Neue Kandidatin, neue Richterwahl – und wieder zittert die deutsche Regierung

Neue Kandidatin, neue Richterwahl – und wieder zittert die deutsche Regierung
Mit einer neuen Kandidatin soll die im Sommer verpatzte Wahl der Richter zum Bundesverfassungsgericht klappen. Doch diesmal könnte sich die Union selbst ein Bein stellen.

"Es wird klappen", verspricht Jens Spahn in der ARD tagesschau. Die Rede ist von der Wahl der drei Richter zum Bundesverfassungsgericht am Donnerstag – vor der Sommerpause des Bundestags abgeblasen, weil die Unionsfraktion ihre Zustimmung zu der von der SPD vorgeschlagenen Kandidatin verwehrt hatte. Zu liberal sei sie gewesen, zu klar positioniert in gesellschaftlich heiklen Fragen, etwa Schwangerschaftsabbruch, einem möglichen AfD-Verbot oder einer Corona-Impfpflicht – Frauke Brosius-Gersdorf hatte zu diesen Themen als Jura-Professorin geforscht und publiziert.

Hetzkampagne und Drohungen

Um eine reine Formalie, für die sich die Öffentlichkeit bisher kaum interessiert hatte, entbrannte ein regelrechter Kulturkampf, von einer „Politisierung der Gerichte wie in den USA“ war die Rede. Die teils rechtsextreme AfD heizte die Hetzkampagne an, warnte vor der "radikalen Abtreibungsbefürworterin" und "Impfpflichthardlinerin" – und verunsicherte die Union. Dort wurde zusätzlich das Gerücht gestreut, der österreichische "Plagiatsjäger" Stefan Weber würde gegen Brosius-Gersdorf ermitteln, was Weber selbst zurückwies. Schlussendlich zog sich Brosius-Gersdorf selbst aus dem Rennen zurück – nicht zuletzt aufgrund der Drohbriefe, die sie erhielt.

Das Scheitern der Wahl war auch Spahn als Fraktionsvorsitzendem angelastet worden. Ihm wurde vorgeworfen, er habe nicht genug Rücksprache mit seinen Fraktionskollegen gehalten, der Aufgabe zu wenig Beachtung geschenkt, während er gerade mit der Aufarbeitung der "Maskenaffäre" beschäftigt gewesen sei. Spahn soll als Gesundheitsminister während der Corona-Pandemie Milliarden für Masken ausgegeben haben, die danach vernichtet werden mussten.

Neue Kandidatin, neue Richterwahl – und wieder zittert die deutsche Regierung

Der deutsche Bundestag.

Dem widerspricht Spahn zwar in der tagesschau, betont aber, dass er sich jetzt "auch selber früher und stärker" in den Prozess eingebracht habe. 

Weniger Angriffsfläche

Die neue Richterkandidatin Sigrid Emmenegger blieb bisher von ähnlichen Hetzkampagnen verschont. Die Wahl fiel wohl auch deswegen auf sie, weil ihre bisherige Tätigkeit am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig kaum Angriffsfläche bietet: Inhaltlich hat sie mit weitaus weniger politisch aufgeladenen Themen zu tun gehabt, nämlich mit der Genehmigung von Stromleitungen. Für Spahn eine "eine sehr, sehr gute" Kandidatin, "sehr überzeugend, sehr fachlich versiert". Die AfD versuchte nun, die zweite von der SPD vorgeschlagene Kandidatin, eine "radikale Klimaaktivistin", zu diffamieren – was ihr bei der Unionsfraktion diesmal aber nicht gelang.

Doch damit ist die ganze Aufregung um die Richterwahl nicht vorüber. Denn der Entscheidungsprozess offenbart eine noch größere Herausforderung, vor der die Regierung nicht zum ersten Mal steht: In der geheimen Wahl muss jeder der drei Kandidaten von zwei Drittel der Abgeordneten im Bundestag angenommen werden. Das gelingt Union und SPD nur, wenn neben den Grünen auch die Linkspartei mitstimmt – oder die AfD. Mit beiden Parteien hat die Union eigentlich einen sogenannten Unvereinbarkeitsbeschluss, der die Zusammenarbeit ausschießt – obwohl in Bundesländern wie in Thüringen Absprachen zwischen CDU und Linke längst Usus sind.

"Selten dämlich"

Die Linke hat das Chaos um die Richterwahl machtpolitisch genutzt, um einmal mehr auf ein Ende dieses Beschlusses zu pochen – oder zumindest "einmal einen Kaffee trinken zu gehen", ließ Linke-Fraktionsvorsitzende Heidi Reichinnek ihrem Unions-Pendant Spahn ausrichten. Dazu gekommen ist es bisher nicht; Absprachen mit der Linkspartei übernimmt in der Regierung die SPD, was Bundestagsvize und Linke-Politiker Bodo Ramelow "selten dämlich" nennt. Beide Parteien werfen sich parteipolitisches Taktieren bei der Richterwahl vor. Die Linkspartei will nun die Zustimmung oder Ablehnung der Kandidaten den jeweiligen Abgeordneten selbst überlassen.

Spahns größte Erkenntnis aus der gescheiterten Richterwahl wirkt da etwas widersprüchlich: "Am Ende ist rechtzeitiges Reden und Kommunizieren wichtig auf allen Ebenen." Eine Zufallsmehrheit mit AfD-Stimmen, wie sie im Jänner beim Antrag der Union für Verschärfungen in der Migration für Aufregung gesorgt hatte, dürfte auch diese Richterwahl erneut politisieren – und riskieren, dass die Zufriedenheitswerte der deutschen Bundesregierung in der Bevölkerung weiter sinken.

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