Polit-Krieg mit Riesen-Penis

Polit-Krieg mit Riesen-Penis
Polit-Protest in Russland existiert auch abseits von Pussy Riot. Das Kollektiv „Krieg“ etwa ärgert die Obrigkeit mit riesigen Phallus-Graffiti.

Die Streetart-Ikone Banksy unterstützt sie. Die Berlin Biennale hat sie heuer als Gastkuratoren engagiert. Und die russische Justiz sucht sie per internationalem Haftbefehl. Wie das zusammenpasst? Im Kontext Russlands ganz gut: Denn das Künstlerkollektiv Voina, zu Deutsch Krieg, lehnt sich gegen die russische Autokratie auf – im Graubereich der Legalität, und das trifft die Machthabenden empfindlich.

Abseits des über die Grenzen hinaus bekannten Protests - wie etwa Pussy Riot - existiert in Russland seit Jahren eine Untergrundszene, die gegen die Obrigkeit aufbegehrt. Voina kann man hier getrost als Vorreiter bezeichnen: Die Attribute, die den Aktionen der seit 2005 existierenden Gruppe im In- und Ausland zugeschrieben werden, reichen von amüsant über plakativ bis hin zu empörend.

Zwei Jahre auf der Flucht

Bestes Beispiel: Die Brücke vor dem Gebäude des russischen Inlandsgeheimdiensts FSB wurde 2010 mit einem 65 Meter großen Graffito verziert – ein riesiger Penis, der beim Öffnen der Brücke direkt den Geheimdienstlern ins Gesicht lachte. Wenig Wunder, dass Voina dafür gerade St. Petersburg ausgesucht hat – stammt doch Präsident Putin aus der Stadt an der Neva.

Kein Staat, keine Arbeit, kein Geld

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Die Mitwirkenden von Voina befinden sich auf Dauerflucht. Seit November 2010 wechselt das Ehepaar Oleg Vorotnikov und Natalia Sokol, die Aushängeschilder der Truppe, beinahe täglich den Wohnort. Seit Vorotnikov damals gemeinsam mit seinem Voina-Mitstreiter Leonid Nikolayev im Gefängnis landete, bewegt sich die Gruppe nur mehr im Untergrund – das Ehepaar sogar gemeinsam mit seinen beiden Kindern Kasper und Mama.

Grund der Inhaftierung: In einem Performance-Akt warfen sie sieben Polizeiautos um – unter dem Titel "Palastrevolution". Seither fahndet Interpol nach den  Mitgliedern der Truppe, da sie auf der „International wanted“-Liste der russischen Polizei stehen. Dies hat zur Folge, dass die Gesuchten weder über Pässe noch Personalausweise verfügen.

Selbstbedienungsladen

Gesetzesbruch sei Programm, weil Gesetzesbrüche auch bei der Obrigkeit Normalität seien - mit diesem Grundsatz arbeiten die Voina-Akteure. Geld lehnen sie konsequenterweise ab, denn das mache nur korrupt. Was sie zum täglichen Leben brauchen, stehlen sie.

Perfekt inszeniert hat Voina dies 2008, indem Oleg Vorotnikov verkleidet ein Lebensmittelgeschäft bestahl, mit einer Priesterrobe und einem Polizei-Käppi auf dem Kopf. Derart gewandet schob er einen gefüllten Einkaufswagen einfach an der Kasse vorbei - ohne Konsequenzen.

Weit verstörender noch war eine Aktion im Moskauer Biologie-Museum. Fünf Pärchen kopulierten dort in einem Schaufenster, für jeden sichtbar – und eine der Agierenden war im neunten Monat schwanger. Hintergrund der Demonstration öffentlichen Sexuallebens war die Ernennung Dmitrij Medvedevs zum Präsidenten. Die Verstrickungen – sprich: jeder macht’s mit jedem – der Polit-Elite sollten damit angeprangert werden.

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Der Westen applaudiert

Die Wahrnehmung der Performances der Gruppe im Westen ist eine positive. Der weltweit bekannte Streetart-Künstler Banksy beispielsweise spendete dem inhaftieren Vorotnikov und seiner Truppe 120.000 Dollar, ein deutliches Zeichen öffentlicher Unterstützung. Heuer waren die Macher hinter Voina zudem als Kuratoren bei der Berlin Biennale engagiert, auf der Viennale wurde gerade eben ein Film über sie gezeigt.

Das Phänomen westlicher Anerkennung politisch übergriffiger Kunst ist dasselbe wie jenes bei Pussy Riot – mit denen Voina, wenig Wunder, auch verstrickt ist. Eben jene hochschwangere Frau, die im Schaufenster beim Geschlechtsakt zu sehen war, ist Nadezhda Tolokonnikova, einer der Pussy-Riot-Frauen.

Die russische Reaktion

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Innerhalb Russlands ist diese Form des Protests aber deutlich umstrittener. Während sich im Westen linke Intellektuelle genauso wie Neokonservative im Fall Pussy Riot dafür einsetzen, dass die Frauen wieder entlassen werden, ist die Zustimmung der russischen Bevölkerung für die Inhaftierung ebenso groß wie die Ablehnung.

