"Mord" an Nawalny: Frau fordert Bestrafung Putins, Kreml sieht "überdrehte" Reaktionen

"Mord" an Nawalny: Frau fordert Bestrafung Putins, Kreml sieht "überdrehte" Reaktionen
Alexej Nawalny ist "höchstwahrscheinlich" tot. Der 47-Jährige hatte eine jahrelange Haft in einer Strafkolonie verbüßt. Van der Bellen, Biden und Co. verurteilen Russland. Der Kreml wehrt sich.
  • Der russische Oppositionelle Alexej Nawalny ist im Gefängnis gestorben

  • Mitarbeiter Nawalnys stuften Berichte über dessen Tod als sehr glaubwürdig ein

  • Seine Frau Nawalnaja rief zum Kampf gegen Russland und Putin auf

  • Kritiker sprachen am Freitag umgehend von einem "Mord auf Raten"

  • Van der Bellen gab "Putin und seinem mörderischen Regime" die Schuld

  • In Lettland, Estland und Deutschland gab es Proteste vor russischen Botschaften

  • Der Kreml bezeichnete die Reaktionen des Westens als "überdreht" und "inakzeptabel"

Dass es Alexej Nawalny nicht gut geht, war schon lange Zeit sichtbar. Jetzt meldeten russische Nachrichtenagenturen, dass Putins prominentester Häftling verstorben ist: Ihm sei am Freitag nach einem Spaziergang schlecht geworden, danach habe er fast das Bewusstsein verloren, schreibt Interfax – das habe die Abteilung des Föderalen Strafvollzugsdienstes Russlands für den Bezirk der Jamal-Nenzen vermeldet, wo der 47-Jährige zuletzt einsaß.

In der Erklärung heißt es, dass das medizinische Personal der Anstalt sofort eingetroffen sei, auch alle notwendigen Wiederbelebungsmaßnahmen durchgeführt worden wären, die aber "keine positiven Ergebnisse brachten". Die Notärzte hätten nur mehr den Tod des Häftlings feststellen können, die Todesursachen werden noch ermittelt. Aus dem Kreml hieß es schlicht, man habe noch keine Informationen zur Todesursache. 

Mitarbeiter Nawalnys stuften Berichte über dessen Tod als sehr glaubwürdig ein. "Wir verstehen, dass es höchstwahrscheinlich so passiert ist, dass Alexej Nawalny getötet wurde. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit", sagte der im Exil lebende Direktor von Nawalnys Anti-Korruptions-Stiftung, Iwan Schdanow, am Freitagabend während einer Liveschaltung auf Youtube. An seiner Seite saß Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch.

"Wir werden euch keine Lügen erzählen darüber, dass es irgendeine Hoffnung gibt, dass sich morgen herausstellt, dass das nicht wahr ist", sagte der bekannte Nawalny-Unterstützer. "Eine solche Chance ist geringfügig." Schdanow fügte hinzu: "Derzeit deutet alles darauf hin, dass sich tatsächlich ein Mord ereignet hat– der Mord an Alexej Nawalny im Gefängnis. Und getötet hat ihn (Wladimir) Putin."

Frau ruft zum Kampf gegen Russland auf

Seine Frau Julia Nawalnaja rief indes zum Kampf gegen den russischen Machtapparat von Präsident Wladimir Putin auf. "Ich möchte die gesamte internationale Gemeinschaft, all diejenigen in der Welt, die jetzt zuhören, dazu aufrufen, zusammenzustehen und dieses Böse zu besiegen, dieses furchtbare Regime, das heute über Russland herrscht", sagte Nawalnaja am Freitag bei der Münchner Sicherheitskonferenz.

