Russland wählt: Opposition kämpft gegen Übermacht der Kremlpartei

14 Parteien und rund 6.500 Kandidaten - aber der entscheidende Mann der russischen Parlamentswahl steht nicht auf der Liste.

Auch bei seiner Stimmabgabe an diesem trüben Septembertag in Moskau gibt sich Präsident Wladimir Putin eher wortkarg. Alle Augen richten sich bei dieser Wahl auf ihn. "Für Putin ist das inmitten einer Wirtschaftskrise ein wichtiger Stimmungstest", sagt der Politologe Dmitri Trenin. Für ihn steht der Urnengang schon im Zeichen der nächsten Präsidentenwahl. Auch Putin betont, die Parlamentswahl entscheide mit über seine mögliche Kandidatur 2018.

"Das bedeutet Stillstand"

Für den 53-jährigen Alexander ist eine weitere Amtszeit von Putin eine "Horrorvorstellung". "Das bedeutet Stillstand", sagt der Architekt. Viele in seinem privaten Umfeld stöhnen über düstere Zukunftsaussichten und über die Folgen der westlichen Sanktionen. "In Russland herrscht eine Stimmung wie in einem Flugzeug vor einer Notlandung", meint Alexander. Er hat gerade im Wahllokal nahe der Metrostation Proletarskaja für die Oppositionspartei Parnas gestimmt. Ihr gehörte auch der 2015 ermordete Putin-Gegner Boris Nemzow an. "Vielleicht gewinnt Parnas ja ein Direktmandat", hofft Alexander. Erstmals seit 2003 werden diesmal wieder Direktmandate vergeben. Als haushoher Favorit gilt aber die kremlnahe Partei Geeintes Russland, die das Parlament seit Jahren dominiert. Dass dies so bleibt, dafür ist Dmitri Medwedew zuständig. Der Regierungschef leitet Geeintes Russland, in der Praxis ist die Partei Putins verlängerter Arm in die Duma. Kaum etwas fasst das so gut zusammen wie das Titelblatt der Wahlzeitung: ein Putin-Porträt mit Daumen-Hoch-Geste. Es wirkt wie die Kreml-Variante von der deutschen Kanzlerin Angela Merkels "Wir schaffen das".

"Mission Machterhalt"

Auch auf der von Russland annektierten Krim läuft an diesem Sonntag die "Mission Machterhalt" auf vollen Touren. Live im Staatsfernsehen wirft der Gouverneur der Halbinsel, Sergej Aksjonow, seinen Stimmzettel ein. "Wir sind stärker als die westlichen Sanktionen", sagt der Spitzenkandidat von Geeintes Russland. Die Ukraine, zu der die Krim völkerrechtlich gehört, kritisiert die Abstimmung scharf. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat demonstrativ keine Wahlbeobachter auf die Halbinsel entsandt. Inmitten der Krise versuchen Putin und Medwedew immer wieder demonstrativ, Ruhe auszustrahlen. Als das Machttandem vor kurzem mit Seeleuten in der Region Nowgorod die traditionelle Fischsuppe Ucha löffelte, ging es vor allem um die Botschaft: starke Führung trotz schwacher Wirtschaft. Für das Kontrastprogramm sorgt das vom Kreml gesteuerte Fernsehen mit drastischen Bildern aus den Krisenregionen Syrien und Ostukraine. Ruhe und Stabilität in Russland: Das sind die Punkte, mit denen die Regierungspartei bei dieser Wahl geworben hat.

"Nein, ich gehe nicht wählen"

Landesweit deutet sich zunächst eine eher bescheidene Beteiligung an. Anders als bei vergangenen Wahlen locken zumindest in Wahllokalen am beliebten Gorki-Park in Moskau keine Verkaufsstände und Volksmusik zur Stimmabgabe. Julia (36) parkt ihren Geländewagen in der Nähe. "Nein, ich gehe nicht wählen", sagt sie. "Das ändert doch eh nichts." Auch der 27-jährige Dima setzt keine großen Hoffnungen auf die Abstimmung. "Bei der Bürgermeisterwahl vor zwei Jahren habe ich für den Blogger Alexej Nawalny gestimmt", sagt der Finanzexperte bei einem TV-Sender. Es sei eigentlich egal, wofür man stimmt, sagt er. "Das Wichtigste ist, überhaupt zu wählen - damit sie nicht betrügen können."

Massenproteste wie nach der Abstimmung 2011, bei der es zu massiven Fälschungen kam, sind diesmal kaum zu erwarten. Einer Umfrage des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Lewada zufolge würden derzeit nur zehn Prozent der Russen einem Aufruf zu Demonstrationen folgen. "Protest braucht die Hoffnung, dass sich etwas bessert. Doch die Menschen sind enttäuscht, weil die Demonstrationen nichts geändert haben", sagt der Politologe Alexander Kynew. "2011 brannte der Widerstand gegen Putin wie Feuer", kommentiert der Rundfunksender Echo Moskwy. Fünf Jahre später sei davon nur kalter Rauch geblieben.

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