Für den Westen unverständlich – nicht ganz zurecht allerdings. Denn der russische Protest ist keine libertäre Auflehnung im Sinne der Hipster-Bewegung, sondern eine ernsthafte, revolutionäre Forderung nach der Abschaffung jeglichen Systems. Auch des westlichen nämlich: Voina und Pussy Riot streben eine komplette „Befreiung von Patriarchat, Kapitalismus, Religion, konventioneller Moral, Ungleichheit und dem gesamten gemeinschaftlichen Staatswesen an“, sagt Polit-Analytiker Vadim Nikitin.

Umgedrehter Spieß

Die russische Machtelite hat indes ihren Umgang damit noch nicht ganz gefunden. Während Pussy Riot unter internationalem Protest verurteilt wurden, haben die Voina-Akteure für ihr Penis-Graffito eine banale Geldstrafe von umgerechnet 50 Euro aufgebrummt bekommen – bezahlt hat die Gruppe die Strafe jedoch nicht.

Und man könnte meinen, der Kreml versteht sogar Spaß: Das Kulturministerium hat der Gruppe nämlich für ihr gespraytes Kunstwerk den Innovations-Preis in der Kategorie Bildender Kunst verliehen – dotiert mit etwa 10.000 Euro. Dies allerdings auch nur, weil die unabhängige Jury – darunter auch der österreichische Künstler Peter Weibel – dem Druck der russischen Obrigkeit einfach nicht nachgegeben hat.

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Wie würden Sie Ihren generellen Zugang zu Kunst beschreiben?

Alexej Plutser-Sarno: Unser Ziel ist es, eine neue Sprache in der zeitgenössischen Kunst zu erschaffen. Wir wollen die heroische, romantische Revolutionskunst wiederbeleben – jene, die so tapfer und monumental ist wie unsere Aktion mit dem Schwanz auf der Brücke in St. Petersburg.

Muss Kunst politisch sein? In Russland im speziellen - oder auch weltweit?

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Wenn Leute verhaftet und gefoltert werden, Massenexekutionen stattfinden und ein Künstler macht nichts anderes als  Blumen, Katzen und Fische zu zeichnen, kann man sagen, er ist ein beschissener Künstler. Meiner Meinung nach kann ein zeitgenössischer Künstler nicht abseits des soziopolitischen Kontexts arbeiten. Heutzutage muss ein Künstler die Realität um sich herum auf die Probe stellen; er sollte nicht die Augen vor Gewalt, die von den Machthabern verübt wird, und vor der Beseitigung von Menschenrechten und Grundfreiheiten  verschließen. Sicherlich, ein Künstler kann auch etwas anderes als politische Kunst machen. Aber er darf nicht die Situation rings um ihn ignorieren, er darf nicht ignorant sein.

Wie werden Ihre Aktionen in Russland wahrgenommen? Unterscheiden sich die Reaktionen von jenen in Europa?

In Russland werden wir von Gesellschafts-Aktivisten, Anarchisten, Oppositionsangehörigen unterstützt. Deren Reaktion ist üblicherweise positiv. Die Aktivisten des rechten Lagers und die Obrigkeiten auf der anderen Seite hassen uns und unsere Kunst, weil wir sie mit unseren Straßenkunst-Aktionen verspotten.

Seit wann leben Sie im Untergrund? Und wie sieht ein regulärer Tag in Ihrem Leben aus?

Die Gruppe versteckt sich seit November 2010, als Oleg Vorotnikov verhaftet wurde, vor der Polizei. Sicherheitsprobleme nehmen viel Zeit in Anspruch, weil wir ja nicht erwischt werden wollen. Die restliche Zeit verbringen wir mit der Vorbereitung neuer Aktionen, bei diversen Trainings und Experimenten.

Wie würden Sie Ihre Ziele – ganz generell – definieren?

 Das Ziel ist eine Revolution in der Kunst, die die konservativen Vorstellungen der Menschen zum Einsturz bringt. Möglicherweise bewirkt dieser Umsturz in den Köpfen eine gesellschaftliche Revolution. Die Menschheit muss sich von der Vorherrschaft des Polizeisystems, von Gewalt, Diskriminierung, Sexismus und Materialismus lossagen.

Wie fällt Ihre Zukunftsprognose für Russland – politisch und gesellschaftlich – aus?

Ich bin ziemlich pessimistisch, was die Zukunft in Russland angeht. Die Machthaber werden die Opposition abwürgen, sie werden all deren Mitglieder ins Gefängnis stecken. Heutzutage sind alle Gefängnisse in Russland voll mit politischen Häftlingen. Ich denke, die derzeitige Führungselite lenkt das Land in Richtung einer wirtschaftlichen und politischen Katastrophe.

Auf der Voina-Facebook-Seite sind viele Fotos der beiden Kleinkinder, Kasper und Mama, zu sehen, die mit Ihnen im Untergrund leben. Wie gehen die beiden mit der Situation um?

Oleg und Natalia (Anm.: die Eltern) lieben ihre Kinder sehr. Sie kümmern sich aufopfernd um sie. Ich weiß, dass sie wundervolle Eltern sind und vor allem Kasper (Anm.: dem Größeren) dabei helfen, mit jeglicher Situation umzugehen. Kasper entwickelt sich zu einer tapferen Person und zu einem Freigeist.

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