"Dieses Regime und Wladimir Putin persönlich sollten zur Verantwortung gezogen werden für all diese Gräueltaten, die sie in den letzten Jahren in meinem Land, in unserem Land Russland verübt haben." Zugleich betonte die 47-Jährige, dass auch sie bisher keine direkte Bestätigung für den Tod ihres Mannes erhalten habe. "Ich weiß nicht, ob wir den schrecklichen Nachrichten glauben sollen, die wir ausschließlich aus staatlichen russischen Quellen erhalten", sagte sie. "Schon seit vielen Jahren - und das wissen Sie natürlich auch - können wir Putin und seiner Regierung nicht glauben. Sie lügen unaufhörlich."

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Alexej Nawalny ist tot. Das Schicksal des russischen Regimekritikers (hier mit seiner Frau Julija) und Gegners von Präsident Wladimir Putin hielt die Welt lange in Atem. "Warum sollte ich Angst haben?", sagte er 2011 auf die Frage nach den Gefahren, die einer Konfrontation mit dem Kreml mit sich bringen könnte. 

"Mord" an Nawalny: Frau fordert Bestrafung Putins, Kreml sieht "überdrehte" Reaktionen

Der 47-Jährige hat eine jahrelange Haft in einer Strafkolonie verbüßt. Verurteilt wurde Nawalny unter anderem wegen Extremismus, er hat den Vorwurf stets bestritten.

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Seine politische Bewegung wurde verboten, enge Mitarbeiter wurden inhaftiert oder flohen ins Ausland. Das Regime von Kreml-Chef Wladimir Putin hatte im Jahr 2020 versucht, ihn mittels eines Giftanschlags aus dem Weg zu räumen. 

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Auf internationalen Druck wurde Nawalny nach Deutschland gebracht, wo er in der Berliner Charité behandelt wurde.

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Nach seiner Genesung entschloss sich Nawalny zur Rückkehr nach Russland, wurde aber am 17. Jänner 2021 noch auf dem Moskauer Flughafen verhaftet.

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Im vergangenen Dezember war der als politischer Gefangener eingestufte Politiker über mehrere Wochen verschwunden. 

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Im Nachhinein erwies sich, dass die Justiz ihn aus dem europäischen Teil Russlands in ein Straflager im hohen Norden Sibiriens verlegt hatte. 

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Nawalny vermutete, dass er dort vor der Präsidentenwahl im März möglichst isoliert werden soll.

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Die Gefängnisverwaltung teilte am Freitag mit, dass Nawalny tot sei. Aus dem Kreml hieß es, man habe "keine Information über die Todesursache". 

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Damit verlor Russland seinen wichtigsten Oppositionspolitiker.

Kremlsprecher Dmitri Peskow hat die Reaktionen westlicher Politiker auf den Tod des populären Oppositionspolitikers Alexej Nawalny als "überdreht" und "inakzeptabel" bezeichnet. Es gebe noch keine genauen Informationen von Medizinern, Gerichtsmedizinern oder dem Strafvollzug, sagte Peskow am Freitagabend der Agentur Interfax zufolge. Trotzdem gebe es bereits Reaktionen aus dem Westen. "Es ist offensichtlich, dass das absolut überdrehte und absolut inakzeptable Aussagen sind. Sie sind inakzeptabel", kritisierte Peskow demnach. "Mehr habe ich zu diesem Thema nicht zu sagen."

Jahrzehntelange Haft

2020 war ein lebensgefährlicher Giftanschlag auf den Oppositionellen verübt worden; Nawalny überlebte nur knapp und ging danach ins europäische Exil nach Berlin, wo er lange im Spital war. Der Anschlag wurde stets russischen Geheimdienstkreisen zugeschrieben - ein Vorwurf, den Nawalny mit seinen Recherchen sogar selbst erhärten konnte.

Trotz dieser Gefahr wollte Nawalny seine Arbeit und seine Politik in seiner Heimat nicht aufgeben und flog - trotz bestehenden Strafbefehls gegen ihn - 2021 zurück nach Moskau, wo er umgehend verhaftet wurde. Dem folgten mehrere Verurteilungen wegen Extremismus, Nawalny wurde zu insgesamt 19 Jahren Haft verurteilt. Er hat den Vorwurf stets bestritten, die Verfahren wurden als politisch motiviert kritisiert und als Schauprozesse angesehen. Seine politische Bewegung wurde einige Zeit später komplett verboten, enge Mitarbeiter wurden inhaftiert oder flohen ins Ausland.

