Wie Donald Tusk in Polen die Rechten besiegen konnte

Donald Tusk hält eine Rede vor einem Christbaum und Flaggen
Der erfahrene Politiker beendete die Herrschaft der Nationalkonservativen. Die wirkliche Arbeit beginnt aber erst jetzt.

Manche Beobachter sparten angesichts des Machtwechsels nicht mit Superlativen. Der Triumph Donald Tusks und seiner Koalition über die nationalkonservativ-rechtspopulistische PiS von Parteichef Jaroslaw Kaczyński und dem bisherigen Premier Mateusz Morawiecki sei „ein epochales Ereignis, vergleichbar mit dem Sieg Joe Bidens über Donald Trump“, stand etwa im Spiegel zu lesen.

Fakt ist: Entgegen des generellen politischen Trends nach rechts weit über Europa hinaus zeigt der Wahlerfolg von Tusks Koalition der Rechtsstaatlichkeit, dass auch in Dauerkrisenzeiten Nationalismus, Europaskepsis, Ausgrenzung und Dagegensein nicht zwingend zum Erfolg führen müssen.

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Zunehmend illiberale Regierung abgewählt

Und das in einem der Kernländer des europäischen Nationalismus: Immerhin acht Jahre lang regierte die PiS und wandelte in dieser Zeit zunehmend unverhohlen auf den Spuren illiberaler Vorreiter wie Ungarns Viktor Orbán.

Die Frage, die sich stellt, ist nun: Wie konnte der Umschwung gelingen? Und was können moderate bis progressive Kräfte in anderen Ländern vom polnischen Beispiel lernen?

Es baucht eine lebendige Zivilgesellschaft

Es gab in Polen spezifische Faktoren, doch die gibt es überall und immer. So führte etwa das weitgehende Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen zu einer starken Mobilisierung von Frauen und Jungen, die das als unverhältnismäßigen Eingriff empfanden. Das Ergebnis war eine Rekord-Wahlbeteiligung von 74,4 Prozent.

Diese Mobilisierung passierte jedoch nicht im luftleeren Raum, ihre Voraussetzung war die lebendige polnische Zivilgesellschaft, die sie organisierte. Ein großer Unterschied etwa zu Ungarn, wo immer schärfere Gesetze den Handlungsspielraum oppositioneller Kräfte von Parteien bis NGOs immer enger und enger gestalten.

Es braucht einen starken Spitzenkandidaten

Ein weiterer, entscheidender Faktor war Tusk selbst. Er ist nicht nur ein mit allen Wassern gewaschener Politiker, er fuhr auch einen riskanten, letztendlich aber erfolgreichen Kurs im Wahlkampf. Auf Provokationen von rechts ließ er sich nicht ein, setzte vielmehr auf Pragmatismus und Offenheit. 

In unzähligen Gesprächen mit Menschen außerhalb seiner Kernwählerschicht – seiner Blase, wenn man so will – konnte er den Menschen vermitteln, dass er absolut nicht der Teufel ist, als den ihn die PiS darzustellen versuchte.

„Das verschaffte ihm Respekt“, sagt der Politologe Wojciech Przybylski, „und sorgte dafür, dass zweifelnde PiS-Wähler endgültig die Seiten wechselten, weil sie erkannten, dass die verbreitete Propaganda nicht stimmte“.

Es braucht ein gewisses Momentum

Zudem war das „die letzte Chance für die Demokratie in Polen“, ergänzt der Ex-Diplomat und Analyst Stefan Lehne – auch wichtig für die Mobilisierung. Während es in Ungarn sehr schwer wäre, die Umklammerung des Staates durch Orbán und die Fidesz mit demokratischen Mitteln rückgängig zu machen, war die Schwächung der Demokratie in Polen noch nicht so weit.

Was nicht heißt, dass es für Tusk leicht wird. Einerseits ist der PiS-treue Andrzej Duda noch bis 2025 Präsident und kann der neuen Regierung mit Vetos gegen wichtige Vorhaben das Leben schwer machen.

Genauso wie andere PIS-Getreue an zentralen Stellen wie der Zentralbank, dem Verfassungsgericht oder der Generalstaatsanwaltschaft. Diese kann die geplanten Ermittlungen wegen Korruption und Machtmissbrauch und somit die Aufarbeitung der vergangenen Jahre deutlich erschweren.

Heftige Vorwürfe nach ersten Rausschmissen

Einen Vorgeschmack auf das Rückzugsgefecht der PiS gab es bereits nach der ersten entsprechenden Amtshandlung der neuen Regierung: der Entlassung der gesamten Führung des öffentlich-rechtlichen Senders TVP – in den vergangenen Jahren wegen seiner gleichgeschalteten Berichterstattung auch als TVPiS bekannt – am Mittwoch. Von einem Staatsstreich sprach PiS-Chef Kaczyński; von einem Verfassungsbruch, ja von „Anarchie“ Präsident Duda.

Wie Donald Tusk in Polen die Rechten besiegen konnte

Nach dem Rauswurf der TVP-Führung fanden sich am Mittwoch zahlreiche PiS-Funktionäre in der Warschauer Zentrale des Senders ein

Wie gut der Rückbau in eine echte Demokratie gelingt, ist das eine – wie sich Polen künftig in der EU verhalten wird, das andere. Und hier sind die Aussichten deutlich rosiger. Zwar wird Tusk so wie alle Staats- und Regierungschefs zuallererst seine eigene, nationale Agenda befördern. Das ist ein anhaltendes Problem für Europa, aber keines, das einer alleine lösen könnte.

Ungarns Spielraum wird kleiner

Tusks proeuropäische Gesinnung zweifelt aber so wie seine uneingeschränkte Solidarität mit der Ukraine niemand an. Und das sind wiederum schlechte Nachrichten für Orbán.

Der hat nun nämlich seinen stärksten Verbündeten im Rat verloren. 

Bisher blockierte Warschau immer wieder Sanktionen gegen Budapest wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit. Diesen Gefallen wird Tusk Orbán mit Sicherheit nicht tun.

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