Rückwärtsgefecht gegen Islamisten

Kurz vor dem umstrittenen Verfassungsreferendum geht Kairo in Chaos und Gewalt unter

Jeden Tag gibt es neue gewaltsame Auseinandersetzungen, jeden Tag neue Hiobsbotschaften für die Gegner von Präsident Mohammed Mursi: Nachdem er am Montag beschloss, der Armee Polizeiaufgaben zu übertragen, damit bis zum Verfassungsreferendum am Samstag Ruhe in Kairo herrscht, kündigten die Oppositionellen neue Großdemonstrationen an. Und die Reaktion der Muslimbrüder ließ nicht lange auf sich warten: Auch sie suchten am Dienstag die Konfrontation und gingen auf die Straßen, um Mursi ihre Unterstützung zuzusichern. Zusammenstöße waren vorprogrammiert, auch wenn sich einzelne Gruppen dazu durchrangen, alternative Marschrouten zu verwenden.

Vorboten

Doch die Stimmung in Kairo ist dermaßen angespannt, dass jeder Funke einen Flächenbrand verursachen könnte. Seitdem dieser gewaltsame Kreislauf begonnen hat, starben bei Straßenschlachten acht Menschen, Tendenz steigend. Der Dienstag begann schon in den frühen Morgenstunden blutig: Unbekannte hatten am Tahrir-Platz, dem öffentlichen Wohnzimmer der Demonstranten, das Feuer eröffnet und Brandsätze geworfen. In Ägypten konzentriert sich inzwischen alles auf den entscheidenden Tag: Wenn am Samstag das Votum über eine neue Verfassung abgehalten wird, befürchten linke, liberale und säkulare Kräfte, dass die Islamisten ihre Macht auf Jahrzehnte einzementieren. Sie hatten den Verfassungsentwurf durchgeboxt, der Religionsgelehrte stärkt und Frauen keine klare Gleichberechtigung zusagt. Mursi entmachtete die Verfassungsrichter per Dekret und entzog sich ihrer Kontrolle. Im Eiltempo wurde die Volksabstimmung über die Verfassung anberaumt, während die Opposition ohnmächtig zusah. Die Versprechungen, die umstrittenen Dekrete sowie die Vollmachten der Armee würden nach dem Referendum wieder abgeschafft, werden mit großer Skepsis betrachtet.
Die Opposition merkt indes, dass ihre Taktik, sowohl die Verfassungsgebende Versammlung als auch das Referendum zu boykottieren, fehlschlägt. Die Oppositionellen fordern vehement eine Verschiebung der Abstimmung, um den ideologisch geprägten Verfassungsentwurf zu überarbeiten.

Kein Einlenken

Doch die Islamisten halten am Termin fest. Ein Boykott, wie er von vielen Richtern und Säkularen vereinbart wurde, wird daran nichts ändern: Die Wahlbeteiligung kann auch unter 50 Prozent liegen, damit die Verfassung gültig wird. Bleiben die Gegner Mursis am Samstag also der Abstimmung fern, wird die Verfassung auch ohne Gegenstimmen angenommen. Und dann droht eine neue Eskalation der Gewalt.
Nun häufen sich die Stimmen, die Tahrir-Demonstranten und Justiz auffordern, ihren Boykott aufzugeben und zu den Urnen zu gehen. Eine Nein-Stimme sei immerhin mehr als eine Enthaltung.

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