Schallenberg: „Lebensplanung ist etwas für Anfänger“

Schallenberg: „Lebensplanung ist etwas für Anfänger“
Der Außenminister über einen Putin, der vor nichts zurückschreckt, schädliche Spekulationen, legitime Wünsche, dass die Waffen schweigen mögen und seine enden wollende Zeit in der Politik

Schweißtreibende 35 Grad verkürzen jedes Interview im Freien. Und so flüchten Außenminister Schallenberg und der KURIER gleich wieder vom Minoritenplatz ins Außenamt. Entspannt-lockere Themen sind für Schallenberg ohnehin rar.

KURIER: Wenn es überall auf der Welt Frieden gäbe, wäre dann Außenminister der langweiligste Job der Welt? Alexander Schallenberg (lacht): In einem postnationalen, post-historischen Zustand bräuchte man Außenpolitik im klassischen Sinne nicht mehr. Aber wie wir in der Zwischenzeit gelernt haben, braucht es heute, auch in unserer unmittelbaren Nachbarschaft, mehr Diplomatie denn je.

Sie sind seit vier Jahren Außenminister. Gab es seither einmal einen Sommer ohne Krisen?

Langweilig war mir jedenfalls noch in keinem Sommer. Denken wir an die dreist gefälschten Wahlen in Belarus, Covid-bedingte Reiseeinschränkungen, die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan und dann seit dem Vorjahr der russische Angriff auf die Ukraine.

Bereitet Ihnen der Krieg in der Ukraine manchmal schlaflose Nächte?

Ja. Es gibt Momente im Leben, in denen man weiß, dass man sie nie vergessen wird. Der 24. Februar war so einer. Das war ein gewaltiger emotionaler Schock. Gegen vier Uhr früh hat mich der Kanzler angerufen, um 9 Uhr hat das Krisenkabinett getagt. Der 24. Februar war wie ein geostrategischer Eiskübel, der uns ins Gesicht geschüttet wurde.

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Die Mehrheit der Österreicher wünscht sich vor allem eines: Der Krieg soll aufhören.

Ein völlig legitimer Wunsch. Aber wie kann er aufhören? Den Wunsch nach Frieden hegt die ukrainische Bevölkerung auch. Der Punkt ist, dass es nicht in ihrer Hand liegt. Putin hat den Krieg begonnen. Er kann ihn morgen beenden, dann ist der Krieg aus. Wenn die Ukrainer morgen aufhören sich zu verteidigen, ist es das Ende für die Ukraine.

Man stelle sich nur einmal vor, ein Staat besetzt die Südsteiermark oder Teile Burgenlands, will die Bundesregierung auslöschen und dann erklärt man uns von außen: Geh bitte, jetzt macht doch endlich Frieden in Österreich. Undenkbar! Die, die den Wunsch nach Frieden am heftigsten verspüren, sind die Ukrainer selbst.

Kann es Frieden geben, solange Putin im Kreml sitzt? Jeder Friedensvertrag, jeder Waffenstillstand setzt ein Minimum an Vertrauen gegenüber dem Vertragspartner voraus. Russland hat in den letzten 30 Jahren zahlreiche Verträge unterschrieben, wo es die territoriale Unversehrtheit und Souveränität der Ukraine zugesichert hat – und sich dann doch nicht daran gehalten. Die große Herausforderung wird also sein, Vertrauen wieder aufzubauen. Das ist extrem schwierig, wenn der Präsident Wladimir Putin heißt, aber die Schwierigkeit betrifft auch Russland an sich.

Vor allem nun, da die Möglichkeit besteht, dass Putin Wagner-Chef Prigoschin hat „neutralisieren lassen“....

Putin hat hinlänglich bewiesen, dass er vor nichts zurückschreckt. Sei es im Angriffskrieg gegen die Ukraine oder im Umgang mit seinen Feinden. Nicht umsonst liegt gegen ihn ein internationaler Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen vor. Wenn es irgendwann zu Gesprächen über Frieden kommen soll, sind wir wieder beim entscheidenden Punkt Vertrauen angelangt. So weit sind wir noch lange nicht.

Der Stabschef von NATO-Generalsekretär Stoltenberg in Norwegen hat eine Art Testballon losgelassen: Die Ukraine soll Land abgeben, erhält dafür einen NATO-Beitritt. Was halten Sie davon?

Ich halte solche Spekulationen für schädlich. Die Maxime ist: Keine Verhandlungen über die Ukraine ohne die Ukraine. Das ist auch die Position der Europäischen Union.

Tatsache ist auch, dass die Ukraine sich nur wehren kann dank der Waffenlieferungen aus dem Westen. Was, wenn diese Unterstützung nachlässt?Das ist genau das, womit Putin rechnet. Er glaubt, dass sich im Laufe der Zeit der Westen als das erweisen wird, für was er ihn hält: Schwach, uneinig oder wie er sagen würde „dekadent und verweichlicht“. Ich vermute, dass er davon ausgeht, dass die Zeit ihm in die Hände spielt.

Was, wenn Donald Trump die US-Wahlen gewinnt und dann die Waffenhilfe aus den USA nachlässt?

Man muss die Kirche im Dorf lassen. Es gibt in den USA eine sehr starke Schnittmenge zwischen Demokraten und Republikanern, gerade was den Umgang mit Russland in diesem Angriffskrieg betrifft. Ich vertraue darauf, dass die Amerikaner auch in Zukunft unsere Partner bleiben, ganz gleich, wer im Weißen Haus sitzen wird.

Was halten Sie vom Plan, die Ukraine in die EU zu holen?Wir wollen unsere Nachbarschaft fest in der europäischen Familie verankern. Das ist eine geostrategische Aufgabe. Nicht nur die Ukraine, auch Moldau und die Staaten des Westbalkans. Was ich nicht will, ist, dass es eine Art Überholspur für die Ukraine gibt und der Westbalkan am Pannenstreifen hängen bleibt. Warum lassen wir diese Staaten nicht schon jetzt an gewissen Politikbereichen teilhaben?

Schallenberg: „Lebensplanung ist etwas für Anfänger“

Außenminister Alexander Schallenberg und KURIER-Redakteurin Ingrid Steiner-Gashi

Warum sind die Westbalkanstaaten nicht etwa Teil der transeuropäischen Netze? Der Westbalkan ist der geostrategische Lackmustest der EU. Wenn wir dort versagen, brauchen wir über Geostrategie überhaupt nicht mehr zu reden

Sie haben gesagt, Sie würden nicht der nächsten Regierung angehören, wenn FPÖ-Chef Kickl in der Regierung ist. Warum? Offensichtlich gibt es ja Teile der ÖVP, die hätten damit kein Problem.

Das schließe ich ganz klar aus. Kickl als Bundeskanzler ist undenkbar, wäre zum Schaden dieser Republik und ein Sicherheitsrisiko.

Wenn er nur ein Minister wäre?

Auch ein Minister Kickl wäre mir ungeheuer.

Werden sie denn in der Politik bleiben?

Politik ist nichts, was ich bis zum Pensionsantritt machen werde. Aber über meine eigene Zukunft mache ich mir jetzt keine Gedanken. Mein Leben hatte in den letzten Jahren schon viele Überraschungen parat. Ich habe gelernt: Lebensplanung ist etwas für Anfänger. Ich hatte sehr lustige und sehr spannende Jobs und freue mich auf weitere...

Wie dem eines EU-Kommissars?

Nein. Ich hatte schöne Jahre in Brüssel. Aber es zieht mich nicht noch einmal hin.

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