Menschenjagd in einem Vorort Moskaus

Russland den Russen – ein Mob zog gegen „Schwarze“ zu Felde und stürmte ein Einkaufszentrum.
Die Gewaltorgie in der Hauptstadt zeigt vor allem eines auf: Viele Russen haben ein Problem damit, in einem Vielvölkerstaat zu leben.

Vorneweg: In Russland leben laut CIA-Worldfactbook nur 80 Prozent Russen. Den Rest bilden verschiedene Ethnien – vom fernen Osten Russlands bis in den Kaukasus. Zwischen 15 und 20 Prozent sind Muslime.

Birjuljowo im Süden von Moskau ist eine gesichtslose Insel von Plattenbauten inmitten von Ausfallstraßen, Ring-Autobahnen und Eisenbahnlinien – und seit der Nacht von Sonntag auf Montag Schauplatz eines Volksaufstandes. Des russischen Volkes wohlgemerkt. In der Nacht auf Montag war die Gewalt in dem Stadtteil eskaliert. In Straßenschlachten mit der Polizei, einer Hetzjagd auf Kaukasier und Zentralasiaten, einem zerstörerischen Exzess. Bilanz: Dutzende Verletzte und rund 400 Festnahmen. In einer eilig einberufenen Sondersitzung im Innenministerium wurde Plan „Vulkan 5“ aktiviert, was soviel bedeutet, dass alle Polizeieinheiten wegen der Gefahr von Massenunruhen in Alarmbereitschaft versetzt werden – das erste Mal seit dem Anschlag auf Moskaus Metro 2010.

Begonnen hatte alles mit einem Mord in der Nacht auf Freitag. Jegor Schtscherbakow war mit seiner Freundin unterwegs, als ein Mann sie anpöbelt. Es folgt ein Streit – Jegor wird niedergestochen. Der Täter flieht. Bilder aus einer Überwachungskamera legen nahe, dass er Zentralasiat oder Kaukasier ist.

Am Samstag versammeln sich Bewohner der Stadtteils an der Stelle des Verbrechens. 40 an der Zahl. Sie fordern eine Aufklärung der Tat, die Schließung eines nahen Gemüsemarktes, auf dem vor allem Zentralasiaten und Kaukasier arbeiten und schärfere Migrationsgesetze. Am Sonntag findet ein weiteres Treffen statt: ein „Volksmarsch“, wie es heißt. Diesmal kommen Hunderte Menschen. Von bis zu mehreren Tausend ist die Rede.

Später wird es von Seiten der Polizei heißen, man habe ein „Pogrom“ verhindert. Das, nachdem Einheiten der Spezialeinheit OMON nach Birjuljowo entsendet wurden. Zuvor stürmt der Mob ein Kaufhaus, verwüstet Geschäfte, Barrikaden werden errichtet. Später versuchen Hunderte zum Gemüsemarkt zu ziehen. „Russland den Russen“ brüllen sie. Den Polizisten schreien sie entgegen, dass sie doch auch Slawen seien und sich mit ihnen gegen „die Schwarzen“ erheben sollten.

Russland und als erstes Moskau hat ein Problem mit unregulierter Migration. Vor allem Bürger aus zentralasiatischen Republiken wie Tadschikistan oder Usbekistan verkaufen sich zu Billigstlöhnen an die Bauwirtschaft. Anschläge kaukasischer Extremisten haben ihr übriges dazu getan, das Klima zu vergiften.

Zugleich bedient sich die gesamte Regierung, allen voran Präsident Wladimir Putin, regelmäßig gängiger Feindbilder von Zentralasiaten und Kaukasiern – ungeachtet der Tatsache, dass Tschetschenen oder Inguschen russische Staatsbürger sind.

Und so ist die Reaktion der Behörden auf das, was in Birjuljowo passiert ist, exemplarisch: Am Montag stürmt die Polizei jenen Gemüsemarkt, den in der Nacht zuvor noch der Mob abfackeln wollte. 1200 Personen werden vorübergehend festgesetzt.

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