Der Kreml und die Popen
Jesus als Held, der einer Venus verfällt, auf der Bühne ein Poster mit einer Christus-Gestalt in Kreuzigungspose zwischen Frauenbeinen liegend: So in etwa sah Timofej Kuliabin den Tannhäuser. Er inszenierte die Wagner-Oper für das Opernhaus von Nowosibirsk – und landete gemeinsam mit Operndirektor Boris Mezdrich vor Gericht. Die Anklagen: Vorsätzliche öffentliche Schändung religiöser Objekte. Zudem soll angeblich wegen "Beleidigung religiöser Gefühle" gegen beide ermittelt werden. Der Metropolit von Nowosibirsk Tikhon hatte Regisseur und Operndirektor angezeigt.
Die erste Anklage wurde jetzt fallen gelassen. Der Fall wirft aber ein Licht auf einen Trend in Russland: Einen immer tiefer sitzenden und immer breiter werdenden Konservativismus, den vor allem die Führung der politisch einflussreichen russisch orthodoxen Kirche vorantreibt. In diesem Klima, so Alexander Baunow vom Carnegie-Center Moskau, habe Metropolit Tikhon nicht einmal im Ansatz damit gerechnet, dass er den Fall verlieren könnte.
Putins Schwenk
Es ist eine interessante Allianz, die der Kreml unter Putin und die russische Orthodoxie eingegangen sind. Baunow datiert ihren Beginn auf 2012. Damals hätten die staatlichen TV-Sender mit einem Mal in TV-Dokus auf den großrussischen Mythos umgeschwenkt. Habe Putin zu Beginn seiner Amtsperioden versprochen, Russland auf einen Level mit Westeuropa und den USA zu bringen, habe er mit Einsetzen der Wirtschaftskrise umgeschwenkt: Nicht mehr der "verkommene Westen" war das Ziel , sondern die "glorreiche russische Vergangenheit". Und da kommt die russische Orthodoxie ins Spiel, in der seither konsequent die konservativen und nationalistischen Kräfte in die höchsten Positionen gespült werden.Moderate Vertreter würden angehalten zu schweigen.
Der Staat wiederum sei den Konservativen in vielen Bereichen entgegengekommen, wenn es etwa um die Beschneidung von Rechten Homosexueller oder Gesetze zum Schutz religiöser Gefühle gehe – es ist ein Wechselspiel. "Und wer da derzeit wen vor sich hertreibt, ist schwer zu sagen", meint Baunow über diese Allianz zwischen Kirche und Kreml.
"Tut, was ihr sagt"
Der Slogan konservativ-orthodoxer Nationalisten ist derzeit auch wegen des Tannhäuser-Freispruchs von Nowosibirsk ein Appell an den Kreml: "Tut, was ihr sagt." Anders gesagt: Haltet euer Wort. In ultrakonservativen Kreisen herrscht laut Baunow durchaus große Unzufriedenheit mit dem Kreml, den einige bei aller Großmacht-Rhetorik letztlich für viel zu liberal, aber vor allem für dekadent und inkonsequent halten. Vor allem auch, was den Krieg in der Ukraine angeht, mit dem das offizielle Moskau ja nichts zu tun haben will, der in extremen Kreisen aber als ehrenvoller Krieg einer religiösen Elite gegen den verlotterten Westen gilt.
Derart drängen die Christlich-konservativen den Staat in Richtung eines – so nennt es Baunow – Systems, das man als "christlichen Iran" bezeichnen könnte.
Zugleich aber gibt es nicht zu unterschätzende Gegenbewegungen, wie Baunow sagt: So habe sich ein Priester in der Region Rostow ausgerechnet vor Kosaken – also den konservativsten unter den Konservativen – gegen unchristliche Kriegshetze und gegen eine Instrumentalisierung der Kirche durch die Politik ausgesprochen. Die Reaktion fiel überraschend aus: Er wurde durch ein Internetvideo davon zu einem geachteten Star. Denn viele durchaus konservative Kirchengänger, so sagt Baunow, seien zutiefst frustriert über die politischen Spiele der russischen Orthodoxie und deren Instrumentalisierung durch den Kreml als geopolitisches Werkzeug.
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