"Putin bekommt, was er will"
Diesmal flossen keine Tränen. Und der Auftritt des wenig überraschend wiedergewählten russischen Präsidenten am Wahlabend in Moskau fiel denkbar knapp aus: Ein Dank an die Wähler, eine Breitseite gegen Großbritannien wegen des Streits um den Gift-Anschlag auf einen russischen Ex-Agenten, nach drei Minuten war Schluss. Nach seiner Wiederwahl ins Präsidentenamt 2012 (nach einer Amtszeit als Strippenzieher im Premiersamt unter dem damaligen Präsidenten Dmitri Medwedew) hatte Wladimir Putin sich feiern lassen und kameratauglich Tränen der Rührung vergossen. Nicht so zum Auftakt seiner vierten Amtszeit.
Zu diesem sendet er gemischte Signale. Vereidigt werden soll Putin offiziell zwar erst im Mai. Bis dahin, so heißt es, soll aber bereits die Regierung umgebildet werden – was Hinweise auf eine etwaige Nachfolgeregelung liefern könnte. Vor Anhängern auf dem Manege-Platz in Moskau nannte Putin zudem die Vorwürfe Londons "Unsinn", Russland stecke hinter dem Gift-Anschlag auf den Ex-Agenten Sergej Skripal. Russland habe seine Chemiewaffen vernichtet und sei gar nicht im Besitz solcher Kampfstoffe, wie sie London im Anschlag auf Skripal vermutet. Putins Sprecher Peskow legte am Montag in der Sache nach: Er forderte eine Rücknahme der Vorwürfe und eine Entschuldigung.
Verbale Abrüstung
Zugleich kündigte Putin am Montag an, den Rüstungshaushalt 2018 und 2019 kürzen zu wollen. Er wolle keinen Rüstungswettlauf. Am selben Tag traf sich der Wahlsieger auch mit den Gegenkandidaten. Dialog sei wichtig, so Peskow. Es sei wichtig, Kräfte zu bündeln, um gemeinsam für das Land zu arbeiten. Das ist ungewöhnliches Kreml-Vokabular.
Klar sei aber, so der Russland-Experte Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), dass Russland in keiner Weise ein Interesse an einer grundlegenden Lösung der Konflikte mit dem Westen habe – sowohl was russische Innenpolitik als auch die Beziehungen des Landes nach Außen anginge. Denn letztlich arbeiteten diese Konflikte im Sinne des Kreml: "Europa steckt in der Krise, ist gespalten. Und Putin bekommt was er will: Ohne sich einen Millimeter etwa in der Ukraine bewegt zu haben, wird in Europa über eine Lockerung der Sanktionen geredet." Kompromiss, so sagt Meister, sei für Putin ein Zeichen von Schwäche.
Zugleich aber brauche Russland Europa als Absatzmarkt, wie Meister betont. Ein deutliches Zeichen dafür sei Moskaus Engagement was den Ausbau der Nord-Stream-Pipeline angeht. Den Flirt Moskaus mit China in den vergangenen Jahren bezeichnet Meister in diesem Licht vor allem als Versuch, die eigene Position in den Verhandlungen mit Europa zu stärken. Im wirtschaftlichen Sinn, so sagt er, habe die Annäherung Russlands an China nicht geklappt und für Russland vor allem niedrige Gaspreise bedeutet – auch, wenn Russland und China heute vermehrt im Sicherheits- und Geheimdienstbereich kooperieren würden. Vor allem aber, so sagt Meister, zeichne sich wachsende Konkurrenz der beiden Staaten in Zentralasien ab. Nur eines unterscheide sich fundamental von den Beziehungen Moskaus zu China von jenen zu Europa und den USA: "China gibt dem Kreml den rhetorischen Respekt, den man dort erwartet."
Wahl-Manipulation
Bei aller angedeuteter Schönwetter-Rhetorik: Wahlbeobachter, Zivilgesellschaft und Opposition zeichnen ein verheerendes Bild. So sprach die OSZE-Wahlbeobachtermission von einer "Auswahl ohne echten Wettbewerb". Registriert habe man zudem Fälle von Mehrfachabstimmung. Die unabhängige Wahlbeobachter-NGO Golos sprach zudem von Geld-Prämien für "korrekt" ausgefüllte Wahlzettel (Beleg per Foto). Unabhängige Beobachter und Journalisten berichteten, Wahlzettel seien massenhaft nach Wahlschluss in Urnen gestopft worden.
Der deutsche Bundestagsabgeordnete der Grünen und Wahlbeobachter, Markus Sarrazin, sagte nach der Wahl: "Das Ergebnis gibt keinen klaren Hinweis auf die künftige Entwicklung Russlands, aber der Wahltermin tut es." Der Sonntag markierte den vierten Jahrestag der Annexion der Krim.
Solidarität mit Großbritannien – ja; Strafmaßnahmen gegen Russland aber vorerst nicht. Die 27 EU-Außenminister, die gestern in Brüssel vom britischen Chefdiplomaten Boris Johnson über den Giftanschlag gegen den früheren Doppelagenten Sergej Skripal und dessen Tochter informiert wurden, wollen vor möglichen Schritten gegen Moskau zunächst Klarheit. „Unsere Haltung ist: Erst eine ganz genaue Sachverhaltsdarstellung in Zusammenarbeit mit der Chemiewaffenagentur und allen Beteiligten“, forderte auch Außenministerin Karin Kneissl.
Schuldfrage klären
Die Experten der Agentur in Den Haag sind bereits dabei, die beim Angriff gegen Skripal verwendeten Substanzen zu prüfen. Doch bis Ergebnisse vorliegen, kann es Wochen dauern. Und selbst wenn feststeht, dass das in der früheren UdSSR entwickelte tödliche Nervengas Nowitschok eingesetzt wurde, muss für die EU-Minister unumstößlich klar sein, wer den Auftrag gab. Vorerst konnten sich die europäischen Chefdiplomaten deshalb nur auf die Formulierung einigen: Man nehme die Einschätzung Großbritanniens sehr ernst, dass höchstwahrscheinlich Russland für den Anschlag verantwortlich sei. Ohne hieb- und stichfeste Schuldzuweisung aber wird es von Seiten Brüssels keine Verschärfung der bereits seit 2015 existierenden Sanktionen geben. Diese beziehen sich auf Russlands Übernahme der Krim und auf die Kämpfe in der Ostukraine. Und auch deren Aufhebung steht für Brüssel vorerst nicht im Raum, auch wenn der Ruf danach lauter wird.
Spekulieren über mögliche Strafmaßnahmen will Außenministerin Kneissl nicht: „Wir werden den Fluss überqueren, wenn wir dort sind“, sagte sie. Dabei gab sie zu bedenken: Auch beim Chlorin-Einsatz 2013 in Syrien habe die Chemiewaffenagentur keine klare Schuldzuweisung treffen können. Im Verdacht stand damals die syrische Armee.
Mangels klarer Schuldbeweise gegenüber Moskau beschränkt sich die EU ebenso wie die NATO vorerst auf die Forderung: Russland habe unverzüglich alle Fragen zum Fall Skripal zu beantworten. Als „eklatanten Bruch des Völkerrechts“ sieht man diesen ersten Einsatz von Giftgas auf europäischem Boden seit Gründung der EU und des westlichen Militärbündnisses. In Moskau aber streitet man jegliche Verantwortung glattweg ab.
Ingrid Steiner-Gashi, Brüssel
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