Ukraine-Krieg: "Putin wird auch versuchen, Österreich umzudrehen"

Kurze Verschnaufpause im Verteidigungskrieg gegen Russland
Militärhistoriker Markus M. Keupp kritisiert das "Märchen von einer friedlichen Nachbarschaft zu Russland" und geht davon aus, dass der Krieg gegen die Ukraine nie wirklich enden wird.

US-Präsident Donald Trump verschärft die Tonlage gegen Russland. Er droht mit Zöllen und Waffenlieferungen in die Ukraine. Doch wird das reichen, um Kremlherrn Putin zu Friedensverhandlungen zu  bewegen? Der deutsche Militärhistoriker Markus M. Keupp hegt massive Zweifel.

KURIER: Ihr Buch trägt den Titel Spurwechsel. Sie meinen damit, dass der Ukraine-Krieg uns alle betrifft und wir gezwungen sind, anders zu denken. Aber wie?

Marcus M. Keupp: Man nimmt an, der russische-ukrainische Krieg sei nur eine regionale Auseinandersetzung, aber es geht um viel mehr. Russland hat sich durch diesen Krieg sehr stark verändert, das bleibt nicht folgenlos. Sowohl für Russlands Nachbarn in Zentralasien als auch Europa und die ganze Welt. Sprich: Unsere Vorstellung, alles würde sich nur in Richtung Freiheit und Demokratie wandeln, wird jetzt einem Reality-Check unterzogen. Wir merken plötzlich, dass es Regime und Weltanschauungen gibt, die das genaue Gegenteil wollen und auch bereit sind, dafür Gewalt anzuwenden.

Was bedeutet das im Konkreten für uns in Europa?

Zunächst müssen wir uns von den Russlandillusionen der Vergangenheit verabschieden, nämlich dass jemals so etwas wie Gemeinschaft oder Partnerschaft mit Russland in einem gemeinsamen Haus Europa möglich wäre. Wir müssen uns auf ein Russland einstellen, das expansiv agiert, das sich nicht um unsere politischen Systeme, unsere gesellschaftlichen Anschauungen, unsere Werte kümmert, sondern einfach sagt: Ich rücke jetzt vor, was könnt Ihr überhaupt dagegen tun?

Russland wird immer unser geografischer Nachbar sein, also irgendeine Form der Nachbarschaft muss man finden. Wie kann die aussehen? 

Nachbarschaft kann auch so aussehen, dass man einen sehr, sehr starken befestigten Grenzwall hochzieht und jeder für sich lebt. Ich glaube, dass es insbesondere für Polen und die Ukraine gar keine andere Möglichkeit geben wird, als ihre Ostgrenzen sehr  stark zu befestigen gegen künftige russische Invasionen. Polen baut solche Befestigungen schon seit letztem Jahr.

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Russischer Soldat nach der Eroberung der ukrainischen Stadt Mariupol

Die Idee, dass mit einem expansiven Imperium eine friedliche Koexistenz möglich sei, ist eine der größten Irrtümer der letzten 30 Jahre. Es wird noch lange dauern, bis man sich von dieser Märchengeschichte löst. 

Ist es Putins beziehungsweise Russlands Plan, wieder ganze Länder zu erobern? 

Ich sage mal: zu durchdringen, zu durchwandern und letztlich wieder in die russische Interessenssphäre zu ziehen, wo man diese Länder systematisch beeinflusst. Das macht Putin sehr erfolgreich in Georgien. Er hat es versucht in Rumänien. Er hat in Ungarn einen Ministerpräsidenten, der ihm aus der Hand frisst, er hat die Slowakei umgedreht. Er wird es selbstverständlich auch in anderen Ländern versuchen, auch in Österreich, auch in Deutschland.

Er wird versuchen, links- und rechtsradikale Mehrheiten zu schaffen, also Parteien dort an die Macht zu bringen, die seine Punkte vertreten und hinter seiner Agenda stehen.

Teile der österreichischen Wirtschaft drängen darauf, die Sanktionen zu beenden, damit wieder Geschäfte mit Russland möglich werden. Was halten Sie davon? 

Gar nichts. Im Gegenteil würde ich diesen Herrschaften raten, sich wirklich warm anzuziehen. Denn wenn sich herausstellen sollte, dass sie irgendwie verbunden sind mit den Kriegsverbrechen des russischen Regimes oder dass sie bei der Sanktionsumgehung helfen oder sie sich zur Verfügung stellen als Finanziers für die Umgehung der Sanktionen, dann wird das irgendwann böse Rückwirkungen haben. 

Würde sich etwas ändern, wenn Putin nicht mehr an der Macht wäre? 

Nein, überhaupt nicht. Das ist ein weiteres Märchen, an das sich viele im Westen festklammern. Es ist eine fundamentale Fehlbeurteilung sowohl der russischen Gesellschaft als auch der russischen politischen Führungsschicht. Putin ist nur einer von vielen personellen Repräsentanzen eines autoritären, militanten und nationalistischen Regimes. Es ist völlig egal, wann Putin ablebt, wie er ablebt – ob er aus dem Fenster fällt oder eines natürlichen Todes stirbt – es kommt der Nächste aus dieser Führungsschicht, und es geht genauso weiter. 

Für die Ukraine bedeutetet das nichts Gutes - im Sinne, dass der Krieg doch bald enden könnte. 

Ich gehe mittlerweile sogar davon aus, dass der Krieg überhaupt nicht enden wird. Sondern, dass Russland ihn auf ein niedrigeres Niveau herabfährt - wo man nicht mehr diese sehr starken mechanisierten Kampfhandlungen sehen wird. Es wird eher eine ewig blutende Grenze geben, mit sehr lang andauernden militärischen Auseinandersetzungen.

