Ruslana: "Wir haben keine Führungsfigur"
In Zeiten, da Politiker aller Lager mit zunehmender Skepsis beäugt werden, sind es Popstars wie Ruslana Lishitschko, die zur Stimme der ukrainischen Protestbewegung werden. Am Freitag war die unangefochten populärste Solokünstlerin der Ukraine und Eurovision-Gewinnerin von 2004 in Wien, um vor den Parlamentariern der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) für ihre Sache Stimmung zu machen. Vor dem Gebäude der OSZE am Heldenplatz hatten sich zur gleichen Zeit einige Dutzend Aktivisten zu einer kleinen Demonstration eingefunden.
Sie sei in Wien, um der OSZE die Probleme der Ukraine verständlich zu machen, aber auch um aufzuzeigen, dass viele ukrainische Politiker genau hier ihr Geld geparkt hätten, so Ruslana vor dem Treffen in der OSZE. Und aus ihrer Sicht ist es "blutiges Geld", und nur Sanktionen könnten die ukrainische Regierung zum Einlenken bringen.
Am Samstag wollte sie nach Brüssel weiterreisen, um sich in der EU-Hauptstadt Gehör zu verschaffen. Und im Gespräch mit dem KURIER lässt sie keinen Zweifel daran, was sich aus ihrer Sicht in der Ukraine dieser Tage abspielt: "Es ist ein Krieg der Macht, eines Polizeistaates gegen das Volk – einer ohne Gesetze", sagt sie. Ihr Telefon klingelt.
Einigung?
Auch wenn es derzeit ruhig ist an den Barrikaden in der ukrainischen Hauptstadt. Aber es ist eine angespannte Ruhe. Der radikale Flügel der Protestbewegung, der Rechte Sektor, signalisierte am Freitag die Bereitschaft, eine Reihe von Barrikaden um das Regierungsviertel in Kiew räumen zu können. Kommenden Montag soll auf dem Maidan in einer "Volksabstimmung" auch über die von der Regierung geforderte Räumung besetzter Regierungsgebäude abgestimmt werden. Diese ist Bedingung der Führung für eine Amnestie gefangener Demonstranten. Zugleich machten am Freitag aber auch Gerüchte die Runde, dass eine Räumung des Protestcamps auf dem Unabhängigkeitsplatz Maidan unmittelbar bevorsteht.
Von einer "Atmosphäre der Angst und Einschüchterung" spricht Ruslana. Einem Gefühl, das auch sie erfasst habe und das im gesamten Land vorherrsche. Denn auf dem Maidan, da sei die gesamte Ukraine versammelt, um gegen die "Auferstehung eines politischen Monsters" zu demonstrieren – sie meint die Schaffung eines autoritären Gebildes wie die Sowjetunion es war. Und sie stellt die Frage: "Ist das für Europa angenehm?"
"Wir wollten eine friedliche Lösung", sagt sie – und tippt eine SMS. Aber Provokationen und Gewalt hätten den Protesten eine gewaltsame Wendung gegeben. Es sei schwer, auf die Frage, wie sie zu der Eskalation stehe, zu antworten, wenn Menschen bluten würden – in einem Kampf gegen eine Macht, die das Volk hasse. Die Eskalation sieht sie als Folge vor allem eines Umstandes der Protestbewegung: "Wir haben keine Führungsfigur."
Ruslana ist in erster Linie Sängerin. Aber auch sie hatte ihre Gehversuche in der trickreichen Parteipolitik der Ukraine. Zwischen 2006 und 2007 war sie etwas mehr als ein Jahr lang Abgeordnete im ukrainischen Parlament in der Fraktion der Partei "Unsere Ukraine" des damaligen Präsidenten Viktor Juschtschenko. Eine Zeit, an die sie sich nicht zurückerinnern will. "Ich will keine Politikerin mehr sein, ich will mich auch nicht mehr daran erinnern", sagt sie. Politik, das sei etwas für "Menschen die gelernt haben, nicht die Wahrheit zu sagen."
Damit meint sie die gesamte politische Elite des Landes – aus allen Lagern. Und mit dieser Meinung vertritt sie eine gefühlte breite Mehrheit der Unzufriedenen auf den Straßen Kiews und anderer Städte der Ukraine. Denn letztlich, so sagt Ruslana, agierten die Oppositionsparteien nicht anders als die Partei der Regionen von Präsident Viktor Janukowitsch: Sie versuchten alles, um die Menschen unter Kontrolle zu halten.
Noch ein Anruf, diesmal ein langer. "Sorry", sagt sie.
"Politikern kann man immer nur zur Hälfte glauben; eine Hälfte ist vielleicht Wahrheit, die andere Hälfte sind politische Spielchen", sagt sie danach.
Sie legt das Telefon beiseite und spricht davon, dass die Regierung Janukowitschs alle Hinweise auf die Orange Revolution 2004 aus Schulbüchern hätte tilgen lassen und versuche, die Geschichte umzuschreiben. Und sie schildert, was sie antreibt, was sie ärgert: "Ich mag es nicht, wenn sich jemand mein Gehirn schnappt, es ausrollt und versucht, Knoten da reinzumachen."
Sie nimmt Notizbuch und Kugelschreiber und beginnt eine Zeichnung: "Hier ist Moskau, hier ist Kiew." Dazwischen ein dicker Pfeil von Moskau nach Kiew. Unter Kiew schreibt sie "Janukowitsch" und zeichnet Pfeile: "Armee, Polizei, Schläger." "Hier müssen wir hin", sagt Ruslana und zeichnet einen dicken Kreis um das Wort "Janukowitsch".
Sie wurde 1973 in Lemberg geboren. Spätestens seit ihrem Sieg beim Songcontest 2004 mit "Wild Dances" ist sie die erfolgreichste Solo-Künstlerin der Ukraine.
PolitikWährend der Orangen Revolution 2004 wurde sie zur Symbolfigur und später für kurze Zeit auch Abgeordnete. Die derzeitigen Massenproteste hatte sie von Anfang an unterstützt.
Kommentare