Angela Merkel, die Teflon-Kanzlerin

Lächelnd und selbstsicher: Angela Merkel in der Bundespressekonferenz
Merkel bleibt trotz Kritik beim "Wir schaffen das" – ihre Mut-Rede hielt sie auch für sich selbst. Mit Video.

Die Empathie war’s. Als Angela Merkel vor knapp einem Jahr ihr emblematisches "Wir schaffen das" ausgab, war Deutschland geradezu irritiert von den Gefühlen, zu denen die deutsche Kanzlerin plötzlich fähig schien.

Heute, am selben Ort, an dem sie die Losung 2015 formulierte, ist von dieser inneren Getriebenheit kaum mehr was zu spüren. Die Kanzlerin wirkt entspannt, von Nervosität merkt man nichts, als sie forschen Schrittes in die Bundespressekonferenz geht, zur vorgezogenen Sommer-Fragestunde. Dafür hat sie ihren Urlaub unterbrochen; aber dass sich deshalb gleich die Emotionen überschlagen? Weit gefehlt. Im Angesicht der Anschläge, der "Blutwoche", wie der Boulevard die Attentate nun nennt, begibt sich Merkel in den Zustand, mit dem sie bisher am besten gefahren ist: in den Teflon-Modus.

Zum Faktencheck: Merkels 9-Punkte-Plan

Staatsräson vermitteln

Die Kritik, die in den letzten Tagen über sie hereingeprasselt ist, erwähnt sie in keinem Wort. Ihr scheint egal, dass so viele wetterten, sie habe sich zu lange Zeit gelassen mit einer Reaktion. Dem höhnischen Vorwurf, sie habe sich das selbst eingebrockt, begegnet sie mit Staatsräson: "Erschütternd, bedrückend, deprimierend" seien die Attentate gewesen, sagt sie; vor allem, dass es zwei Flüchtlinge waren, schmerzt. "Das verhöhnt das Land, das sie aufgenommen hat", sagt Merkel – und fügt hinzu, dass es unerheblich sei, wann das war: "Es ist egal, ob vor oder nach dem 4. September" – das war jener Tag, an dem sie die viel diskutierte Grenzöffnung verfügte.

Die Frage, ob sie Schuld empfinde, wischt sie so vom Tisch. Auch Fehler gesteht sie weder sich noch den Fragenden ein, sie weist vielmehr darauf hin, dass sie die Entscheidungen ja "nicht allein getroffen" habe. Anderes Handeln hätte ohnehin nichts besser gemacht: "Die Verweigerung humanitärer Verantwortung hätte andere, schlechte Folgen gehabt", sagt sie. "Ich habe vor elf Monaten nicht gesagt, dass es eine einfache Sache wird, die wir nebenher erledigen. Und ich bin heute wie damals überzeugt: Wir schaffen das."

Angela Merkel, die Teflon-Kanzlerin

Die Wiederholung des Satzes wirkt ein wenig wie eine Selbstbeschwörung. Allerdings: Dem Druck, der von rechts kommt, kann sie mit einer Kurskorrektur nicht beikommen, das wäre für ihre Glaubwürdigkeit fatal – und realpolitisch auch nur schwer umsetzbar. Rufe wie jene der AfD nach einer Asylverweigerung für Muslime sind in einem Rechtsstaat nicht umsetzbar; Grenzschließungen wären angesichts minimaler Flüchtlingszahlen sinnlos, und Forderungen wie jene der CSU, alle Asylwerber im Nachhinein polizeilich zu überprüfen, sind zumeist obsolet – das passiert derzeit ohnehin im großen Stil.

"Krieg gegen den IS"

So bleibt ihr, die verunsicherte Republik mit Worten zu beruhigen – indem sie ein Bündel bereits beschlossener Maßnahmen präsentiert und dazu aufruft, sich den Terroristen "entschieden entgegenzustellen"; indem sie von einem "Krieg gegen den IS" spricht, aber gleich hinzufügt, dass das "kein Kampf gegen den Islam" sei.

Große Gesten oder emotionale Ausbrüche gibt es heute keine. Unsicher wird sie nur, als sie gefragt wird, warum sie nicht an den Anschlagsorten war. Da spricht sie von "Fall-zu-Fall-Entscheidungen", dass man immer einzeln abwägen müsse. Nur in diesem einzigen Fall wirkt das Teflon angekratzt.

Kurz danach meint sie auf die Frage, wie es ihr eigentlich gehe: "Ich habe das Gefühl, verantwortlich und richtig zu handeln, und keine anderen Gefühle." Ein kühler Kopf hat ihr in Krisen immer besser geholfen als emotionale Wendungen wie im Vorjahr, kann man da herauslesen. Bleibt nur die Frage, ob nicht gerade jetzt mehr Empathie die bessere Wahl gewesen wäre.

