Rechtsruck in Ostdeutschland, aber politischer Umsturz bleibt aus

Michael Kretschmer, CDU-Chef in Sachsen
In Sachsen kommt die CDU mit einem blauen Auge davon, in Brandenburg die SPD. Rechte AfD triumphiert mit zweistelligen Zuwächsen.

"Wutwahltag" hat es gewohnt malerisch der deutsche Boulevard-Riese Bild genannt. Und eine solche Wutwahl war es tatsächlich. Die rechte AfD war in den Bundesländern Sachsen und Brandenburg der große Triumphator der Landtagswahlen. Viele Wutwähler sind demnach von den linken Parteien zu den Rechtspopulisten übergewandert.

Die ersten Hochrechnungen trudelten kurz nach 18 Uhr ein. In Sachsen kommt die CDU mit ihrem historisch schlechtesten Ergebnis auf 32 Prozent, die Linke auf 10,6 Prozent, die SPD fährt mit 7,9 Prozent ihr historisch schlechtestes Ergebnis überhaupt ein. Der große Gewinner in Sachsen ist die AfD, mit ihrem bisher besten Ergebnis von 27,3 Prozent - sie hat um fast 18 Prozent zugelegt. Die Grünen kommen auf 8,8 Prozent, die FDP verpasst mit 4,7 Prozent tendenziell den Einzug in den Landtag. Eine Weiterführung der Koalition zwischen CDU und SPD wird sich nicht mehr ausgehen.

Rechtsruck in Ostdeutschland, aber politischer Umsturz bleibt aus

Sachsen vor schwieriger Regierungsbildung

Da Ministerpräsident Michael Kretschmer eine Koalition mit AfD und Linken ausgeschlossen hatte, reicht es in Sachsen nicht mehr für eine Zweier-Koalition. Auch für Rot-Rot-Grün gibt es den Prognosen zufolge keine Mehrheit. Rechnerisch möglich wäre ein Bündnis von CDU, SPD und Grünen, wegen der Parteifarben auch "Kenia"-Koalition genannt. Die Grünen würden so erstmals in Sachsen in Regierungsverantwortung kommen. In Sachsen-Anhalt regiert seit 2016 ein solches Bündnis aus CDU, SPD und Grünen. Einer Minderheitsregierung unter seiner Führung hatte Kretschmer bereits eine Absage erteilt.

Nach dem "Sieg" seiner CDU hat Kretschmer von einem "wirklich guten Tag" für das Land gesprochen. "Wir haben es geschafft, das freundliche Sachsen hat gewonnen", sagte Kretschmer am Sonntag im Dresden. Es sei der CDU gelungen, gegen eine starke AfD erneut den Regierungsauftrag zu erhalten.

Es werde nun "darum gehen, eine stabile Regierung zu stellen", sagte Kretschmer. Nun werde es Gespräche geben, die aber "nicht von heute auf morgen gehen" würden.

Sachsen-AfD strebt Neuwahlen an

Kurioses Detail am Rande: Jörg Urban, AfD-Chef in Sachsen, strebt indes Neuwahlen an. Der sächsische Verfassungsgerichtshof ließ die AfD nur mit 30 Listenkandidaten antreten. Die AfD hatte die Kandidaten für ihre Liste bei zwei Parteitagen gewählt - was der innerparteilichen Chancengleichheit widersprach. "Wir haben ja schon vor der Wahl gesagt, wir werden in jedem Fall den Rechtsweg gehen, was die Listenstreichung betrifft", sagte Urban im MDR. Das gelte unabhängig von der Frage, "ob wir alle Plätze besetzt bekommen oder nicht".

Derzeit hätte die AfD in Sachsen 38 Mandate.

 

"Es geht erst richtig los"

In Brandenburg erzielte die AfD ebenfalls mit 22,7 Prozent ein historisches Rekordergebnis. Der SPD allerdings gelang es trotz dramatischer Verluste mit 27,2 Prozent Platz eins zu halten. Die CDU kommt auf 15,3, die Linke auf 11, die Grünen auf 10,2 und die Freien Wähler auf 5 Prozent. Auch in Brandenburg dürfte die FDP den Einzug in den Landtag knapp verpassen. Sie liegt derzeit bei 4,8 Prozent.

Rechtsruck in Ostdeutschland, aber politischer Umsturz bleibt aus

"Es geht erst richtig los und den Rest werden wir sehen", sagte Brandenburgs AfD-Spitzenkandidat Andreas Kalbitz in einer ersten Stellungnahme. Er wolle mitregieren:  "Es wird keine Politik um uns herum mehr möglich sein", sagte Kalbitz. Die AfD sei "gekommen, um zu bleiben".

Bundestagsfraktionschefin Alice Weidel sprach von einem "hervorragenden Ergebnis". In Sachsen hätten 60 Prozent der Menschen konservativ gewählt und diesen Wählerwillen zu ignorieren wäre "undemokratisch", sagte sie mit Bezug auf die Aussage der Sachsen-CDU, die eine Regierungskoalition mit den Rechtspopulisten ausgeschlossen hatte.

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SPD-Woidke ist zufrieden

Woidke: Brandenburg soll freundlich bleiben

Brandenburgs Ministerpräsident und SPD-Spitzenkandidat Dietmar Woidke hat positiv auf die ersten Hochrechnungen in dem ostdeutschen Bundesland reagiert. "Mir war es wichtig, dass Brandenburg in guten Händen bleibt", sagte Woidke in der ARD. Woidke nannte es eine große Herausforderung, nun eine stabile Regierung zu bilden.

"Ich bin erstmal froh, dass das Gesicht Brandenburgs auch in Zukunft ein freundliches bleiben wird", so der Sozialdemokrat weiter. Lob bekam er von Parteigenossen Olaf Scholz, Deutschlands Vizekanzler. Scholz sah auch Rückenwind für seine gemeinsame Bewerbung um den Parteivorsitz mit der brandenburgischen SPD-Direktkandidatin für die Landtagswahl, Klara Geywitz. "Ich freu mich unheimlich für die sozialdemokratische Partei: Wir können Wahlen gewinnen, das ist doch die Botschaft, die von heute ausgeht, und darum muss es auch in den nächsten Jahren immer wieder gehen."

Rechtsruck weniger massiv als erwartet

Rund 5,4 Millionen Wahlberechtigte waren zur Stimmabgabe aufgerufen. In beiden Bundesländern wurde mit einem Erstarken der rechtspopulistischen AfD gerechnet. Das ist auch eingetreten, Platz eins konnte die AfD in beiden Ländern jedoch nicht erringen.

In Brandenburg, wo die Sozialdemokraten seit der deutschen Wiedervereinigung 1990 den Regierungschef stellen, lag die AfD mit 20 bis 21 Prozent in Meinungsumfragen hauchdünn hinter der SPD von Ministerpräsident Dietmar Woidke. Im seit 1990 CDU-regierten Sachsen hatten die Christdemokraten 29 bis 32 Prozent vier bis sieben Punkte Vorsprung - was in etwa dem Wahlergebnis entspricht.

In den beiden Bundesländern leben zusammen nur etwa acht Prozent der deutschen Bevölkerung. Wegen der AfD, die in Sachsen und Brandenburg bei der Europawahl Ende Mai stärkste Partei geworden war, stehen sie aber im Zentrum des politischen Interesses. Ende Oktober wird auch in Thüringen gewählt, wo die AfD in Umfragen ebenfalls über 20 Prozent kommt.

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