Rumänien: Zwischen neuem Frieden und Irrenhaus
Ana hat den Tag überstanden. Während sich die Hitze des Tages langsam legt, sitzt sie in einem Park im Zentrum Bukarests und nippt an einer Flasche Wasser, bevor sie sich nach Hause auf macht. In ihrem Blickfeld: Das gewaltige Parlament des Landes, daneben die nicht weniger gewaltige Kathedrale der Erlösung des rumänischen Volkes. Vor dem einen Gebäude aus Ceausescu-Zeiten tummeln sich haufenweise Menschen, Busse und Autos fahren zu, an dem anderen wird gebaut.
Die Frau um die 50, Biologin, Mutter zweier Kinder, hebt die Schultern, lächelt und sagt mit Blick auf Parlament und Kirche: „Da Gott, da die, die Götter spielen.“ Da seien ihr ihre Bakterien schon lieber. Denn die seien vorhersehbarer.
Problemstaat
Tatsächlich hatten es die vergangenen Monate in sich in Rumänien – und Vorhersehbarkeit war keine Kategorie. Premierministerin Viorica Dancila hatte sich mit stoischer Mine mit allen angelegt: dem Volk auf der Straße, der EU-Kommission, Präsident Klaus Johannis und letztlich wohl auch mit ihrem Mentor, dem langjährigen Schattenpremier und Parteichef der Sozialdemokraten (PSD) Liviu Dragnea. Es gab Protest auf der Straße, auf politischer Ebene durch die Opposition und auf diplomatischer Ebene durch die EU-Kommission wegen der drohenden Aufweichung der Korruptionsgesetzgebung.
Dann hatte das Land auch noch die EU-Ratspräsidentschaft zu stemmen. Und schließlich fanden die EU-Wahlen statt.
Aber dann ging alles Schlag auf Schlag. Die PSD büßte bei der EU-Wahl die Hälfte der Stimmen ein, Tags darauf wurde ein Haftbefehl gegen Dragnea erlassen, und noch am Abend saß jener Mann, der Rumänien die vergangenen Jahre vor sich her getrieben hatte, in Haft. Verurteilt zu drei Jahren in einer Scheinbeschäftigungs-Affäre. Und plötzlich ist auch keine Rede mehr von jener Justizreform, durch die Dragnea straffrei ausgegangen wäre, die dem Land aber ein Rechtsstaatlichkeitsverfahren durch die EU eingebracht hätte. Dancila zog das Gesetz zurück.
Plötzlich entspannt
Seit Dragneas Inhaftierung wirkt die sonst immer eher steif und streng auftretende Politikerin fast entspannt, lächelt sogar ab und zu.
Als „Anfang einer Verbesserung der Beziehungen“ zwischen der EU und Bukarest bezeichnet Corina Cretu die derzeitige Lage. Die Rumänin Cretu war in den vergangenen Jahren EU-Kommissarin für regionale und urbane Entwicklung und ursprünglich PSD-Politikerin. Die Partei verließ sie aus Protest gegen deren EU-feindliche Rhetorik. Sie wurde zum Hassobjekt der Dancila-Regierung und als Verräterin abgestempelt. Sie sei froh über ihre damalige Entscheidung, so Cretu vor Journalisten in ihrer letzten Pressekonferenz als Kommissarin am Rande eines „Donauraum-Forums“ (zur regionalen Vernetzung und Entwicklung) in Bukarest.
Sündenbock
Cretus Mandat und die rumänische Ratspräsidentschaft enden mit erstem Juli. Cretu zieht eine durchaus positive Bilanz. Zugleich aber lässt sie Frustration durchblicken: Was die Sichtbarkeit der EU angeht, die Projekte finanziere, mit denen sich dann lokale Politiker schmückten, die dann aber wieder auf die EU losgingen, wenn sie einen Sündenbock brauchten – eine Breitseite gegen die Gastgeberin des Donauforums, Dancila.
Justizreform abgeblasen
Dragnea in Haft, Justizreform abgeblasen, EU-Rechtsstaatlichkeitsverfahren zunächst vom Tisch, EU-Ratspräsidentschaft bewältigt: Dem neuen Frieden im Land aber trauen die wenigsten. Klar sei, so ein Regierungsmitarbeiter, dass Dragnea über Jahre die Fäden gezogen habe. Völlig unklar sei aber, welche Rolle Dancila bei seiner Inhaftierung gespielt habe. Ob es sich schlicht um einen Kraftbeweis der Justiz gehandelt habe, oder um nicht mehr als einen parteiinternen Putsch vor den Präsidentenwahlen statt, im kommenden Jahr wird ein neues Parlament gewählt.
Ana packt ihre Sachen, macht sich auf den Heimweg. Es werde der Tag kommen, sagt sie, an dem dieser Koloss – sie zeigt auf das Parlamentsgebäude – in ein Gefängnis umgewandelt werde. Dann dreht sie sich noch einmal um und sagt: „Oder in ein Irrenhaus.“
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