Regimekritikerin: „Die Iraner sind voller Wut und Verzweiflung“
Parastou Forouhar weiß, wie hoch der Preis für Regimekritik sein kann. Ihre Eltern Dariush und Parvaneh Forouhar gehörten zu den prominentesten Oppositionspolitikern des Iran und bezahlten ihr politisches Engagement mit dem Leben. Sie wurden 1998 ermordet.
18 Beamte des Geheimdiensts wurden dafür verurteilt, ihre Tat wurde als „eigenmächtig“ dargestellt.
„Nach der Islamischen Revolution, als ich in den 80er-Jahren in Teheran studierte, hat die Angststarre alles beherrscht“, erzählt die 56-jährige Künstlerin, die mittlerweile in Deutschland lebt, dem KURIER.
„Heute ist die Angst auch groß – aber nicht nur, verhaftet und hingerichtet zu werden, sondern auch zu verelenden.“
Hoffnung verpufft
Von der Aufbruchstimmung, die nach der Unterzeichnung des Atomabkommens 2015 spürbar war, ist nichts mehr übrig. Statt der erhofften 50 Milliarden Dollar an ausländischen Investitionen im Iran zählte die Weltbank 2016 gerade einmal 2,4 Milliarden.
Seit US-Präsident Donald Trump das Atomabkommen im Mai einseitig aufgekündigt hat – obwohl der Iran das Abkommen nach Punkt und Beistrich eingehalten hat –, verlor die Landeswährung Rial rund die Hälfte ihres Wertes.
Die galoppierende Inflation bringt die Menschen zur Verzweiflung. Die Hoffnungen auf ein besseres Leben haben sich in Nichts aufgelöst.
„Die wirtschaftliche Krise lastet schwer auf den Schultern der ärmeren Bevölkerungsschichten wie der Arbeiter oder Bauern, die schon vor dem Verfall der Währung wegen schlechter Lebensbedingungen protestiert haben“, berichtet Forouhar.
„Es herrscht eine ausweglose Stimmung, voller Wut und Verzweiflung.“
Selbstmorde
Arbeiter verbrennen sich, weil sie ihre Familien nicht mehr ernähren können. Tragisch auch das Schicksal einer alleinerziehenden Mutter, die vor der Delogierung stand, weil sie seit Monaten die Miete mit ihrem kargen Einkommen nicht zahlen konnte.
Sie verkaufte in ihrer Not Fahrrad und Handy ihres halbwüchsigen Sohnes. Als er davon erfuhr, brachte er sich um.
„Die Selbstmorde sind Zeichen der Ausweglosigkeit“, sagt Forouhar, die regelmäßig in den Iran fährt und auch von Deutschland aus ihre privaten Kontakte in der Heimat pflegt und das Geschehen in den sozialen Netzwerke verfolgt.
Manche Foren würden zwar von der Regierung gefiltert, aber dennoch bleibe Raum, um sich öffentlich zu äußern.
"Radikalisierung des Diskurses"
Seit den großen Ausschreitungen und Protesten im vergangenen Dezember stellt die Mittfünfzigerin „eine Radikalisierung des Diskurses, der Kritik über die Zustände in der Islamischen Republik“ fest.
Vor allem in den vergangenen Monaten seien die Stimmen immer kritischer geworden. „Die Enttäuschung, die Desillusionierung über die Versprechungen der Regierung, die sich komplett als leer bewiesen haben, hat sich sehr breit gemacht. Die Menschen können die ganze Misere, vor allem im wirtschaftlichen Bereich, nicht mehr ertragen.“
Und auch, wenn die Bilder davon meist nicht in den Westen gelangten, gebe es jeden Tag Proteste im Iran. „Die Arbeiter, aber auch die untere Mittelschicht wie etwa Lehrer demonstrieren seit Monaten.“ Ihre Wortführer wurden immer wieder verhaftet. Auch Studenten.
„Die Methoden der Unterdrückung werden immer härter, vor allem gegen Arbeiter. Ihre Streikführer wurden sogar öffentlich ausgepeitscht.“
Wer immer seinen Protest äußert und eine Gruppe hinter sich scharen kann – Gewerkschafter, Studenten, Schriftsteller oder auch Derwische –, der gilt als Sprachrohr und Symbolfigur, die Gefahr bedeutet und entsprechend aus dem Verkehr gezogen werden muss.
Es sind viele, die im Gefängnis sind. Auch noch jene, die vor Jahren wagten, sich gegen das Regime zu stellen.
Nichts zu verlieren
Dennoch hält der Widerstand an, „jeden Tag demonstrieren Menschen“, sagt Forouhar.
„Wenn sie auf die Straße gehen, obwohl sie verhaftet, geschlagen und sogar getötet werden, dann heißt das, dass sie alles riskieren, weil sie es überhaupt nicht mehr ertragen können.“
Sogar im Parlament spreche man von der politischen Misere und von der Korruption, die das Land aussauge.
Jahrelang habe es im Westen niemanden interessiert, zuzuhören, was die Iraner erzählen, klagt die Künstlerin. „Nur Überschriften – , der Gemäßigte. Der wird es schon richten. Vielleicht war das die Folge entsprechender Lobbyarbeit, aber so ist ein Teil der Realität in ein schwarzes Loch gefallen.“
Präsident Hassan Rohani sei nicht als Reformer angetreten, er habe nur einige reformistischen Parolen übernommen. „Aber er hat keinen einzigen Punkt erfüllt. Er pendelt hin und her, keiner weiß, wofür er steht.“
Das Justizsystem, die Rechtsprechung habe sich immer mehr zur Domäne des Klerus entwickelt. „Aber es ist das Informationsministerium, das der Geheimdienst ist, der bei der Justiz die Anklagen erhebt. Der Geheimdienst des Herrn Rohani.“ Die Zahnräder griffen ineinander.
Einen Ausweg aus dem Dilemma, den kenne sie nicht. Aber keine Lösung sei es, das Land von Innen und vor allem von Außen unter Druck zu setzen, betont sie.
„Die Blicke des Westens fokussieren sich auf alles, was ein Regierungsmitglied sagt, und dabei wird vergessen zu schauen, wie es den Menschen im Land geht, wie es der Gesellschaft geht.“
Die Sanktionen wieder einzuführen und dies dann noch als Beitrag für den Frieden zu bezeichnen, „das ist zynisch und furchtbar – und sicher nicht die Lösung“.
Forouhar stand schon vor dem berüchtigten Revolutionsgericht. Sie wurde wegen „Beleidigung des Sakrosankten“ (Blasphemie) und Propaganda gegen den Staat zu sechs Jahren Haft auf Bewährung verurteilt.
Im Herbst findet der Berufungsprozess statt. Sie wird hinfahren, das ist für sie genau so keine Frage, wie den Todestag ihrer Eltern, den 22. November, im Iran zu begehen.
Ob sie keine Angst hat? „Angst, Angst, Angst – natürlich hab ich Angst, aber ich will mein Leben nicht dieser Angst überlassen.“
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