Gefangen unter russischer Herrschaft: Wie man in der Besatzungszone überlebt

At least five injured in a Russian strike on Druzhkivka town in the Donetsk region
Ein Fünftel der Ukraine ist russisch besetzt, manche der Regionen schon seit elf Jahren. Die Menschen dort erzählen von Drohungen, Verrat, Angst – und ihrer großen Hoffnungslosigkeit.

Aus Kiew Jan Jessen

Andrej macht sich keine Illusionen mehr. „Die Träume von der Rückkehr zu einem normalen Leben ohne Krieg, wie es vor 2014 war, werden nie in Erfüllung gehen“, schreibt der 58-Jährige. Er lebt in einer der Kleinstädte in der Region Donezk, die seit elf Jahren von den Russen besetzt sind. Die Medien dort schrieben euphorisch über das Treffen zwischen Donald Trump und Wladimir Putin. „Alle reden darüber, wie Putin den Amerikanern die Mutter von Kuzkina gezeigt hat.“ Das ist russisch, bedeutet: Putin hat Trump eine Lektion erteilt. „Donezk, wo ich lebe, wird bis zu meinem Tod unter Besatzung bleiben.“

Landraub

Nach Trumps Gipfeln mit Putin, Selenskij und den Europäern wollen die Russen nicht nur die Gebiete, die sie besetzt haben, sondern auch die Teile, die noch von der Ukraine kontrolliert werden. Schon jetzt ist der russische Landraub immens, mit dramatischen Folgen für die Menschen.

Seit 2014 hat Russland knapp ein Fünftel der Ukraine besetzt, die Krim, große Teile des Donbass und Regionen im Nordosten und Süden. Wie viele Menschen dort genau leben, ist unklar. Die NGO „Save Ukraine“ geht von mindestens eineinhalb Millionen ukrainischer Kinder aus, die dort aufwachsen.

Nach der Invasion 2022 sind viele Dörfer und Städte nur noch menschenleere Ruinen. Die Großstadt Mariupol mit ihren einst 500.000 Einwohnern fiel im Mai 2022 an Moskaus Truppen, Zehntausende Zivilisten sollen gestorben Kurz danach begannen die Besatzer mit dem Wiederaufbau. Es ist ein Prestigeprojekt für Moskau.

85.000 der ukrainischen Einwohner seien noch in der Stadt, sagt Petro Andryuschenko, ehemals Berater des Bürgermeisters von Mariupol. „Die Einheimischen werden gezwungen, russische Pässe anzunehmen, andernfalls wird ihr Eigentum beschlagnahmt.“ Wer keinen russischen Pass hat, kann keine Geschäfte machen, hat schwerer Zugang zu medizinischer Versorgung. Zudem seien Zehntausende Russen in der Stadt angesiedelt worden. Trotzdem gebe es noch Widerstand, Andryuschenko ist im Kontakt mit proukrainischen Menschen in Mariupol. „Partisanen melden russische Truppenbewegungen.“

Klima der Angst

Die Berichte über das russische Vorgehen in den besetzten Gebieten ähneln sich. Nach der Befreiung Chersons im Süden erzählten viele der Menschen von einem Klima der Angst, von willkürlichen Verhaftungen, Verschleppungen, brutalen Verhören und Mord. Seit der Befreiung im November 2022 beschießen die Russen die Stadt täglich mit Drohnen und Artillerie. Viele Bezirke sind No-Go-Areas.

Viele der 20.000 Einwohner der Stadt haben Verwandte auf der russisch besetzten Seite. Tatyana Vasylivna, 49, ist Grundschullehrerin, ihre Mutter lebt auf der östlichen, besetzten Seite des Flusses Dnipro, an dem Cherson liegt. „Sie hat meinen Vater begraben, jetzt ist sie allein.“ Sie wolle zu ihr, aber: „Wir wollen uns in der Ukraine wiedersehen.“

Bereits 2014 nahmen Milizionäre unterstützt von russischen Soldaten die beiden Großstädte Donezk und Luhansk und umliegende Dörfer und Kleinstädte ein. Viele ukrainisch gesinnte Menschen flohen, von den Verbliebenen haben sich nicht wenige mit dem Leben unter der Besatzung arrangiert oder unterstützen aktiv die Fremdherrschaft. Aber auch dort gibt es noch immer Menschen, die die Besatzung ablehnen.

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Druschiwka in Donezk liegt in jener Zone, die die Russen im Zuge eines "Gebietstauschs" annektieren wollen.

Anna (43) und Ivanka (15) haben die Besatzung selbst zu spüren bekommen. Mutter und Tochter sind erst Anfang Juli Luhansk geflohen und leben jetzt in einer Einrichtung von „Save Ukraine“ in Kiew. Ihre richtigen Namen dürfen nicht veröffentlicht werden, Annas Mutter lebt noch in der Kleinstadt, aus der sie stammen, und passt auf das Haus der Tochter auf. Das Haus war der Grund, warum Anna nach 2014 nicht fliehen wollte. Die Russen konfiszieren und verstaatlichen die Häuser jener, die gehen.

Als der Krieg im Februar 2022 mit voller Wucht losbricht, nimmt die Indoktrination zu. In der Schule, die Ivanka besucht, gibt es Propaganda-Unterricht. „Da erzählen Lehrer, wie großartig Russland ist. Russische Soldaten kommen in den Unterricht und berichten davon, wie sie ukrainische Soldaten töten“, erzählt Ivanka. Den Jungs wird eingetrichtert, sie sollen zur Armee gehen. Die Mädchen sollen künftige Soldaten gebären. Die Propaganda wirkt. Von den 60 Schülern in Ivankas Jahrgang sind nur noch drei, die eine proukrainische Meinung vertreten.

Wer fragt, wird bedroht

Ivanka schwänzt den Unterricht, stellt provokante Fragen. Ihre Lehrer schreiben an die Stadtverwaltung. Eine aus Kollaborateuren zusammengesetzte Kommission verhängt eine Strafe gegen ihre Mutter, sie muss 1500 Rubel zahlen, etwa 16 Euro. Und sie drohen ihr mit dem Entzug des Sorgerechts. Das ist der Punkt, an dem Anna beschließt, mit Ivanka zu fliehen. Auch sie sagt: „Gebietsabtretungen wären falsch. Ich will nicht, dass Putin für seinen Krieg belohnt wird.“

Dmytro Kopitskjy dient in der 28. Brigade, war vor Kurzem bei Kostjantyniwka, einer Stadt, die massiv von den Russen attackiert wird. Er sagt mit bitterer Ironie, es sei zwar „fantastisch“, dass sich Trump und Putin miteinander geredet hätten. „Aber ohne Konkretes überschneiden sich die Welt solcher Verhandlungen und die reale Welt, die von Blut und Leid erfüllt ist, überhaupt nicht.“ Denn auf dem Schlachtfeld gebe es keine Anzeichen, dass Putin Frieden will.

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