Neun Punkte für mehr Sicherheit hat Angela Merkel als Konsequenz aus den Attentaten in Würzburg, München, Reuttlingen und Ansbach vorgestellt - "alles Menschenmögliche" wolle die Regierung tun, um die Bürger zu schützen, sagte sie. Doch: Wie neu und wie leicht umsetzbar sind die Ankündigungen überhaupt?

1) Ein Frühwarnsystem für radikalisierte Täter: Alle vier Attentäter, ganz egal, ob nun islamistisch radikalisiert, geistig verwirrt oder rechtsradikal, waren unter dem Radar der Behörden. Ein System, um solche Menschen von potenziellen Taten abzuhalten, soll nun entwickelt werden - wie das genau gehen soll, ließ Merkel allerdings offen.

2) Mehr Sicherheitspersonal: Während das Frühwarnsystem tatsächlich eine Neuerung ist, ist die Personalaufstockung ein alter Hut. Dass die Bundespolizei 3000 zusätzliche Beamte bekommen soll, ist bereits seit dem Vorjahr in Planung - bis die Zahl erreicht ist, vergehen wegen der Ausbildungszeit aber noch etwa drei Jahre. Alle anderen Ausftockungen kann der Bund nicht beeinflussen - die Polizei ist in Deutschland großteils Ländersache und da wiederum von Budgetspielräumen abhängig.

3) Eine neue Sicherheitsbehörde zur Internet-Überwachung: Das hatte Bundesinnenminister Thomas de Maizière bereits im Juni angekündigt - die neue Stelle soll Techniken zur Überprüfung von Kommunikation im Internet und über Messenger-Dienste entwickeln; damit will man vor allem verschlüsselte Botschaften wie etwa jene über Telegram knacken - über die App kommunizieren viele IS-Anhänger. Die neue „Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich“, kurz Zitis, sollte eigentlich 2017 mit rund 60 Mitarbeitern ihre Arbeit aufnehmen, Kanzlerin Merkel will den Startzeitpunkt nun nach vorn verschieben.

4) Bundeswehr auf Anti-Terror-Einsatz im Inland: Der "Einsatz im Inneren" ist ein in Deutschland seit Langem heiß diskutiertes Thema - wegen der NS-Vergangenheit galt ein Einsatz des Militärs innerhalb der Grenzen lange als Tabu. Jetzt hat man das aufgeweicht, allerdings schon vor den jüngsten Anschlägen. Im kürzlich verabschiedeten Weißbuch zur Sicherheitspolitik haben sich CDU und SPD darauf verständigt, dass die Bundeswehr bei größeren Terroranschlägen eingesetzt werden kann - auch ohne eine Änderung des Grundgesetzes, das dies eigentlich verbietet. Möglich sind nicht nur Großübungen, die nun in zwei Bundesländern stattfinden werden, sondern auch Evakuierungsmaßnahmen oder medizinische Versorgung; der Einsatz von Waffengewalt ist ausdrücklich untersagt.

5) Mehr Forschung zu Radikalisierung und islamistischem Terror: Auch das wurde bereits vage angekündigt - alle bestehenden Forschungsprojekte sollen jedenfalls weitergeführt, vielleicht sogar erweitert werden.

6) EU-Vernetzung von Anti-Terror-Dateien: Das wird bereits seit Jahren geplant, ist aber in der Umsetzung nicht ganz einfach. Bei weitem nicht alle Länder sind bereit, ihre Daten auszutauschen - das wird beim EU-Gipfel am 16. September Thema sein.

7 ) Das neue EU-Waffenrecht: Auch hier hat die Regierung Merkel wenig Einfluss - das neue europäische Waffenrecht ist schon auf einem guten Weg, aber noch nicht verabschiedet. Die Kommission hatte direkt nach den Anschlägen von Paris im November Vorschläge dafür vorgelegt, die EU-Staaten haben den Kompromiss aber wieder aufgeweicht. Geplant ist, den Online-Handel zu erschweren - Stichwort Darknet - und eine Registrierungspflicht für "wesentliche Waffenbestandteile" vorzuschreiben. Zudem sollen unbrauchbar gemachte Waffen nicht dazu benutzt werden können, um daraus wieder funktionsfähige Gewehre oder Pistolen herzustellen.

8) Mehr Kooperation der Nachrichtendienste: Die Zusammenarbeit mit "befreundeten Diensten", wie Merkel sagt, soll ausgebaut werden - das ist eine recht leere Worthülse, weil die Kooperationen sich oft schwierig gestalten - siehe NSA-Affäre.

9) Abschiebungen in Krisenregionen: Hier hat die Kanzlerin ein großes Fass aufgemacht. Schon länger wird auf Betreiben der CSU diskutiert, abgelehnte Asylbewerber im Zweifelsfall auch in Krisengebiete abzuschieben - wie etwa nach Afghanistan und Nordafrika. In puncto Nordafrika hat das bereits zu einem Zerwürfnis geführt, weil der Bundesrat unter Blockade der Grünen diesem Plan nicht zustimmen wollte; bei Afghanistan ist auch eine Auseinandersetzung innerhalb der Koalition abzusehen.

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