich kaschiert" worden, heißt es in der Bewertung des Auswärtigen Amtes. Eine "europäische Obergrenze" oder "Rückführungszentren in Drittstaaten" seien noch immer enthalten. Das deutsche Ministerium sieht diese Punkte demnach als "problematische Forderungen".

Laut dem Spiegel-Bericht gehe das Auswärtige Amt davon aus, dass das von  Horst Seehofer (CSU) geführte Innenministerium "Teilen dieser robusten Vorschläge positiv gegenübersteht". Das Magazin verweist auch auf einen gemeinsamen Termin Seehofers mit seinem Amtskollegen Herbert  (FPÖ) vom 4. September, bei dem Seehofer zusicherte, Österreich in allem zu unterstützen, "was es in der Ratspräsidentschaft anstrebt". Seehofer hatte ähnliche Forderungen schon in Deutschland gestellt.

Kanzleramt spricht von "altem Hut"

„Das ist ein alter Hut und seit dem Juni-Gipfel überholt“, heißt es in Regierungskreisen. Eine Obergrenze sei „kein Thema mehr“. Aus dem Kanzleramt bekam der KURIER folgende Auskunft: „Das genannte Papier war ein Diskussionsbeitrag, der vor Beginn des Vorsitzes in einer technischen Arbeitsgruppe der EU-Innenminister zirkuliert wurde. Die Basis der jetzigen Arbeiten des EU-Vorsitzes sind die umfangreichen Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Juni, der eine Trendwende in der Migrationsdebatte brachte. Zu möglichen Auffassungsunterschieden zwischen Ressorts einen anderen Mitgliedstaates nimmt der Vorsitz grundsätzlich keine Stellung."

Zumindest Mitte Juli dürfte noch von "Capacity limits" (Obergrenzen) als Option die Rede gewesen sein, wie aus dem am 7. Juli überarbeiteten Papier, das dem KURIER in englischer Sprache vorliegt, hervorgeht. Dieses Dokument diente demnach zur Vorbereitung des informellen Treffens der EU-Justiz- und Innenminister in Innsbruck vom 12. und 13. Juli.

Tiefe Gräben vor EU-Gipfel

Auch wenn diese Unstimmigkeiten mit Deutschland bereits bereinigt zu sein scheinen, so ist die Sache ein weiteres Zeichen für die tiefen Gräben in Europas Migrationspolitik. Auch beim aktuellen EU-Innenministertreffen in Wien, wo Innenminister Kickl neue Vorschläge zur Asylpolitik (siehe unten) vorbrachte, kam es am Freitag zu Zwistigkeiten - etwa zwischen Italiens Innenminister Matteo Salvini und dem luxemburgischen Integrationsminister Jean Asselborn.

Kurz vor dem EU-Gipfel in Salzburg könnten die aktuellen Berichte zusätzlichen Gesprächsbedarf bringen. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) trifft am Sonntagabend mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zusammen.

Vor dem Besuch in Berlin haben die deutschen Grünen Kurz kritisiert. Merkel müsse "ihre Handlungsfähigkeit beweisen, und Kurz muss sich entscheiden, ob er bei dieser Koalition der Anständigen dabei ist oder lieber mit Orban,  Seehofer und Co. nur blockiert", meinte die Europapolitik-Sprecherin Franziska Brantner.

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