Für Russland ist der Krieg der ideale Betriebsmodus, das ideale Geschäftsmodell. Der Krieg erlaubt ihm Leute zu mobilisieren. Durch den Krieg hat er totale Kontrolle über die Wirtschaft und Gesellschaft. Dieses Russland kann gar nicht mehr zurück in einen Friedensmodus. Es würde wirtschaftlich ziemlich schnell kollabieren. Und auch die Gesellschaft würde dann fragen: Wofür sind wir eigentlich gestorben? 

Der Krieg könnte enden, indem die Ukraine kapituliert oder der Westen seine Unterstützung aufgibt….. 

Das ist, worauf Putin spekuliert, dass nämlich seine Entschlossenheit stärker ist als die des Westens. Man versucht den Eindruck zu erwecken, Russland habe unendliche Ressourcen, sei unendlich nachschubfähig. Aber wenn man sieht, wie die russischen Systeme abschmelzen, dass russische Soldaten mittlerweile auf Motorrollern vorrücken an der Front, dann zeigt das schon, wie die Realität aussieht. Selbstverständlich ist es der russische Plan, die politischen Führungsschichten zu unterwandern, das ist ihm stellenweise schon geglückt. Etwa, als die amerikanischen Waffenlieferungen an die Ukraine auszusetzten. Ich denke schon, dass Putin immer noch der Überzeugung ist, er könne gewinnen.

Sehen Sie irgendeinen Weg, wie man Putin zum Aufgeben zwingen könnte? 

Mit Gewalt - indem man Putin klar macht, dass er erstens militärisch nicht weiterkommt und dass er zweitens, wenn er so weitermacht, einfach alles verlieren wird, was er in die Ukraine hineinwirft. Also der Weg, um Putin an den Verhandlungstisch oder zu einem Frieden zu zwingen, lautet ganz einfach, die Waffenlieferungen an die Ukraine zu maximieren. Nur wenn er merkt, er kommt nicht mehr weiter, wird er vermutlich andere Auswege suchen. 

Danach sieht es aber im Moment nicht aus, oder? 

Wir sind jetzt, nach über drei Jahren Krieg, in einem seltsamen Zwischenzustand. Also man hat schon verstanden, was passiert, wenn die Ukraine untergehen oder kapitulieren würde. Dann würde Russland an der polnischen Grenze stehen und anfangen, im Baltikum zu zündeln. Aber gleichzeitig ist man auch nicht bereit, die Konsequenz daraus zu ziehen, nämlich dass man Russland möglichst zurückwerfen muss aus der Ukraine, also idealerweise an die Staatsgrenze von 1991.

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Militärhistoriker Markus M. Keupp unterrichtet Militärökonomie an der Militärakademie der ETH Zürich. Der habilitierte Betriebswirt geht in seiner Forschung klassischen militärökonomischen Fragen nach und befasst sich auch mit der Sicherheit von Versorgung und kritischer Infrastruktur. 

Russland muss klargemacht werden, dass es hier nicht expandieren kann. Dazu ist man noch nicht bereit. Dazu braucht es dann auch einen anderen Typus oder eine andere Generation von Politiker. Und auch deswegen sage ich. Der Krieg wird nicht so schnell enden. 

 

Donald Trump hat zuletzt den Ton gegenüber Russland wieder verschärft. Wird das etwas verändern?

Mit Trump haben wir nun einen anderen Typus Politiker, nämlich nicht den komplett PR-gewaschenen Berufspolitiker, sondern einen Narzissten mit einem sehr, sehr verletzlichen Ego, der sich auch sehr schnell persönlich beleidigt fühlt. Man sieht, dass sich die amerikanische Ukraine-Politik gerade ändert. Trump hat vielleicht gemerkt: ,Oha, Putin meint seine Angebote nicht ernst, oder er macht sich über uns lustig.´ Das kann einem Narzissten wie Trump nicht gleichgültig sein, das lässt ihn dumm und schwach aussehen. 

Und Europa? 

Die europäischen Politiker reden gerne von Verteidigungsfähigkeit stärken, und hier habt ihr Geld und jetzt geht mal Waffensysteme kaufen. Aber es gibt einen Unterschied zwischen hier habt Ihr Geld und wir haben Rückgrat. Also ich schreibe in meinem Buch wörtlich:  Man kann sich eine Pistole kaufen, aber schießen muss man wollen. Und das ist für mich der Unterschied - Geld ausgeben ist nicht das Gleiche wie Rückgrat haben. Da hat so mancher europäischer Politiker noch Aufholbedarf. 

Hat Putin das System Russland innerlich stabilisiert? 

Ja. Russland ist auf eine dystopische Art stabilisiert - durch den Krieg. Die Art und Weise, wie Russland heute regiert wird, ähnelt eher der Sowjetunion. Es ist ein totales, autokratisches Durchregieren, die Föderation besteht zwar noch auf Papier, aber de facto ist es eine Diktatur. 

In Ihrem Buch liest man: Nach dem Krieg ist vor dem Krieg. Was heißt das? 

So wie Russland gegenüber der Ukraine vorgeht, so kann es copy-paste auch gegen andere Staaten vorgehen. Die sogenannten Spezialoperationen könnten sich also wiederholen, in Georgien, in Kasachstan, im Baltikum und so weiter.

Buchcover

Das heißt, man darf nicht denken, der Krieg sei etwas Isoliertes. Selbst wenn der Krieg in der Ukraine irgendwann enden sollte, heißt das noch lange nicht, dass Russland von dieser Politik abrückt. Im Gegenteill. Wenn der Krieg ein Geschäftsmodell ist, dann braucht Russland immer einen Gegner. Es braucht immer irgendwo ein Schlachtfeld oder ein Invasionsziel. 

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