KURIER-History: Als Moskau Österreich an die Gasleine legte
Die Warnung der Energieexperten war deutlich. Drei, vielleicht vier Jahre noch, dann wäre – wortwörtlich – der Ofen aus. Bei der VÖEST etwa, dem Stahlriesen der Verstaatlichten Industrie. Denn dort boomte Mitte der 1960er das Geschäft – und dieses Geschäft verschlang Energie. Doch woher sollte man die nehmen? Die heimische ÖMV – damals hatte der Mineralölkonzern noch seine Ö-Striche – förderte im Weinviertel heimisches Erdgas. Doch das reichte längst nicht mehr.
Weltweite Suche
Also begann die Suche nach fossiler Energie weltweit. Verhandlungen mit Ländern wie Algerien oder Saudi-Arabien wurden aufgenommen und wieder abgebrochen. Wirklich voran kam man nur mit einem möglichen Lieferanten, der unglaublich praktisch, aber politisch unmöglich schien: der Sowjetunion. „Das schien einfach die praktischste Lösung zu sein, vor allem für die ÖMV“, analysiert Herbert Lechner von der Österreichischen Energieagentur, der sich in einer Studie eingehend mit Anfängen und Hintergründen der österreichischen Gas-Abhängigkeit von Russland befasst hat. „Schließlich lag das slowakische Bratislava quasi um die Ecke, und bis dorthin lieferte die UdSSR bereits ihr Erdgas.“
Über den eisernen Vorhang
Die Pipelines für die sozialistischen Bruderstaaten mussten nur um wenige Kilometer verlängert werden, zugleich aber den Eisernen Vorhang in den Westen überwinden. Doch Österreich konnte auf seinen Status als neutrales Land und auf beste Kontakte zu den Russen zählen. Die ÖMV selbst hieß ja vor dem Staatsvertrag SMV, sowjetische Mineralölverwaltung, und war von den russischen Besatzern kontrolliert worden. Man wusste also, wie man mit den Russen umzugehen hatte – oder zumindest meinte man es zu wissen.
Politische Abhängigkeit
Auch Moskau war an Lieferverträgen mit Österreich sehr interessiert, und das hatte wirtschaftliche, aber auch von Anfang an politische Gründe. „Aus sowjetischen Dokumenten aus dieser Zeit geht klar hervor, dass man von Anfang an das Ziel hatte, das neutrale Österreich politisch abhängig zu machen“, erzählt Lechner über seine Einblicke in die energiepolitische Zeitgeschichte.
Die politische Taktik Moskaus war schon damals eine gut ausgewogene Mischung aus Versprechen und Drohungen. Einerseits stellte man Österreich in Aussicht, zur „Gasdrehscheibe“ für Westeuropa zu werden, andererseits drohte man, sich bei der West-Integration des kleinen Landes querzulegen, etwa bei der damals schon geplanten Annäherung an die EWG, die spätere EU.
Auch heimischen Politikern entging dieses doch besorgniserregende Bedrohungsszenario nicht. Schon Anfang der 1970er warnte etwa ein ÖVP-Abgeordneter im Nationalrat: „Wir haben unsere Energieversorgung unbedingt auf den Frieden abgestellt. Wollen wir es gemeinsam nicht wahrhaben, dass es einmal zu Krisen kommen könnte?“
Die heimische Politik habe schon damals die politische Bedeutung der Gasdeals beiseitegeschoben, so Lechners Analyse: „Man hat das als vor allem privatwirtschaftliches Projekt betrachtet. Die ÖMV werde schon wissen, was sie tut“, so der Energieexperte.
Wie stark der politische Druck aus Moskau allerdings von Beginn an war, wird schon 1968 deutlich. Während Wien und Moskau in den finalen Verhandlungen über die ersten Gaslieferungen steckten, rollten im August die Panzer des Warschauer Paktes über die Grenze in die Tschechoslowakei. Während rund um die Welt diese gewaltsame Niederschlagung des Prager Frühlings verurteilt wurde, blieb man in Wien sehr lange sehr zurückhaltend. Das Motto, es sich nur ja nicht mit Russland zu verscherzen, hatte sich bereits durchgesetzt. Die Drohkulisse wirkte, ganz ähnlich, wie sie über die Jahrzehnte wirken sollte – oft ohne offene Drohungen vonseiten Moskaus. Das Gas aber floss. Wenige Tage nach dem blutigen Ende der tschechischen Freiheitsträume wurden die Leitungen nach Österreich geöffnet – und blieben es bis heute.
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