Rockstars gegen Politiker: Lass die Finger von meinem Song!
Eigentlich wollte sich der alte Herr, der meist nur noch in seiner Scheune zur Gitarre greift, mit Donald Trump nicht abgeben.
Der solle sich lieber um den Kampf gegen das Coronavirus kümmern, grantelte Neil Young in einem offenen Brief ans Weiße Haus. Der Anlass für den Ärger des Rockveteranen war ohnehin der immer gleiche: Trump, ein Fan des Kanadiers – „er hat was ganz Besonderes“ – hatte wieder einmal einen Auftritt von dessen Song „Rocking in the free world“ untermalen lassen. Dass der Klassiker eigentlich eine Abrechnung mit dem Kapitalismus und der Armut und Umweltzerstörung, die er verursacht, ist, hatte den New Yorker Immobilienmogul und seine Wahlkampf-Manager schon im Wahlkampf 2016 nicht gestört.
Patriotismus und Entschlossenheit
Als Musiker nicht wirklich gehört und daher missverstanden zu werden, ist kein Einzelschicksal Neil Youngs.
Wenn US-Politiker auf Wahlkampf-Tour gehen, sind Songs gefragt, die dafür sorgen, dass die Zuschauer schon in Feierstimmung sind, bevor sie die Bühne betreten. Songs, die jene Gefühle und Qualitäten verkörpern, die Präsidentschaftskandidaten so gerne auf sich vereinen: Patriotismus, Willensstärke, Entschlossenheit usw.
Keiner hört hin
Wenn also ein Gitarrenriff quasi unaufhaltsam auf einen wuchtigen Refrain zusteuert, hören die Wahlkampf-Manager beim Rest des Songs gar nicht mehr hin – und verlassen sich darauf, dass das auch sonst keiner tut. Der Künstler und sein Anliegen? Wen kümmert’s?
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Ein legendäres Missverständnis dieser Art lieferte 1984 Ronald Reagan. Der pensionierte Leinwandcowboy bevorzugte eigentlich die Musik seiner Generation, also klassischen Jazz oder Musicalhits, und konnte mit Rockmusik wenig anfangen.
Doch ein guter Bekannter hatte sich auf ein Konzert von Bruce Springsteen verirrt und begeisterte sich für den Sänger. Der sei wenigstens kein Jammerlappen. Auch wenn der Mann aus New Jersey viele Probleme anspreche, am Ende, folge doch die große, aufmunternde Botschaft: „Born in the USA“.
Genau die richtige Botschaft für den Wahlkampf, meinten Reagans Berater. Dass der Tippgeber zuvor eingestanden hatten, „keinen blassen Schimmer von Springsteens politischen Ansichten zu haben“, war ihnen schlicht egal. „Born in the USA“, das genügte doch, um dem Präsidenten die Wiederwahl zu erleichtern.
Also ließ man den sichtlich ahnungslosen Ronald Reagan auf der Bühne von der „Botschaft der Hoffnung des jungen Mannes aus New Jersey schwärmen“.
Inoffizielle Wahlkampf-Hymne
Doch „Born in the USA“ hatte nichts mit Patriotismus am Hut, es war Springsteens Abrechnung mit dem Vietnamkrieg und den seelischen Verletzungen, die er hinterlassen hatte. Springsteen jedenfalls kommentierte die Begeisterung des Präsidenten mit böser Ironie. Der solle sich doch noch ein paar andere seiner Songs anhören. „Born in the USA“ wurde trotzdem die wenn auch inoffizielle Hymne des Reagan-Wahlkampfs. „Es war“, wie US-Musikexperte Kyle Smith schreibt, „ein Geschenk, das so nie geplant war. Einfach, weil der Song es schaffte, dass sich Amerika gut fühlte, sogar stolz.“ Auf Springsteens Konzerten wurden plötzlich US-Flaggen geschwenkt, und immer mehr Republikaner outeten sich als Fans des eigentlich sozialkritischen Sängers aus New Jersey.
Bewährte Anheizer
„Der Text ist eben nicht so wichtig wie der Beat“, analysiert der Experte. Tatsächlich gehe es eben nicht ums genau Hinhören, sondern um eine Grundstimmung, die der Song verbreite. Wenig überraschend sind Rockhymnen wie Queens „We are the champions“ bewährte Anheizer für alle Arten politischer Veranstaltungen.
Drohung mit Klage
Neil Young jedenfalls hat zuletzt doch mit Klage gegen Trump gedroht. Den Missbrauch seiner und anderer Songs wird das nicht beenden. Die US-Politik braucht deren Energie, um ihre Botschaften zu transportieren. Das Musikmagazin Rolling Stone bringt das auf den Punkt: „Die Tatsache, dass sich Politiker gezwungen sehen, ihre Botschaft an gewisse Songs zu knüpfen, zeigt nur, wie kraftvoll Musik sein kann.“
Bruce Springsteen gegen Ronald Reagan
Der Präsident lobte im Wahlkampf 1984 die hoffnungsvollen Botschaften des Sängers und seines Songs "Born in the USA". Der konnte darüber auf der Bühne nur böse scherzen. Der Präsident solle sich doch noch ein paar seiner Songs anhören.
Die Rolling Stones gegen Donald Trump
Der Präsident wollte sich für den Wahlkampf „You can’t always get, what you want“, den Song aus dem Jahr 1969 ausleihen. Genau so ist es, meinten die Stones und drohten mit Klage.
Abba gegen John McCain
„Take a chance on me“, wollte John McCain einsetzen, obwohl sein Lieblingssong eigentlich "Mamma mia" war. Die Chance gönnten Abba dem Republikaner nicht
Tom Petty gegen George W. Bush
Die ohnehin ständig missbrauchte, populäre Durchhalteparole „I won’t back down“ wollte Bush im Wahlkampf 2004 für sich nützen. Tom Petty verbot es ausdrücklich. Bush hielt sich nicht daran.
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