Reaktionen auf Trump-Sieg: "Wie tief müssen wir noch sinken?"

Von einfachen Bürgern bis zu Hollywood-Stars: Im liberalen Kalifornien reagieren die Menschen auf die Wahl Trumps zum US-Präsidenten mit Fassungslosigkeit und Wut. Sogar von Abspaltung ist die Rede.

Kalifornien ist ein "Blue State", eine demokratische Hochburg, in der die Präsidentschaftskandidaten seit jeher wenig bis gar nicht wahlkämpfen, denn der Ausgang steht von vornherein fest. Das war auch am 8. November nicht anders, Kalifornien ging an Hillary.

Was aber in den "Swing States" passiert ist, die einmal demokratisch, dann wieder republikanisch wählen, hat den Großteil des Golden State in Schockstarre versetzt. Kalifornien ist progressiv. Immerhin standen hier Forderungen wie die Legalisierung von Marihuana, die Abschaffung der Todesstrafe und die bessere Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln auf dem Abstimmungszettel.

In den Tagen nach dem Schwarzen Dienstag, wie der Wahltag nun heißt, wird aus der Kollektivdepression langsam ein Aufruf zum Widerstand. In Berkeley wie in vielen anderen Universitäten demonstrierten die Studenten, wie wir es seit den Sechzigerjahren nicht mehr gesehen haben. Das sind die Bilder, die in den Morning Shows auf allen Sendern laufen.

"Habe mehr Angst als zuvor"

In Los Angeles – auf dem größten gesellschaftlichen Event der Woche, der "Miss Golden Globe"-Party der Hollywood Foreign Press – finden sich Darsteller aller Hautfarben ein. Die Stimmung ist gedämpft. "Ich bin heute von Downtown L. A. nach Santa Monica gefahren, und plötzlich war hinter mir ein Cop. Ich habe zu zittern begonnen", sagt die afroamerikanische Schauspielerin einer populären TV-Serie. "Ich habe jetzt mehr Angst als je zuvor." Gina Rodriguez, die Hauptdarstellerin der Komödie "Jane, the Virgin", deren Eltern aus Puerto Rico stammen, stimmt zu: "Der Rassismus wird auf einmal nicht verheimlicht. Trump hat den Leuten die Lizenz zum offenen Hass gegeben."

Donnerstagmittag beim Italiener frage ich den Manager des Lokals, was er auf einmal mit der Pizzaschaufel vor dem Ofen macht: "Ich muss einspringen, ein paar von uns sind gestern nach Mexiko zurück. Scheint ein besseres Land zu sein." Er lacht nicht und weiß, dass der Versuch seines Scherzes nicht witzig ist. "Ich habe keine Ahnung, wie ich das alles meinen Kindern erklären soll", merkt er an.

"Ich kämpfe"

Reaktionen auf Trump-Sieg: "Wie tief müssen wir noch sinken?"
Natalie Portman attends the 20th Annual Hollywood Film Awards in Beverly Hills, California, on November 6, 2016. / AFP PHOTO / JEAN BAPTISTE LACROIX
Szenenwechsel nach Hollywood und Interviews mit diversen Schauspielern. Mehr als 90 Prozent der in der Filmindustrie Beschäftigten sind Demokraten.

Natalie Portman feierte ihren 19. Geburtstag vor Jahren mit einer "I Can Vote!"-Torte: "Meine erste Reaktion waren Schock, Tränen und das Wissen, dass ich in Paris lebe, wo es auch nicht besser aussieht, und wo ziehe ich jetzt hin? Und dann wusste ich: Ich kämpfe, ich gehe für die Rechte der Frauen, der Minderheiten auf die Straße. Es wäre nicht das erste Mal."

"Alles könnte explodieren"

Michael Keaton zittert die Unterlippe: "Ich will darüber nicht sprechen, ich fühle mich, als würde ich neben einem undichten Gasrohr sitzen. Alles könnte explodieren, wenn ich in diesem Moment etwas dazu sage, inklusive mir."

Die Französin Marion Cotillard sieht es global: "Das ist ein Weckruf für die ganze Welt. Wir haben diese Strömungen in Europa, ich fürchte mich vor einer Präsidentin Marine Le Pen. Ich glaube den derzeitigen Prognosen nicht, die sagen, sie wird es nie schaffen. Das wurde über Trump auch gesagt."

Einer, der den Prognosen glaubte, ist Billy Bob Thornton, der mit Bill Clinton in Hope, Arkansas, aufwuchs: "Ich war davon überzeugt, dass Hillary gewinnt. Ich habe wie viele das Element des Rassismus unterschätzt. Das ist ohne Zweifel der dunkelste Moment in der Geschichte Amerikas. Und ich bin schon lange auf der Welt und habe schon vieles erlebt."

George Clooney seufzt

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Actor George Clooney attends the CEO Roundtable at the United Nations General Assembly in New York on September 20, 2016. / AFP PHOTO / JIM WATSON
Ich erreiche George Clooney am Telefon und frage ihn nach seiner oft zitierten Überzeugung, dass Amerika es am Ende immer richtig macht. Er seufzt: "Die Frage ist nur, was ist das Ende? Wie tief müssen wir denn noch sinken?"

In der Nachbarschaft ist die Bedrückung noch immer spürbar. Tao Ruspoli, Fotograf und Dokumentarfilmer, der aus einem austro-italienischem Adelsgeschlecht stammt, die Doppelstaatsbürgerschaft besitzt und sich ins Familienschloss in der Toskana zurückziehen könnte, ist nachdenklich: "Die Wahl machte mir klar, wie sehr ich dieses Land liebe.Vorher hatte ich von der Möglichkeit gesprochen, es zu verlassen, sollte er gewählt werden. Jetzt weiß ich, wie sehr ich das nicht tun will. Obama repräsentierte so viel dessen, was gut ist an Amerika. Dass ich in einem Land lebe, das einen hochgradig intelligenten, nachdenklichen, schwarzen Professor namens Barack Hussein Obama wählte, macht mich stolz. Ich hatte keine Ahnung, dass Politik mich persönlich und emotional so tief bewegen kann. Im Augenblick identifiziere ich mich mehr mit Kalifornien als mit Amerika." Damit spricht er vielen hier aus dem Herzen. "Calexit" (wie Brexit) ist die Aufschrift, die sich plötzlich auf T-Shirts und Baseballkappen findet. Die Abspaltung von den USA scheint vielen eine Lösung – sie wird zwar nie stattfinden, aber die Flucht in diesen Wunschtraum ist für einen kurzen Moment beruhigend.

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