Weit rechts, weit links: Jeder Dritte wählt eine Protestpartei
Giorgia Meloni führte eine postfaschistische Partei in die italienische Regierung
Ob in der Slowakei, in Polen oder den Niederlanden – in allen drei Staaten, wo binnen der nächsten zwei Monate gewählt wird, werden populistische Parteien gewinnen oder zumindest stark zulegen. Damit untermauern die drei Länder den mittlerweile seit zwei Jahrzehnten andauernden Trend: Anti-Establishment-Parteien sind zu einer gewichtigen politischen Kraft herangewachsen.
100 Politikwissenschafter aus 31 europäischen Ländern („PopuList“) haben für ihre neueste Studie Daten zusammengetragen und dabei ermittelt: Knapp ein Drittel aller europäischen Wähler hat im Vorjahr für Anti-Establishment-Parteien gestimmt:
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Dazu zählen weit links ebenso wie weit rechts agierende Parteien sowie Populisten, bestätigt Politologe Matthijs Rooduijn von der Universität Amsterdam. „Die traditionellen Parteien verlieren zusehends“, sagte Rooduijn zum Guardian, „und das ist insofern von Bedeutung, als die Qualität liberaler Demokratien schlechter wird, wenn Populisten einmal an der Macht sind“.
Untersucht wurden 234 Anti-Establishment-Parteien – darunter auch die FPÖ – wobei die große Mehrheit weit rechts stehenden Parteien zuzuordnen ist.
„Vertreter des Volkes“
Was sie laut Studie alle gemein haben: Sie sehen sich als wahre Vertreter „des Volkes“ gegenüber einer „korrupten Elite“. Aus der Sicht der Populisten ist demnach alles schlecht, was zwischen dem „Willen des Volkes“ und der direkten Politik stehe: also freie Presse und eine unabhängige Justiz.
Ungarns nationalkonservative FIDESZ-Regierung von Premier Viktor Orbán hat diese Entwicklung bereits am weitesten vorangetrieben. Völlig unabhängige Medien gibt es mittlerweile kaum noch. Wegen der Gängelung seiner Justiz haben Ungarn ebenso wie Polen bereits Strafverfahren des Europäischen Gerichtshofes und die vorläufige Sperre von EU-Mitteln in Milliardenhöhe am Hals.
Nicht nur die Migration
Was sich zudem bei den meisten extremen und politischen Parteien verändert hat: Sie streuen ihre Themen breiter. War früher vor allem für die rechtsextremen Parteien die Migration alles beherrschend, so geht es jetzt auch gegen die Klimaaktivisten, gegen das Gendern, die Impfpflicht, Symbole der nationalen Identität und Kulturkämpfe.
Auch die gestiegenen Preise und der russische Krieg gegen die Ukraine treibt den Protestparteien die Wähler in die Arme. Die Schuld dafür sieht Andrea Pirro, Mit-Studienautor und Politologe an der Universität Bologna, zum Teil auch am Versagen der traditionellen Parteien: „Sie haben sich zu weit von den sozialen Fragen entfernt“, meint Pirro. Parteien wie Sozialdemokraten oder Christdemokraten würden von vielen Wählern wie „bürokratische Organisationen wahrgenommen, die für die Sorgen und Bedürfnisse der Menschen kein Sensorium mehr haben.“
Mit dem Erfolg der Extremisten und Populisten steigt aber auch der Druck für die traditionellen Parteien, mit ihnen zu kooperieren. „Vor einigen Jahren wäre es in Skandinavien noch völlig undenkbar gewesen, dass eine Regierung in Stockholm von den weit rechts stehenden Schwedendemokraten gestützt wird“, heißt es in der Studie. Oder auch, dass in Italien eine postfaschistische Partei wie die „Brüder Italiens“ regiert. Oder, dass wie in Österreich die FPÖ derzeit in drei Landesregierungen Teil einer Koalition ist.
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