Schauprozess gegen eine "Heldin"

Nadija Sawtschenko vor Gericht in Moskau: Russlands Justiz wirft ihr Mord vor, EU und USA fordern ihre Freilassung.
In Moskau muss sich eine ukrainische Soldatin wegen Mordes verantworten - worauf sich die Anklage stützt, ist aber umstritten

Sie ist eine lebende Ikone der Ukraine: Nadija Sawtschenko. Ihre Auftritte vor Gericht sind kleine Inszenierungen. Kleine Dramen. Sie selbst nannte das Verfahren gegen sie zuletzt in einem öffentlichen Brief einen „Zirkus“. Sie schreibt viele Briefe. Mal trägt sie ukrainische Tracht vor Gericht, mal T-Shirts. Mal verzieht sie keine Mine, mal lacht sie lauthals über die Prozedur, in der sie feststeckt und posiert für die Gerichtsfotografen. Das auch, wie sie schrieb, obgleich sie jede Hoffnung auf ein faires Verfahren aufgegeben habe.

Vergangene Woche feierte sie ihren 34. Geburtstag. Ihre Geschenke, wie sie aus diesem Anlass in dem offenen Brief ausführte: Kuchen, Besuch von ihrer Schwester, Freiheit – Letzteres in fetten Lettern geschrieben. Denn niemand habe die Macht die Freiheit eines Menschen hinter Gitter zu bringen.

Das Fall Sawtschenko ist ebenso undurchschaubar wie grotesk – er ist gewissermaßen das juristische Spiegelbild des nicht erklärten Krieges Russlands in der Ostukraine. Denn es ist weder klar, wo Nadija Sawtschenko festgenommen wurde und von wem, noch auf wessen Beweise sich die Anklage stützt. Walentina Welinchenko aus dem Anwaltsteam Sawtschenkos nennt das Verfahren daher auch schlicht eine „Machtdemonstration der russischen Justiz.“

Nur soviel ist klar: Nadija Sawtschenko steht wegen Mordes vor Gericht – in Moskau. Laut Anklage war sie im Juni 2014 an einem Mörserangriff auf einen Checkpoint der Separatisten nahe Lugansk beteiligt, bei dem zwei russische Journalisten starben. Die Kampfpilotin hatte zu diesem Zeitpunkt für das Freiwilligen-Bataillon Aidar gekämpft. Während Vertreter der pro-russischen Volksrepubliken Donezk und Lugansk (DNR und LNR) lauthals ihre Gefangennahme verkündeten, besteht die russische Anklage darauf, Sawtschenko sei ohne Papiere auf russisches Staatsgebiet gereist, wo sie regulär von russischen Behörden festgenommen worden sei. Sie sei als Flüchtling gekommen.

Sawtschenkos Verteidiger hingegen sagen, sie habe mit dem Angriff nichts zu tun, sie sei bereits eine Stunde vor dem tödlichen Angriff verschleppt worden. Zudem sei das russische TV-Team nicht akkreditiert und in an sich gesperrtem Gebiet unterwegs gewesen. Sawtschenko, so heißt es, sei auf russisches Gebiet verschleppt und vor einen Richter gezerrt worden. An sich erlaubt die russische Gesetzgebung, Verbrechen gegen Staatsbürger auf eigenem Territorium zu ahnden, wo auch immer sie begangen wurden.

Juristische Tücken

Es sind aber gerade juristische Details dieses Falles, die für Russland Tücken bergen. So stützt sich die Anklage auf die Aussagen von zwei lange Zeit anonym gehaltenen Zeugen aus den Reihen pro-russischer Milizen in der Ostukraine. Bei der Beweisaufnahme stützt sich die Anklage zudem auf angebliche Ermittlungen der DNR und LNR – abtrünnige Regionen, die laut Moskaus offizieller Außenpolitik nach wie vor Teil der Ukraine sind und Nutznießer einer von Moskau geforderten Föderalisierung der Ukraine werden sollen. Über die Anerkennung ihrer Ermittlungen und durch die Umgehung der ukrainischen Staatsanwaltschaft aber, so heißt es aus Sawtschenkos Anwaltsteam, erkenne Russland die beiden Regionen praktisch an.

Welche Tragweite der Fall in der Ukraine aber hat, zeigt schon die Tatsache, dass die inhaftierte Soldatin heute einen Sitz im ukrainischen Parlament hält. Die Vaterlandspartei von Julia Timoschenko nominierte sie bei den Wahlen 2014 als Listenerste – da war Sawtschenko bereits in Haft in Moskau. Ihren Eid auf die Verfassung schwor sie dann auf dem Postweg über ihre Anwälte. Die Oberste Rada in Kiew nominierte Sawtschenko auch für die parlamentarische Versammlung des Europarates, sollte diese Nominierung bestätigt werden, würde sie internationale Immunität genießen. Präsident Poroschenko verlieh ihr zudem den Titel „Heldin der Ukraine“ – die höchste Auszeichnung des Staates.

Die russische Komsomolskaja Prawda nannte Sawtschenko dagegen eine „Killermaschine im Rock“ – das entspricht in etwa dem Bild von ihr, das quer durch die russische Medienlandschaft kommuniziert wird. Aber auch in der russischen Öffentlichkeit stößt die russische Darstellung des Falls – vor allem die Umstände ihrer Festnahme als Flüchtling – auf wenig Glauben. Und so kam es, dass zu Sawtschenkos Geburtstag in mehreren russischen Städten Menschen auf die Straße gingen – und verhaftet wurden.

Sawtschenkos Freilassung wird auch von der EU sowie den USA gefordert. Zu ihrem Geburtstag bekräftigte die US-Vertretung bei der OSZE die Forderung an Russland, den Verpflichtungen des Abkommens von Minsk nachzukommen und ohne Verzögerung „alle inhaftierten ukrainischen Geiseln“ frei zu lassen – „Frau Sawtschenko inkludiert“. Russland hat das bisher ausgeschlossen.

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