"Mord auf Raten"

Nawalnys harsche Haftbedingungen - Einzelhaft, durchgehend Licht, keine medizinische Versorgung - waren immer wieder Anlass für große Kritik. Zuletzt war der studierte Jurist sogar über lange Zeit verschollen, niemand aus seinem Team konnte Kontakt zu ihm herstellen, während er von einem Straflager in der Nähe Moskaus in ein anderes im Norden Sibirien überstellt wurde. Es wurde vermutet, dass Nawalny wegen der anstehenden Präsidentschaftswahl dorthin verlegt werden sollte, um gänzlich aus der Öffentlichkeit  zu verschwinden.

"Mord" an Nawalny: Frau fordert Bestrafung Putins, Kreml sieht "überdrehte" Reaktionen

Sicherheitskonferenz in München: Julia Nawalny wenige Stunden nach dem die Nachricht über den Tod ihres Mannes um die Welt ging.

Kritiker sprachen am Freitag umgehend von einem "Mord auf Raten": "Der Kreml hat Nawalny umgebracht", kommentierte etwa Janis Kluge, Osteuropa-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Die US-Forscherin Anne Applebaum ergänzte: "Nawalny war eine Gefahr für Putin, weil er das Ausmaß seines Diebstahls und seiner Korruption aufdeckte. Putin tötete Nawalny, weil er nicht zulassen konnte, dass diese Wahrheit bekannt wird." Christo Grozev, Chef der Enthüllungsplattform Bellingcat, kommentierte: "Nawalny wurde heute endgültig von Putin getötet".

Auch US-Präsident Joe Biden hat Putin für den Tod verantwortlich gemacht. Man wisse zwar nicht genau, was passiert sei, aber es gebe keinen Zweifel daran, dass der Tod Nawalnys eine Folge von Putins Handeln und dem seiner Verbrecher sei, sagte Biden am Freitag im Weißen Haus. "Putin ist verantwortlich." Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen machte das "mörderische Regime" Russlands für Nawalnys Tod verantwortlich.

Biden sagte weiter, er sei angesichts der Nachricht von Nawalnys Tod schockiert, aber nicht überrascht. Putin habe Nawalny vergiftet, ihn verhaften und wegen erfundener Verbrechen anklagen lassen, sagte der US-Präsident. Er habe ihn in Isolationshaft gesteckt. Doch all das habe Nawalny nicht davon abgehalten, Lügen anzuprangern, sogar im Gefängnis. "Er war eine mächtige Stimme für die Wahrheit." Biden fügte hinzu: "Er hätte sicher im Exil leben können nach dem Attentat auf ihn 2020, das ihn fast umgebracht hätte." Doch Nawalny habe "so sehr" an sein Land geglaubt. Biden sagte außerdem, er habe keinen Grund zu glauben, dass die Berichte der russischen Behörden über Nawalnys Tod nicht zutreffend seien.

Mangott: "Proteste werden sich klein halten"

Der österreichische Politikwissenschaftler Gerhard Mangott geht davon aus, dass Nawalny in den Tod getrieben wurde. Putin werde der Tod keinen Schaden zufügen, erklärte Mangott. Die Nachricht von Nawalnys Tod werde kleingehalten. "Die russische Opposition wird von der Brutalität von Putin geschockt sein. In der Bevölkerung wird sich eher weniger tun. Es wird wahrscheinlich die nächsten Tage zu kleinen Protesten kommen, aber diese werden sich eben klein halten", so Mangott. Denn auf Kritik gegen die russische Regierung folgen Strafen. 

