Warum Putin keinen Frieden will

Putin steigt in Washington aus seinem Regierungsflieger aus: Dass er auch für ein Treffen mit Selenskij  anreist, gilt derzeit als unwahrscheinlich.
Bisher war Selenskij für Putin eine „illegitime Marionette“, das hat sich nicht geändert. Gespräche seien daher zum Scheitern verurteilt, sagen Experten – denn der Kreml spielt nach wie vor auf Sieg.

Rom? Genf? Oder Budapest? Europa jubelt nach dem Ukraine-Gipfel im Weißen Haus über einen „Durchbruch“, es wird sogar schon über den Ort eines Treffens zwischen Wladimir Putin und Wolodimir Selenskij spekuliert. Die Europäer, heißt es hierzulande, hätten Trump auf ihre Seite gezogen, und Putin stünde nun unter Druck: Jetzt müsse der Kremlchef endlich liefern.

Die Welt in Moskau ist aber, wie meist, eine ganz andere. Für Russlands Medien, die dem Kreml stets als Sprachrohr dienen, war das Treffen ein klarer Sieg Putins: „Selenskij steckt jetzt in der Sackgasse“, hieß es in der Komsomolskaja Prawda; und Putins angebliches Lieblingsblatt Moskowskij Komsomolets schrieb gar von einer „Demütigung“ für die Europäer. Als Beleg dafür wird immer das Telefonat angeführt, für das der US-Präsident das Treffen unterbrach: Dass er die sieben Europäer und Selenskij sitzen ließ, um in Moskau anzurufen, habe eindeutig gezeigt, wer das Sagen habe: Trump, ein wenig, und mehr noch Putin.

Vergiftetes Angebot

Von einem möglichen Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten, das Trump ja „binnen zwei Wochen“ in Aussicht gestellt hat, ist in Moskau aber erst gar nicht Rede. Am Dienstag sagte Putins Berater Jurij Uschakow knapp, man könnte „das Level der Repräsentanten“ gerne erhöhen; sprich vielleicht statt Diplomaten mal Außenminister Sergej Lawrow zu einem Gespräch schicken. Der selbst bremste aber sofort: „Kontakte mit hohen Offiziellen müssen mit größter Sorgfalt“ vorbereitet werden – sprich: am besten gar nicht.

Das sollte eigentlich niemanden überraschen. Putin hat Selenskij nur einmal getroffen, und das Treffen 2019 endete in offener gegenseitiger Abneigung. Seither hat er den ukrainischen Staatschef wahlweise als Nazi, drogenabhängig, einen Witz oder als illegitime Marionette des Westens abgestempelt, teils im Fernsehen und mit gehörig Furor. Würde er sich mit dem „angeblichen Staatschef eines nicht existenten Staates“ (Zitat Putin) an einen Tisch setzen, wäre das ein deutlicher Bruch – und selbst in einem autoritären Regime wie dem seinen schwer zu verkaufen.

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Das einzige Putin-Selenskij-Treffen 2019 endete unglücklich. 

Putin versuche darum, Trump zu beschwichtigen, weil er ihn für seine eigenen Zielen einsetzen könne, analysiert die im Exil lebende Kremlkennerin Tatjana Stanowaja. Am Mittwoch hat der Kreml dem Westen deshalb auch ein vergiftetes Angebot in Sachen Sicherheitsgarantien gemacht: Man könne durchaus Beistandspflichten bei einem neuerlichen Kriegsausbruch durchaus akzeptieren, wenn neben den USA, Frankreich und Großbritannien auch China mit an Bord sei, hieß es – also Russlands stärkster Alliierter. Dazu fordert der Kreml eine Zustimmung der Mitglieder des UN-Sicherheitsrats, wenn es soweit wäre – Russland selbst müsste zynischerweise sein Okay geben, damit die Ukraine Unterstützung erhält.

Das eigentliche Ziel ist noch nicht erreicht

Für Experten ist damit klar, dass Putin nicht vorhat, seinen Krieg demnächst zu beenden. Das liegt zum einen daran, dass er sein eigentliches Kriegsziel – eine Dominanz Russlands in Europa, eine komplette sicherheitspolitische Neuordnung des Kontinents – noch nicht erreicht hat. Solange der Kreml auf die finanzkräftige Unterstützung aus Peking und Neu-Delhi zählen kann, werde er davon auch nicht abweichen.

Aber auch innerrussische Gründe tragen dazu bei, analysiert die Politologin Elena Davlikanova vom Center for European Policy Analysis. Nicht nur die russische Wirtschaft hat sich auf den Krieg eingestellt, auch die Bevölkerung profitiert in gewisser Weise davon. Seit Kriegsbeginn ist die Zahl der Milliardäre im Land absurderweise gestiegen – Geschäftsleute, die von der Verstaatlichung von West-Firmen profitierten, hätten eine neue „Klasse von Gewinnern“ entstehen lassen. Dazu sei der militärisch-industrielle Komplex stark angewachsen, man investiert massiv in autonome Kampfsysteme, die am Schlachtfeld zum Einsatz kommen. Diese Aufrüstung verschafft Putin deutliche militärische Überlegenheit gegenüber Europa.

Kaum ein Experte glaubt darum daran, dass Trumps Gipfeldiplomatie Früchte tragen wird. „Die traurige Realität ist, dass die Gespräche von anhaltenden Kämpfen begleitet werden, die möglicherweise noch Monate oder Jahre andauern werden“, schreibt Carnegie-Politologe Aleksandr Gabuev. „Moskau strebt durch Diplomatie einen Sieg an, keinen Kompromiss – und Trump spielt mit.“

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