Kampf und Ringen um Donezk: Es geht um mehr als nur Land

Sollte es in naher Zukunft tatsächlich zu russisch-ukrainischen Friedensverhandlungen kommen, wird ein Gebiet besonders im Fokus der Debatten sein: die verbliebenen 6.600 Quadratkilometer des Verwaltungsbezirks Donezk, die sich noch in ukrainischer Hand befinden. In diesem Gebiet finden und fanden die härtesten Schlachten des Krieges statt, sterben und starben besonders viele Soldaten, hat der Krieg sein brutalstes Gesicht gezeigt.

Wichtige Bodenschätze
Ganze Städte sind dem Erdboden gleichgemacht, ganze Landstriche nur noch rauchende Ödnis aus Ruinen und verkohlten Baumstämmen. Dennoch gilt dieses Gebiet als das wichtigste für die Interessen Kiews und Moskaus: Hier schlummern strategisch wichtige Bodenschätze – wie etwa Kohle oder Eisenerz. In Pokrowsk befindet sich beispielsweise das einzige Bergwerk in der Ukraine, das Kokskohle für die Stahlindustrie der Ukraine liefert. Im Jänner dieses Jahres wurde es aufgrund des russischen Vormarsches geschlossen – es ist nicht unwahrscheinlich, dass es von russischen Besatzern wiedereröffnet wird.
5,6 Millionen der für die Industrie erforderlichen 8 Millionen Tonnen Kokskohle stammten 2023 aus Pokrowsk. Derzeit ist die Stadt de facto von drei Seiten umzingelt, seit bald zwei Wochen finden heftige Gefechte nördlich von Pokrowsk statt. Gelingt es den ukrainischen Streitkräften nicht, dort einen russischen Durchbruch zu verhindern, könnte es schnell gehen, dass die Stadt geräumt werden muss. Ähnliches gilt für Kostjantyniwka.
Damit wäre der Weg zur Stadt Kramatorsk mehr oder weniger frei. Dort befinden sich starke Verteidigungsstellungen – eine Belagerung der Stadt dürfte sich lange ziehen. Nur unter weiterhin hohen Verlusten und nach vielen Monaten blutiger Angriffe dürfte es den russischen Truppen gelingen, die Stadt zu erobern.
Heikles Terrain
Gleichzeitig errichten die ukrainischen Verteidiger seit dem Frühjahr eine neue Verteidigungslinie, die auch durch Donezk führt. Eine Aufgabe dieses Gebiets würde bedeuten, dass man abermals im Bereich der Oblastgrenze nach geeignetem Terrain suchen muss, um neue Stellungen zu errichten. Das dürfte im Norden so schwierig nicht sein. Heikel wird es an der Westgrenze von Donezk: Hier ist das Terrain flach, besonders auf der wichtigen Straße nach Pawolhrad und weiter nach Dnipro.
Die Verteidigungslinien dort müssten besonders stark ausgebaut sein, um im Ernstfall agieren zu können. Schon jetzt finden sich entlang dieser Straße in regelmäßigen Abständen Panzergräben, Drachenzähne, Stacheldraht. Diese Stellungen würden jedoch einen russischen Vormarsch eher verzögern als ihn aufzuhalten. Kritik ukrainischer Offiziere an diesen „wirkungslosen“ Stellungen ist schon seit einiger Zeit laut. Gleichzeitig stehen die russischen Streitkräfte bereits teilweise an der Oblastgrenze.
Sollte ganz Donezk (und die wenigen Landstriche in Luhansk) an Russland übergeben werden, hätte Putin drei seiner Ziel-Oblaste völlig unter Kontrolle. 250.000 Menschen befinden sich noch in diesem Gebiet.
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