Van der Bellen: "Putin und sein mörderisches Regime haben das zu verantworten"

Deutliche Worte fand Bundespräsident Alexander Van der Bellen. "Ich bin erschüttert über die Nachricht des Todes von Aleksej Navalny. Vladimir Putin und sein mörderisches Regime haben das zu verantworten", schrieb er auf X. "Meine Gedanken sind bei den Angehörigen von Aleksej Navalny und all jenen, die weiterhin mutig für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte in Russland kämpfen", fügte Van der Bellen hinzu. 

Bundeskanzler Karl Nehammer und Außenminister Alexander Schallenberg (beide ÖVP) vermieden eine klare Schuldzuweisung. "Alexej Nawalny hat Zeit seines Lebens für ein freies und demokratisches Russland gekämpft. Die Umstände seines Todes müssen unabhängig untersucht und lückenlos aufgeklärt werden", schrieb Nehammer auf X. Schallenberg würdigte Nawalny als "furchtlose und mutige Stimme im Kampf gegen die Korruption und einen Verfechter eines offeneren und demokratischeren Russlands".

"Nawalny hat nach seiner mutmaßlichen Vergiftung mit Nowitschok enormen Mut bewiesen, indem er nach Russland zurückgekehrt ist, wo er umgehend von Putins Regime festgenommen wurde. Sein Tod muss lückenlos aufgeklärt und bei Fremdverschulden müssen die Täter ausgeforscht und bestraft werden", forderte der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses Christoph Matznetter (SPÖ). NEOS-Außenpolitiksprecher Helmut Brandstätter forderte den Außenminister auf, umgehend den russischen Botschafter ins Außenministerium zu zitieren und ihm die Forderung nach einer unabhängigen Untersuchung der Vorgänge zu übermitteln.

Proteste vor russischen Botschaften

In Lettlands Hauptstadt Riga haben nach der Nachricht vom Tod des Kremlgegners Alexej Nawalny mehrere Dutzend Menschen vor der Botschaft Russlands protestiert. Auf dem Platz gegenüber der Auslandsvertretung zündeten sie Kerzen an und hielten Plakate mit einem Foto Nawalnys oder Aufschriften hoch. Auch im benachbarten Estland zogen Demonstranten mit Transparenten vor die russische Botschaft in der Hauptstadt Tallinn. Auf einem stand in Großbuchstaben: "Putin ist ein Mörder".

Mehr als 1.000 Menschen haben auch vor der russischen Botschaft in Berlin des in Haft gestorbenen russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny gedacht. Gegen 18.30 Uhr hätten sich 1.100 Menschen vor dem Botschaftsgebäude auf dem Boulevard Unter den Linden versammelt, sagte eine Sprecherin der Polizei. Seit Freitagmittag war die Zahl der Menschen kontinuierlich angewachsen.

Gedenken in Russland

In mehreren russischen Städten haben sich indes Menschen versammelt und des berühmten Oppositionspolitikers gedacht. Trotz eines hohen Polizeiaufgebots standen etwa im Moskauer Stadtzentrum am Freitag Menschen Schlange, um Blumen an einer Gedenkstelle für Opfer politischer Repression abzulegen. Auch aus St. Petersburg, Jekaterinburg, Nischni Nowgorod und mehreren anderen Städten gab es ähnliche Bilder.

Manche Leute brachten Fotos von Nawalny mit, einige weinten und lagen sich in den Armen. Nawalny, der im Alter von 47 Jahren in einem entlegenen Straflager im Norden Russlands gestorben sein soll, galt als mutigster Gegner von Kremlchef Wladimir Putin und war für viele kritische Russen der größte Hoffnungsträger. Nach seiner Inhaftierung Anfang 2021 gab es sogar Massenproteste. Insbesondere seit Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine vor rund zwei Jahren aber geht Russland im eigenen Land so repressiv gegen Andersdenkende vor, dass kremlkritische Demonstrationen kaum noch vorkommen.

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